Maybrit Illner über das Afghanistan-Desaster - „Federführend ist der Außenminister“

Woran ist der Westen in Afghanistan gescheitert? Darüber diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen. Weil kein verantwortlicher Minister kommen wollte, wurde ein CDU-Politiker an den Pranger gestellt. Eine noch unglücklichere Figur machte aber die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.

Gruppenbild ohne Außenminister / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Eines gleich vorweg: Nein, Außenminister Heiko Maas war nicht bei Maybrit Illner, als sie am Donnerstag vorzeitig aus der Sommerpause zurückkehrte, um mit ihren Gästen über das beschämende Ende des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zu sprechen: „Triumph der Taliban – woran ist der Westen gescheitert?“ Die Verteidigungsministerin, der Innenminister, die Kanzlerin oder ihr Kanzleramtschef allerdings auch nicht. Sie alle waren von der Redaktion angefragt worden, aber keiner wollte kommen. Was Maybrit Illner zu der bissigen Formulierung veranlasste: „Es ist Wahlkampf, und da versuchen vor allem die Politiker zu fliehen – vor ihrer Verantwortung für das Desaster am Hindukusch.“

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Es klang wie eine Entschuldigung dafür, dass diese Sendung  mit der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, der Afghanistan-Korrespondentin Katrin Eigendorf, dem Bundeswehrverbandschef André Wüstner und der Washington-Post-Korrespondentin Souad Mekhennet weitgehend ohne Schlagabtausch auskommen musste. Für einen Polit-Talk ist das so etwas wie ein Todesurteil. Seine  Dramaturgie ist die eines Kasperletheaters. Und wer schaut sich das an, wenn das Krokodil fehlt?

Ein CDU-Außenpolitiker als Buhmann 

Diesen Part übernahm Johann Wadephul. Und der stellvertretende CDU-Fraktionschef und Außenpolitiker machte dabei keine gute Figur. Er versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten ist, seit jene Bilder von Menschen um die Welt gingen, die sich auf dem Flughafen von Kabul an einer Maschine des US-Militärs festklammerten. Es sind Bilder von verstörender Symbolkraft. 20 Jahre Afghanistan-Einsatz, einfach ausradiert. 49 deutsche Soldaten, umsonst gestorben. Was bleibt, ist die nackte Angst vor dem Terrorregime der Taliban.

Ob die Bundesrepublik ihren ersten Krieg verloren hat, fragte Maybrit Illner den CDU-Politiker Wadephul. Nein, antwortete der, sie habe ihren ersten schwierigen Einsatz absolviert, der erfolgreich gewesen sei – zumindest am Anfang. Da sei viel erreicht worden, vor allem für die Frauen. „Es waren 20 gute Jahre für Afghanistan.“ Dass der Einsatz ein so „unwürdiges“ Ende genommen hatte, nun, das sei nicht die Schuld der Deutschen gewesen. „Wir wollten noch bis Januar bleiben, aber US-Präsident Biden hat uns unter Druck gesetzt.“

Rettungspläne in der Schublade 

Das war nur die halbe Wahrheit. Zwar hatte der Abzug der US-Truppen tatsächlich ein heilloses Chaos zur Folge. Die Taliban haben mit ihrem  Durchmarsch am Ende alle überrumpelt, sogar die Geheimdienste und Militärs. Doch Pläne für eine Evakuierung der Ortskräfte, ohne die der Nato-Einsatz nicht möglich gewesen wäre, hätten seit April in der Schublade der Militärs gelegen, sagte der Chef des Bundeswehrverbandes, André Wüstner.  Es sei aber nicht Sache der Streitkräfte, zu entscheiden, wann man damit beginnen will. „Es ist eine politische Frage.“ Wer dafür die Verantwortung trage, wollte Maybrit Illner wissen. Wüstner wollte erst nicht antworten. Dann tat er es doch. „Federführend ist der Außenminister.“

