Islamischer Antisemitismus - „Die Goebbels’sche Hetze kehrt in die Kinderzimmer von Muslimen zurück“

Am Sonntag brüllten muslimische Demonstranten auf Berlins Straßen „Tod den Juden!“ - nicht zum ersten Mal. Der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel spricht im Interview über die historischen Wurzeln des islamischen Antisemitismus und die zurückhaltende Kritik daran, unter dem Banner des vermeintlichen Antirassismus.

Ein gläubiger Vater liest seinem Sohn aus dem Koran vor / dpa
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Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Matthias Küntzel, Jahrgang 1955, ist promovierter Politikwissenschaftler und Historiker. Er beschäftigt sich mit Islamismus und Antisemitismus. In seinem 2019 erschienenen Buch „Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand“ thematisiert er die Entstehung eines islamischen Antisemitismus, der durch eine Synthese von Nazi-Propaganda und islamischem Antijudaismus ermöglicht wurde.

Herr Küntzel, in Ihrem Buch „Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand“ stellen Sie eine gewagte These auf. Sie gehen davon aus, dass der islamische Antisemitismus durch Nazi-Propaganda entstand. Wie kam es dazu? 

Was der frühe Islam kannte, war Antijudaismus, also eine religiös begründete Judenfeindschaft. Im islamischen Antisemitismus, wie ich ihn definiere, fließen der frühislamische Antijudaismus und der europäische Antisemitismus, der eine jüdische Weltverschwörung unterstellt, zusammen. Es war ab 1937 ein erklärtes Ziel der Nazis, das antijüdische Ressentiment vieler Araber antisemitisch zu radikalisieren. Mit den arabisch-sprachigen Übertragungen ihres Kurzwellensenders in Zeesen erreichten sie Muslime aus dem gesamten Nahen Osten und nutzten dabei den Islam, um ihren Antisemitismus auch dort zu verankern.  

Was waren Inhalte dieser Radioübertragungen auf Radio Zeesen? 

In mehreren Sprachen des Nahen Ostens wurden judenfeindliche Koranverse zitiert, die in dieser Einseitigkeit viele Jahrhunderte lang im Nahen Osten keine Verbreitung gefunden hatten. Zudem begannen die arabischen Übertragungen oft mit Koransuren, sodass sich muslimische Hörer angesprochen fühlten und den weiteren Inhalten lauschten. Ziel war es, die Araber, Türken und Iraner gegen Juden aufzustacheln. Gleichzeitig verbreiteten die Nazis eine arabischsprachige Broschüre mit dem Titel „Judentum und Islam“, mit der sie einen besonders hasserfüllten Hadith bekannt machten.

Auf welchen Hadith beziehen Sie sich? 

Es handelt sich um die folgende Äußerung, die angeblich von Mohammed stammt: „Die Stunde (der Auferstehung) wird nicht kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen. Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum versteckt und Stein und Bäume dann sagen: O Moslem. O, Diener Gottes. Da ist ein Jude hinter mir: Komm und töte ihn.“ Dies ist ein besonders grausamer Hadith, der viele Jahrhunderte im Nahen Osten keine Rolle spielte und kaum bekannt war und erst auf Veranlassung der Nazis massenhafte Verbreitung fand. Dieser Hadith ist heute Bestandteil der Charta der Hamas. Selbst der türkische Regierungspräsident Recep Tayyip Erdogan nahm darauf Bezug, als er sich antisemitischer Ressentiments bediente.  

Inwiefern unterscheidet sich der frühislamische Antijudaismus vom europäischen Antisemitismus? 

Der frühislamische Antijudaismus basierte auf Mohammeds Erfahrungen mit Juden. Er unterscheidet sich vom christlichen Antijudaismus insofern, als im Islam nicht die Juden den Propheten töteten, sondern der Prophet die Juden. Deshalb galten die Juden im Frühislam als feige und schwach, da Mohammed sie oft besiegen und demütigen konnte. Ebenso wie die Christen wurden sie fortan als Dhimmis ausgesondert und diskriminiert. Solange sie sich unterordneten, durften sie nach islamischem Recht offiziell nicht zur Konversion gezwungen oder getötet werden. Sie mussten jedoch eine Spezialsteuer zahlen und sich Muslimen gegenüber stets demütig verhalten. Erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Dhimmi-Status schrittweise abgebaut. Es begannen liberalere Zeiten für Juden im Nahen Osten, die dann aber gerade auch deshalb von aufgehetzten Muslimen gehasst wurden.

Spielt die Nazi-Propaganda von damals unter Muslimen in Deutschland auch heute noch eine Rolle? 

