Druck auf Ungeimpfte - Lockdown für zwei Millionen Österreicher

Seit Montag gelten in Österreich Ausgangsbeschränkungen – aber nur für Ungeimpfte. Damit erhöht die Regierung den Druck auf den widerspenstigen Teil der Bevölkerung bei den Corona-Maßnahmen. Kanzler Alexander Schallenberg nennt es einen Schritt, den man „nicht leichten Herzens“ gehe. Die rechte FPÖ spricht dagegen von „Impf-Apartheid-Fanatikern“.

Unter anderm im Rahmen von Verkehrskontrollen wird in Österreich nun auch der Impfstatus geprüft / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Es ist kein halbes Jahr her, dass der ehemalige Bundeskanzler der Republik Österreich, Sebastian Kurz, „ausschließlich positive Nachrichten“ bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie zu verkünden hatte. „Die Pandemie ist für alle vorbei, die geimpft sind“, sagte kurz Ende Juni im Pressefoyer des Ministerrates. Die Inzidenz war kurz zuvor unter 10 gefallen, und die Alpenrepublik schien endlich wieder Licht am Ende des Corona-Tunnels zu sehen.

Nun, Mitte November, hat die Realität die Zuversicht von damals eingeholt. Die Zahl der Ansteckungen ist, wie in Deutschland auch, in den vergangenen Wochen rapide angestiegen. Mitte November liegt die Inzidenz in Österreich bereits bei rund 850. Pandemietreiber sind, folgt man den Daten der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), vor allem die Ungeimpften. Bei den nicht-immunisierten Zwölf- bis 17-Jährigen, also weder doppelt geimpft noch genesen, ist die Ansteckungsrate beispielsweise 16-mal höher als bei den immunisierten Altersgenossen. Insgesamt liegt die Inzidenz bei den Ungeimpften bei rund 1700.

Die österreichische Regierung greift deshalb zu einem rabiaten Mittel, das in der EU derzeit noch einzigartig ist – und hat einen Lockdown ausschließlich für Ungeimpfte beschlossen. Und zwar deutlich früher als ursprünglich angedacht. Im Stufenplan der Regierung war eigentlich vorgesehen, erst bei einer Zahl von 600 belegten Intensivbetten einen solchen Lockdown auszurufen. Aktuell sind es laut den Behörden rund 430. Doch wegen der hohen Inzidenzzahlen und lauter werdenden Rufen nach einem Lockdown für alle hat sich die österreichische Regierung unter Kurz-Nachfolger Alexander Schallenberg (ÖVP) entschieden, die Maßnahme vorzuziehen.

Die Wut steigt weiter

In der Folge wird der ungeimpfte Teil der Österreicher vorerst für zehn Tage weitgehend vom öffentlichen Leben ausgeschlossen – und damit rund zwei Millionen Österreicher von ihren geimpften oder genesenen Landsleuten separiert. Ungeimpfte dürfen ihr Zuhause in den kommenden Tagen nur aus triftigen Gründen verlassen. Hierzu gehört die Grundversorgung, also das Einkaufen im Supermarkt, Arztbesuche oder der Weg zur Arbeit. An der Arbeitsstelle selbst hat die Regierung eine 3G-Regelung verordnet. Einzige Ausnahme bilden ungeimpfte Genesene, sofern ihre Genesung nicht länger als sechs Monate her ist.

Aus pandemiepolitischer Sicht mag die Maßnahme Sinn machen. Gleichwohl wird die gesellschaftliche Debatte über das Impfen – die in Österreich ähnlich kompromisslos geführt wird wie hierzulande – weiter verschärft. Während Österreichs Bundeskanzler Alexander Schallenberg in einer Pressekonferenz von einem Schritt sprach, den man „nicht leichten Herzens“ gehe, steigt die Wut bei jenen, die die Corona-Maßnahmen der österreichischen Regierung schon länger kritisch sehen.

Herbert Kickl, Chef der rechten FPÖ, wirft der Regierung aus ÖVP und Grünen unter anderem vor, „ihre Hetzkampagne gegen Ungeimpfte auf einen neuen traurigen Höhepunkt“ zu bringen. Kickl spricht in dem Zusammenhang von „Impf-Apartheid-Fanatikern“ und warnt davor, dass Ungeimpfte „vielleicht bald ein öffentlich sichtbares Zeichen tragen“ müssten. Die FPÖ hat außerdem angekündigt, ihren Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen auszubauen und Klage beim österreichischen Verfassungsgerichtshof einzureichen. Das Gericht hatte Ende Juli bereits die eine oder andere umstrittene Corona-Maßnahme gekippt, darunter ein teilweises Betretungsverbot für öffentliche Orte.

Wunderbare Zeiten für echte Kriminelle

Gestritten wird in Österreich aber nicht nur über die Maßnahme an sich, sondern auch über deren Umsetzung. Während die FPÖ bereits „wunderbare Zeiten für echte Kriminelle“ kommen sieht, hat der österreichische Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) angekündigt, dass die Kontrollen durch ein „engmaschiges Netz“ erfolgen sollen. Was das konkret bedeutet, erklärt eine Sprecherin der Wiener Polizei so: „Die Überprüfung wird sowohl im Rahmen des normalen Streifendienstes erfolgen als auch von hierfür speziell ‚abgestellten‘ Kräften. Man wird vor allem an den öffentlichen Bereichen kontrollieren, wo Menschen in engen Kontakt treten“, heißt es auf eine schriftliche Anfrage des Cicero. Darunter fallen auch öffentliche Verkehrsmittel und der Einzelhandel, für den in Österreich ohnehin eine 2G-Regelung gilt.

