Neue Ära der Monarchie im Vereinigtes Königreich - König Charles III. übernimmt ein schweres Erbe

Queen Elizabeths gütige Herrschaft galt als der Kitt, der ihr Vereinigtes Königreich 70 Jahre lang zusammenhielt. Ihr Sohn und Thronfolger Charles wird versuchen, die einigende Kraft der Monarchin zu erhalten. Sonst könnte die Monarchie schnell als veraltet und nutzlos in Verruf geraten.

Trauer um Queen Elisabeth / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Am Tag nach dem Tod von Queen Elizabeth II. blieb das große Kaufhaus Selfridges an der Oxford Street geschlossen. Die Fußballspiele der Premier League wurden für das Wochenende abgesagt. Die letzten Abende des klassischen Musikfestivals Proms wurden ebenfalls gestrichen. Im Parlament begann am Freitagmittag eine sechsstündige Sitzung der Abgeordneten. Die erst diese Woche ernannte neue Premierministerin Liz Truss verlas ihre Trauerrede, schwor dem neuen König Charles III. ihre Treue und beendete sie mit einem lauten und deutlichen „God save the King!“

Mit 73 Jahren tritt Charles III. aus dem Schatten seiner Mutter. Das wird nicht leicht. Die tiefe Trauer, die das Vereinigte Königreich nach Elizabets Ableben am 8. September erfasste, ist ein Zeugnis ihrer Beliebtheit. Charles selbst sah man an, wie sehr er um seine Mutter trauerte, als er sich am Freitag auf den Weg vom schottischen Balmoral nach London machte, um dort die Trauerfeierlichkeiten zu leiten - aber auch seine Ära als Monarch einzuleiten. 

Der mit den Pflanzen spricht

Bis zu seiner Krönung wird es noch einige Monate dauern. Doch der Titel ist laut Tradition sofort nach Elizabeths Tod auf ihn übergegangen. Sieben Jahrzehnte hat die britische Monarchin regiert und ihre Landsleute und ihre Familie durch private Kalamitäten und politische Katastrophen gesteuert. Ihr Sohn tritt keine leichte Nachfolge an - ihm schlägt längst nicht so viel Sympathie entgegen wie seiner Mutter. 

Früher galt Charles als Exzentriker. 1986 gab er bekannt, dass er mit seinen Pflanzen spreche, weil sie damit besser gediehen. Der Prinz umarme außerdem lieber Bäume als Menschen, hieß es. 2019 erklärte er, dass er jedem Baum, den er pflanze, die Hand – respektive einen Ast  – schüttle und ihm viel Glück beim Wachsen wünsche. 
Heutzutage aber gilt es nicht mehr als verhaltensauffällig, mit Pflanzen zu sprechen. Der grüne Vater der Nation, Fernsehlegende David Attenborough, stellte in einer neuen Sendung Anfang des Jahres fest, Charles habe recht gehabt: „Wir sollten uns mehr mit unseren Pflanzen beschäftigen.“ Umweltschutz und der Kampf gegen den Klimawandel sind das Gebot der Stunde geworden. Der Zeitgeist hat Charles eingeholt. 

Als Prinz ein Öko-Visionär

Gerade er als Vertreter einer konservativen Zunft – den Aristokraten – ist in der Umweltfrage ein Visionär. Charles hat schon vor Jahrzehnten eine Firma gegründet, die Bio-Gemüse gepflanzt und verkauft hat. „Duchy Originals“ hat er 1990 ins Leben gerufen und später in ein Jointventure mit einer der britischen Supermarktketten eingebracht. Bio-Gemüse kann sich nicht jeder leisten, sein Engagement wurde deshalb als Luxusprojekt kritisiert. Dennoch: Die Idee und auch die Umsetzung waren eine progressive Idee.

Als Prince of Wales konnte sich der Königinnensohn noch in die politischen Geschäfte einmischen. Auf der UN-Klimawandelkonferenz Cop26 hielt er im vergangenen November die Eröffnungsrede. In Glasgow sprach er damals klare Worte: „Der Klimawandel ist eine existentielle Bedrohung.“ Und: „Wir müssen uns gegen den Klimawandel wehren, als ob wir einen Krieg führten.“

Als King Charles III. muss er jetzt dagegen über der Politik stehen. So steht es in der Jobbeschreibung: Vom König dieser konstitutionellen Monarchie wird politische Neutralität erwartet. Ob er es schafft, auf diesem schmalen Grat zwischen königlicher Zurückhaltung und leidenschaftlichem Aktivismus zu wandeln? Einen Vorteil hat seine neue Position allerdings schon: Als König kann er zwar offiziell nicht so klare Worte sprechen, ihm gehört aber das Ohr vieler Spitzenpolitiker in Britannien und der ganzen Welt, die er in Ausübung seiner neuen Pflichten ab nun noch mehr als früher ständig treffen wird. 