Ja, durchaus. Die Goebbels’sche Hetze, die zwischen 1939 und 1945 von Berlin aus in die arabische Welt verbreitet wurde, kehrt heute durch TV-Sender wie „al-Manar“, den Sender der Hisbollah, oder dem Hamas-Sender „al-Aqsa TV“ in deutsche Wohnstuben und selbst in die Kinderzimmer von Muslimen zurück. Es sollte uns große Sorge bereiten, dass auch die Anhänger der Muslimbruderschaft, einer Organisation, die mit den Nazis 1938 aktiv kooperierte, in Deutschland immer selbstbewusster auftreten. 80 bis 90 Prozent aller in Deutschland wirkenden Imame kommen aus dem Ausland. Sie wurden zum Beispiel in der Türkei oder dem Iran ausgebildet, werden von dort finanziert und können in der Regel kein Deutsch.  

 

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Linksliberale Vertreter der Identitätspolitik sprechen sich gegen eine Kritik an migrantischen Verbänden und Strukturen aus. Diese Kritik – so ihr Credo – müsse aus der migrantischen Community selbst stammen und sei rassistisch, wenn sie von der Mehrheitsgesellschaft geäußert werde.  

Das halte ich für Unsinn. Wer Antisemitismus verbreitet, muss kritisiert werden, egal ob als „Bio-Deutscher“ oder als „Migrant“. Es gilt, Antisemitismus jeglicher Couleur zu bekämpfen. Bei der deutschen Linken gibt es leider die Tendenz, jeden, der antiamerikanisch ist, als potentiellen Freund zu betrachten und bei radikalen Islamisten beide Augen zuzudrücken.  

Linke gehen zudem davon aus, dass Islamismus eine Reaktion auf die amerikanische Außenpolitik ist.  

Die Programme der Islamisten liegen vor und beweisen, dass diese – gänzlich unabhängig von den USA – eine Strategie und eine sehr spezifische Agenda haben. Für einen Gutteil dieser Linken gilt jedoch, dass niemand so blind ist wie derjenige, der nicht sehen will.  

Woher stammt diese Zurückhaltung linker Kreise beim Antisemitismus unter Muslimen? 

Zum Teil ist es schlicht Angst und der Versuch, zu beschwichtigen. Über bestimmte Probleme in migrantischen Communitys dürfe man nicht sprechen, weil andernfalls, so glaubt man, Gewalt und Ausschreitungen drohten. Man füttert das Krokodil – so Churchills Aperçu – in der Hoffnung, dass es einen zuletzt frisst. Diese Haltung scheint mir weit verbreitet zu sein.  

Zum Teil ist es paternalistische Herablassung: Viele unterstellen den Muslimen, dass diese mit einem kritischen Diskurs nicht umgehen könnten. Diese Herangehensweise halte ich für rassistisch, da sie Muslimen die Kritikfähigkeit abspricht, die man anderen, zum Beispiel Europäern, ganz selbstverständlich unterstellt. Last but not least dürfen wir nicht vergessen, dass ein Großteil der Linken scharf antizionistisch eingestellt ist. Da ist man über Unterstützung von muslimischer Seite eher dankbar!

Wie schätzen Sie die Bedrohung für jüdische Mitbürger durch Antisemitismus unter Muslimen ein?  

Für Juden, die in dörflichen Gegenden leben, dürfte der Antisemitismus von Nazis eine größere Gefahr darstellen. Allerdings lebt der Großteil der Juden in Städten, und dort wächst die Gefahr durch islamistische Übergriffe auf Juden stetig. Es ist ein sehr trauriger und eigentlich unglaublicher Zustand, dass jüdische Eltern aus Angst vor Übergriffen ihren Kindern sagen müssen, sie sollen in der Öffentlichkeit keine jüdischen Symbole tragen.   

Aktuell bauen zahlreiche arabische Staaten im Rahmen des von Trump initiierten Abraham-Abkommens ihre Zusammenarbeit mit Israel aus. Es werden erstmals diplomatische Beziehungen aufgenommen. Es ist sogar vom Entstehen einer Nahost-Nato die Rede. Können diese neu entstehenden diplomatischen Beziehungen zwischen einstigen Erzfeinden zu einer Abnahme antisemitischer Ressentiments unter arabischen Zugewanderten in Deutschland führen? 

Leider wird das Abraham-Abkommen – dieser schrittweise Versöhnungsprozess zwischen Israel, den Juden und der arabischen Welt – seitens der deutschen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Dabei kann dieses Abkommen auch für das Zusammenleben von Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschland von großer Bedeutung sein. Das Abkommen könnte – wenn es sich weiter so positiv wie bisher entwickelt – den israelbezogenen Antisemitismus unter Zugewanderten zurückdrängen und für die Wahrnehmung des Nahostkonflikts auch hierzulande neue Zugänge ermöglichen. Deshalb müsste es eigentlich aktiv unterstützt und massiv beworben werden. Leider kann davon bislang keine Rede sein.  

Das Gespräch führte Ilgin Seren Evisen.

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