Von Oklahoma bis Hanau - Die Internationale der Rassenkrieger

In seinem Bekennervideo sprach der Hanau-Attentäter Tobias Rathjen Englisch und richtete sich an ein amerikanisches Publikum. Offenbar sah er sich als Teil einer Internationale der White Supremacists, die sich über die letzten Jahre im Internet formiert hat.

Ein Rechtsradikaler auf einer Demonstration der White Supremacists in Columbia, South Carolina, im Jahr 2015 / dpa
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Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Was haben das Attentat von Hanau, der Anschlag auf die Synagoge in Halle und der Anschlag auf die Moscheen von Christchurch gemeinsam? Die Täter waren männlich, jung, alleinstehend, mental gestört, weiß — und sie lebten in einem imaginären Amerika. Alle Täter sprachen ein amerikanisches Publikum via Internet und auf Englisch an. Tobias Rathjen, der Mörder von Hanau, warnte die Amerikaner vor Geheimgesellschaften, die sie kontrollierten, und er lebte in dem Wahn, dass US-Präsident Donald Trump seine Ideen bei ihm abgekupfert habe. Und er fand, Trump sei der Beste, um eine weltweite weiße Bewegung zu führen. Auch der Attentäter von Halle lebte in einem virtuellen Amerika, wo er sogar versuchte, den Anschlag live zu streamen.

Das ist kein Zufall: Solche Attentäter sind von weißen Nationalisten in den USA beeinflusst, von einem Netzwerk aus Ku-Klux-Klan-Mitgliedern, Neonazis, Skinheads und Veteranen, das nach dem verlorenen Vietnamkrieg entstanden ist, schreibt Kathleen Belew, Professorin für Geschichte in Chicago in ihrem Buch „Bring the War Home: The White Power Movement and Paramilitary America.“ Lange war diese Bewegung — die hunderttausende von Sympathisanten hat — isolationistisch. Inzwischen aber suchten die weißen US-amerikanischen „Supremacists“, die an eine Vorherrschaft der Weißen glauben, aktiv nach Verbündeten in Europa, Australien und Neuseeland für eine internationale Allianz. „Das Herzland des weißen Nationalismus ist nicht die USA“, schreibt Belew. „Es ist eine arische Nation, die eine transnationale Politik betreibt, die den Interessen der USA entgegengesetzt ist.“

Tummelplatz 4chan und 8chan

Diese Leute führen Krieg gegen das „Great Replacement“, Code dafür, dass die „weiße Rasse“ aussterbe, durch Heirat mit Fremden, Abtreibung oder Immigration. Viele sind „Incels“, unfreiwillig Zölibatäre, die Frauen hassen, sie hängen Verschwörungstheorien wie „Qanon“ an. Unter diesem Codewort kursierte die Verschwörungstheorie, Liberale würden in Hollywood und Washington Kinder an Bordelle verkaufen. „Pizzagate“ steht für eine Verschwörungstheorie, laut der ein angebliches Kinderbordell im Keller einer Pizzeria in Washington betrieben wird. Barack Obama, Hillary Clinton und George Soros, so glauben diese Menschen, bilden einen „Deep State“, eine Schattenregierung, die einen Putsch gegen Trump planten. Sie posten ihre Traktate auf den Webseiten 4chan und 8chan, ein Tummelplatz für rechte Verschwörungstheoretiker.

Auch Tobias Rathjen nutzte 8chan, und sein Manifest lese sich wie die „größten Hits der Beschwerden weißer Männer im 21. Jahrhundert“, schreibt der Philadelphia Enquirer. Es vermenge die Unfähigkeit, Beziehungen mit Frauen einzugehen, mit Paranoia über Fernsteuerung und Hass gegen Immigranten und Moslems. Rathjen habe auch mehrere unter US-Rechten kursierende Verschwörungstheorien aufgegriffen, etwa die, dass es einen Untergrund-Sexkult in amerikanischen Militärbasen gebe, wo Kinder gefoltert werden und dass die „Mainstream-Medien“ das verheimlichen würden. „Der Virus von rechtem Hass gegen Immigranten, ethnische Minderheiten und Frauen springt wie eine Epidemie von Nation zu Nation“, schreibt der Inquirer.

Rassistische Gewalt gegen Afro-Amerikaner und Immigranten gibt es in den USA schon lange, auch Hetze von weißen Nationalisten gegen die Regierung in Washington, die als Zionist Occupational Government (ZOG) oder als New World Order, Neue Weltordnung bezeichnet wird — aus diesem Grund sprengte der Oklahoma-City-Attentäter Timothy McVeigh 1997 ein Regierungsgebäude in die Luft. Zu den weißen Nationalisten gehören auch neuheidnische Kulte, Antikommunisten und christliche Extremisten, die glauben, Juden und Afro-Amerikaner stammten vom Satan ab. Sie verbreiten Bücher über Rassenkriege wie die „Turner Diaries“ und geben Rekrutierungszeitschriften für junge weiße Männer heraus.

Ursprung: Die „Schmach“ von Vietnam

International wurde die Bewegung aber erst, als amerikanische Söldner in Rhodesien (heute Simbabwe), Nicaragua und Grenada kämpften, um die Schmach von Vietnam zu rächen, an der sie Liberalen und Journalisten die Schuld gaben. Unter Trump haben weiße Nationalisten weiteren Auftrieb bekommen: Die neurechte AltRight-Bewegung um Steve Bannon, Trumps früheren Berater, suchte von Anfang an den Kontakt zu den Rechtspopulisten in England, Frankreich, Ungarn, Israel oder der Türkei.

Den Attentätern der letzten Jahre - Dylann Roof, der 2016 in Charleston, South Carolina, neun schwarze Kirchgänger umbrachte oder Patrick Crusius, der im Sommer 2019 in einem Supermarkt im texanischen El Paso 22 Immigranten aus Mexiko erschoss - geht es vor allem darum, weltweit Gesinnungsgenossen aufzurütteln, damit sie sich der Bewegung anschließen, meint Kathleen Belew. So habe der El Paso-Attentäter nicht nur detaillierte Anweisungen gegeben, wie man ihm folgen solle. Sein Vorbild war der Attentäter von Neuseeland, der 2019 in zwei Moscheen in Christchurch 51 Moslems erschoss. Auch Tobias Rathjen, so erklärte Paul Spoonley, ein neuseeländischer Experte für Rechtsradikalismus in der Onlinezeitung Newsroom, habe wohl den Attentäter von Christchurch nachgeahmt. Dieser wiederum habe sich Andres Breivik zum Vorbild genommen, der norwegische Massenmörder, der Kinder auf einer Ferieninsel erschoss. „Diese Leute“, sagte Spoonley, „sind Teil einer internationalen Gemeinschaft, die sich als die Männer gerieren und gestalten, die sie sein wollen: Rassenkrieger“.

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