Progressiver als die Regierung

Auf jeden Fall ist es eine interessante Pointe, dass King Charles III. in Fragen von Umwelt und Ernährung progressiver ist als seine eigene Regierung. Liz Truss, die neue Premierministerin, hat ein auch für Konservative erstaunlich rechtslastiges Kabinett bestellt. Sie hat einen Minister für Business und Energie eingesetzt, der ein Klimawandel-Skeptiker ist. Jacob Rees-Mogg hält den Kampf gegen Klimawandel für „Alarmismus“. 

Rees-Mogg setzt sich jetzt für Fracking im Königreich ein und dafür, auch den letzten Tropfen Öl und alles verbliebene Gas vor der schottischen Küste aus dem Meer zu holen. Das passiert unter dem Eindruck der Energiekrise und dem Versuch, sich von russischem Gas und Öl unabhängig zu machen. Aber gerade bei erneuerbarer Energie kann diese Regierung etwas von ihrem neuen König lernen. Liz Truss fand bisher, sie wolle „lieber Tiere und Getreide auf den britischen Feldern sehen als Solarpanels“ und Windräder.

Die Zwänge des Protokolls 

Generell wird König Charles III. sich aus dem politischen Tagesgeschäft wie seine Mutter heraushalten. Eines seiner Hauptinteressen muss es naturgemäß auch sein, sein Vereinigtes Königreich zusammenzuhalten. Die Schotten murren seit dem Brexit, gegen den sie gestimmt hatten, und drohen, aus dem Verbund mit England auszutreten, das für den Austritt aus der EU gestimmt hatte. King Charles könnte wie schon seine Mutter auf die schottischen Untertanen einwirken, sich doch nicht für unabhängig zu erklären.

Schon in seiner Rolle als Prinz von Wales wurde genau beobachtet, ob er das royale Protokoll mit politischen Stellungnahmen zu brechen drohte. Bei einer Rede in Berlin 2020 sprach er einmal fast das B-Wort aus: „Das Vereinigte Königreich hat sich zu einer Zukunft außerhalb der EU entschlossen, und das Verhältnis zwischen unseren Ländern entwickelt sich weiter.“ Das war zwar nicht gerade eine revolutionäre Rede, und Charles ließ auch nicht erkennen, ob er diese neue Zukunft für rosig hielt oder nicht. Dennoch wurde er von der britischen Boulevardpresse kritisiert. Vor allem hatte Charles den Dichter John Donne zitiert: „Kein Land ist eine Insel.“

Neue Rolle als Familienoberhaupt

Neben seinen erheblichen repräsentativen Pflichten, denen Charles nun statt seiner Mutter nachkommen muss, ist er auch Familienoberhaupt geworden. Die Windsors sind vielleicht über die Politik erhaben, nicht aber vor Familienzwist gefeit. Wird er seinen Bruder Andrew zurück in die Familie holen? Das schwarze Schaf des Clans hat Schande über die Familie gebracht, weil er unter Pädophilie-Verdacht steht und von Jeffrey Epstein und Ghislaine Maxwell mit minderjährigen Prostituierten versorgt worden sein soll. Die Queen hatte ihren Sohn schweren Herzens von allen royalen Pflichten entbunden. 

Pikant wird auch der Umgang des Königs mit seinem zweitgeborenen Sohn werden. Prinz Harry ist mit seiner Frau Meghan dem goldenen Käfig entflohen. Meghan hat den Royals vorgeworfen, dass ihr Sohn Archie bei Geburt keinen Prinzentitel erhalten habe, weil er keine rein weiße Haut habe. Meghan selbst hat eine schwarze Mutter und einen weißen Vater. Den Vorwurf, die Windsors seien rassistisch, hat ihr die Familie bisher nicht verziehen. Die Herzogin von Sussex war deshalb am Donnerstag auch nicht gemeinsam mit ihrem Mann Harry nach Balmoral geeilt. 

Privatleben mittlerweile geordnet

Charles hat zu diesen Zwistigkeiten bisher geschwiegen. Immerhin hat sich sein eigenes Privatleben beruhigt. Nach der skandalösen Scheidung von seiner ersten Frau Diana, die 1997 bei einem Autounfall starb, hat er sein Glück – wenn man den Boulevardzeitungen und royalen Experten trauen darf – mit seiner Jugendliebe und zweiten Frau Camilla gefunden. „Queen Consort“ Camilla – so ihr offizieller Titel – wich ihrem König in den ersten Stunden nach dem Tod seiner Mutter nicht von der Seite.  

Ein erstes Signal der Güte und Gnade könnte King Charles III. jetzt setzen. Da seine Mutter verblichen und er an ihrer Stelle König geworden ist, sind zwei Titel als HRH – His or Her Royal Highness – freigeworden. Die nächsten in der Linie sind Harrys Kinder. Archie könnte demnächst also doch noch ein Prinz werden. Und bei seiner Schwester käme die Erhebung in den Stand der Prinzessin überhaupt einer Versöhnung gleich. Sie heißt nach ihrer Urgroßmutter Lilibet. 

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