Die Personalie Bari Weiss - Was ist bei der „New York Times“ los?

In der „New York Times“ hängt der Haussegen schief. Spätestens seit der Kündigung von Kolumnistin Bari Weiss ist klar: In der neuen Debattenkultur wird kritisches Denken nur in eine Richtung gern gesehen. Gilt das auch für Deutschland?

„Leitmedium derer, die in einer weit entfernten Galaxie leben“/ dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Kennen Sie Bari Weiss? Wenn nicht, dann ist das keine Katastrophe. Bis vor wenigen Tagen kannten hierzulande Bari Weiss nur aufmerksame Leser der New York Times oder genaue Beobachter inneramerikanischer Debatten. Dennoch sollten Sie sich den Namen Bari Weiss merken. Denn er ist ein Symbol für eine im Innersten zerrissene Gesellschaft und insofern ein Menetekel.

Wer aber ist nun Bari Weiss? Bis zum letzten Dienstag war Bari Weiss eine umstrittene Kolumnistin besagter New York Times. Umstritten war sie, nicht etwa, weil ihre Ansichten so originell oder radikal waren, sondern weil sie nicht in das enge Weltbild der linksliberalen Redaktion und der entsprechenden Leserklientel des New Yorker Renommierblattes passten.

Das enge Weltbild der linksliberalen Redaktion

Dazu muss man wissen, dass Bari Weiss genau zu diesem Zweck von James Bannet, dem damaligen Chef der Meinungsseite der New York Times, in die Redaktion geholt worden war. Nach dem für die Redaktion des New Yorker Blattes vollkommen unerwarteten Wahlsieg von Donald Trump sollte Weiss helfen, den intellektuellen Kontakt zu jenen im Land wieder herzustellen, die man offensichtlich verloren hatte. Eine ehrenwerte Absicht, die krachend gescheitert ist.

Das zeigt sich Anfang Juni, als James Bannet einen umstrittenen Gastkommentar des konservativen Senators Tom Cotton veröffentlichte, in dem dieser den Einsatz des Militärs gegen radikale „Black Lives Matter“-Proteste forderte. Es kam zu Protesten der Leserschaft und aus der Redaktion. Ergebnis: Bannet kündigte. Der für den internen Review-Prozess zuständige Redakteur wurde versetzt. In dieser aufgeheizten Situation wurde es offensichtlich eng für Bannets Schützling Weiss.

Die Welt des Falschdenkens

Also zog Bari Weiss am Dienstag publikumswirksam die Notbremse und veröffentlichte auf ihrer Homepage eine gepfefferte Erklärung, in der sie dem Herausgeber der New York Times, Arthur Gregg Sulzberger, kündigte und das Meinungsklima innerhalb der Redaktion einer beißenden Kritik unterzog.

Die New York Times, so Weiss, werde „mehr und mehr zum Leitmedium derer, die in einer weit entfernten Galaxie leben, einer Galaxie, die mit den Alltagssorgen der meisten Menschen nichts zu tun hat.“ Es hätte sich ein Konsens herausgebildet, wonach „Wahrheit kein Prozess der kollektiven Entdeckungsreise ist, sondern eine feststehende Meinung, die bereits einigen wenigen Aufgeklärten bekannt ist, deren Aufgabe es nun ist, alle anderen zu beeinflussen.“ Intellektuelle Neugier sei bei dem New Yorker Qualitätsblatt zu einer Belastung geworden. Unbequemes und Gewagtes würde nicht mehr geschrieben. Hass im Netz werde geduldet, solange er nur die Richtigen träfe. Ihre persönlichen Streifzüge in die Welt das Falschdenkens („Wrongthink“) hätte sie zur Zielscheibe von Schikanen gemacht, sie sei als „Nazi“ und „Rassistin“ beschimpft worden.

Differenziertes Denken verliert

Weiss selbst sieht sich nach wie vor als links von der politischen Mitte. Als sie noch als Feuilleton-Redakteurin für das Wall Street Journal arbeitete, versuchte sie kritische Artikel über Steve Bannon und Melania Trump unterzubringen – vergeblich. Auch das gehört zu der Geschichte. Zum Feindbild der linksliberalen Twitter-Community wurde sie dennoch.

Weiss’ Sünde lässt sich einfach zusammenfassen: Sie wagte es, differenziert zu denken und genau hinzusehen. Anlässlich der Women’s March 2017 wies sie darauf hin, dass Führungspersonen der Bewegung sich antisemitisch geäußert hätten. #MeeToo lobte sie ausdrücklich, warnte aber davor, Frauen jede Anschuldigung unbesehen zu glauben. Campus-Aktivisten, die jeden missliebigen Wissenschaftler als „Faschist“ beschimpfen, stellte sie sich entgegen. Und selbstverständlich unterzeichnete sie den Aufruf im Harper’s Magazine für eine offene Debattenkultur.

Was geht uns Bari Weiss an?

Bleibt die Frage: Was geht uns Bari Weiss in Deutschland an? Die traurige Antwort ist: sehr viel! Man denke nur an die grotesken Debatten um die Berliner Mohrenstraße, die absurde Diskussion über den angeblichen Rassismus in alten Otto-Filmen, den jakobinischen Eifer, mit dem eine angeblich gendergerechte Sprache in unserem Alltag verankert werden soll und die verbissene Beflissenheit, mit dem das Kulturleben auf Diversity getrimmt wird und man weiß, dass die amerikanischen Debatten von heute, unsere Polemiken von morgen sind.

In den USA, so hat man mitunter den Eindruck, ist das Tischtuch längst zerrissen. Dort scheint es keinen dritten Weg mehr zu geben. Weiss ist hierfür das traurige Beispiel. Es wäre wünschenswert, einer solchen Polarisierung in Deutschland entgegenzuarbeiten. Angesichts der Besessenheit, mit der selbsternannte Progressive auch hierzulande ihre Visionen durchdrücken wollen, kommen einem mitunter Zweifel, ob das noch gelingen kann.

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