Was das für die deutschen Soldaten in Afghanistan bedeutet, beschrieb der Oberstleutnant in eindringlichen Worten. Menschen die versuchten, auf das Gelände des Flughafens von Kabul zu gelangen, die aber von US-Militärs daran gehindert werden. „Das ist eine unsägliche, chaotische Situation, sehr gefährlich und belastend. Man müsse entscheiden, wen man da mitnimmt. „Menschen, die einem weinend gegenüberstehen, ob ja oder nein.“

Afghanistan als Wahlkampf-Thema 

Auftritt Annalena Baerbock. Die grüne Kanzlerkandidatin hatte in den vergangenen Wochen nur mit Meldungen über eine geschönte Biographie, abgeschriebene Passagen in ihrem Buch oder über eine fulminante Ortskenntnis in ihrem eigenen Wahlkreis von sich reden gemacht. Bei Illner konnte sie nach langer Zeit endlich mal wieder auftrumpfen – dachte sie zumindest. Schließlich war es ihre Fraktion gewesen, die noch vor der Sommerpause im Bundestag gefordert hatte, die Vergabe von Visa für Ortskräfte zu beschleunigen. Vergeblich. Sowohl die CDU als auch die SPD stimmten dagegen. „Das muss man doch jetzt selbstkritisch einräumen: Dass da ein schwerer politischer Fehler getan worden ist. Anstatt das jetzt schönzureden.“   

Dabei, behauptete sie, wollten die Grünen das Thema Afghanistan aus dem Wahlkampf heraushalten. Schließlich gehe es jetzt darum, Menschenleben zu retten. Aber Menschen sind offenbar nicht gleich Menschen. Baerbock sprach ausdrücklich nur von jenen Ortskräften, die sich als Dolmetscher oder Scouts und Informanten für die Streitkräfte den Anspruch erworben hatten, Asyl in Deutschland zu reklamieren.

Baerbock taktiert 

Menschen, über die die ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf sagte, es gehe ihnen schlecht, sehr schlecht. Einige irrten seit Tagen durch Kabul und würden am Flughafen von einem Gate zum nächsten geschickt. Sie würden mit Tränengas beschossen und von US-Soldaten weggeschickt. Sie wisse nicht mehr, was sie diesen Menschen sagen solle. Wenn es selbst das ZDF mit seiner „Manpower“ nicht schaffe, sie aus dem Land zu holen, was werde dann erst aus den Menschen ohne Infrastruktur im Rücken?   

Eine gute Frage. Hunderttausende Afghanen würden ihr Land lieber heute als morgen verlassen, weil sie sich im Schutz des deutschen Militärs vom Steinzeit-Islam der Taliban emanzipiert haben. Über die verlor Baerbock aber kein Wort. Aus rein taktischen Erwägungen. Würde sie fordern, dass Deutschland auch all jene aufnehmen müsse, die sonst noch auf der Todesliste der Taliban stehen, würde sie das Stimmen im Wahlkampf kosten. Und so weit geht die Menschenliebe der Grünen dann eben doch nicht. „Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, wäre die Bundeswehr gar nicht mehr in Afghanistan“, hielt ihr Johann Wadephul vor. Schließlich hätten die Grünen der letzten Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes gar nicht zugestimmt.

„Man hat sich erpressbar gemacht“

Was aber passiert mit den Ortskräften und den Gegnern der Taliban, wenn sie nicht rechtzeitig evakuiert werden können? Auf diese Folgen wies Souad Mekhennet hin, die aus Frankfurt zugeschaltete Korrespondentin der Washington Post: „Man hat den Taliban ein sehr großes Pfund überlassen – nämlich Menschenleben. Man wird jetzt verhandeln müssen. (...) Man hat sich erpressbar gemacht. Und das ist traurig.“ Das Afghanistan-Desaster werde auch Auswirkungen für künftige Auslandseinsätze der Nato haben, prophezeite Mekhennet. Auch in anderen Ländern brauche man schließlich Menschen, die Streitkräfte mit Insider-Informationen versorgten. „Die werden sich diese Bilder jetzt alle anschauen und denken: Sollte ich mein Leben aufs Spiel setzen für westliche Staaten, wenn ich am Ende im Stich gelassen werde?“

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