Weiter heißt es aus Wien: „Soweit es möglich ist, werden die Polizisten bei anderen Routinekontrollen wie z.B. Fahrzeuganhaltungen auch die Lockdown-Bestimmungen mitkontrollieren. Die Überprüfung der 2G erfolgt wie gehabt mittels der (Corona-)Applikation ‚Green Check‘ sowie einem Abgleich mit einem Lichtbildausweis.“ Bei Übertretungen der aktuellen Covid-Maßnahmen sollen, so die Sprecherin, die Polizisten die betroffenen Menschen informieren und sie auffordern „den gesetzmäßigen Zustand wiederherzustellen“. In dem Zusammenhang könne es aber auch zu Organmandaten, also Strafzetteln, und Anzeigen kommen.

Dass die Lockdown-Kontrollen eine Art Einfallstor für kriminelle Umtriebe an anderer Stelle seien, sieht die Sprecherin nicht: „Der Bevölkerung möchten wir ausdrücklich versichern, dass durch den Vollzug der Maßnahmenverordnung für Ungeimpfte die sicherheitspolizeiliche Grundversorgung durch den exekutiven Streifendienst in keiner Weise beeinträchtigt wird“, heißt es. Dies ergebe sich schon alleine „aus der Rechtsgüterabwägung in Notfällen und dem Priorisierungsprinzip in der Einsatzdisposition“.

Lockdown auf dem Land

Die österreichische Hauptstadt ist das eine, das andere sind die ländlichen Regionen, vor allem die Bundesländer Niederösterreich (88 Einwohner pro Quadratkilometer), Salzburg (78), Steiermark (76), Burgenland (74), Tirol (60) und Kärnten (59). Zum Vergleich: In Mecklenburg-Vorpommern, dem am wenigsten dicht besiedelten deutschen Bundesland, sind es 69 Einwohner pro Quadratkilometer. Die Frage drängt sich auf: Wie soll die Polizei für die Einhaltung der Lockdown-Regeln sorgen, wo nicht regelmäßig eine Polizeistreife vorbeikommt?  

Im Bundesland Kärnten etwa gibt es 72 Polizeiinspektionen. Laut Kärntner Landesregierung sieht der Stellenplan rund 1240 Beamte für den Dienst in diesen Polizeinspektionen vor. Allerdings belaufe sich die tatsächliche Verfügbarkeit, teilt eine Sprechern Cicero mit, auf nur etwa 70 Prozent. Laut Ankündigung seien zwei Streifen pro Bezirk vorgesehen. „Das wären dann 10 Bezirke/20 Streifen/40 Mann/Frau“, rechnet die Sprecherin in einer schriftlichen Antwort vor und kommt zu dem Schluss: „Mit dieser Anzahl wird es schwierig, ein engmaschiges Netz zu bewerkstelligen.“ Die vorgesehnen Kontrollen seien damit nur unter „Vernachlässigung anderer dienstlicher Aufgaben möglich“. Und weiter: „Es ist nicht Aufgabe der Polizei die Corona-Kontrollen zu bewerkstelligen. Das ist Aufgabe der Gesundheitsbehörde. Der Polizei kommt nur eine Mitwirkung zu.“

Anruf in Innsbruck. Vonseiten der Tiroler Landesregierung heißt es gegenüber Cicero, dass die Sicherheitsbehörden in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden ein entsprechendes Konzept entwickelt hätten, um die Einhaltung der Lockdown-Maßnahmen für Ungeimpfte zu kontrollieren. Tirol setzt, ähnlich wie die Republikhauptstadt Wien, einerseits auf Stichproben und bindet die Lockdown-Kontrolle andererseits in polizeiliche Maßnahmen wie Verkehrskontrollen ein. „Personal steht ausreichend zur Verfügung“, heißt es aus Innsbruck.

Der zusätzliche Druck, der durch 2G-Regelungen und den nun in Kraft getretenen Lockdown für Ungimpfte entstanden ist, habe in Tirol zudem dazu geführt, dass die Zahl der Erstimpfungen wieder deutlich gestiegen sei. „Es ist spürbar, dass die neuen Maßnahmen Menschen zum Impfen animieren“, heißt es vonseiten der Tiroler Landesregierung. Um dem Rechnung zu tragen, habe man das Impfangebot erweitert und die Öffnungszeiten der Impfzentren verlängert. In Tirol wird neben Innsbruck auch in Imst, Schwaz, Wörgl, Kitzbühel, Lienz und Landeck geimpft. Die Verantwortlichen hoffen nun, dass die Ansteckungszahl bald wieder rückläufig ist.

Ein Test reicht nicht mehr aus

Blick nach Deutschland: Die Ampelparteien haben ihren Gesetzesentwurf über den künftigen Umgang mit den Corona-Maßnahmen, der jüngst erstmals im Bundestag diskutiert wurde, bereits nachgeschärft. SPD, Grüne und FDP wollen zwar weiter am Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite festhalten, um laut eigenen Angaben mehr Rechtssicherheit bei den Corona-Maßnahmen zu gewährleisten. Gleichzeitig sollen, anders als angekündigt, nun aber doch Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten Raum in den Maßnahmenkatalog aufgenommen werden. Und obwohl es hierzulande derzeit nicht danach aussieht, dass ein Lockdown nur für nicht-immunisierte Menschen kommen wird, steigt der Druck auf die Ungeimpften weiter.

Ebenfalls am Montag hat Berlin eine flächendeckende 2G-Regelung eingeführt. Vorerst dürfen nur noch vollständig Geimpfte oder Genesene Restaurants besuchen oder ins Theater gehen. Die 2G-Verordnung der Berliner Senatskanzlei gilt zudem für private Feiern ab 20 Personen. In Innenräumen sind maximal 50 Personen erlaubt. In Bayern wiederum, wo die 7-Tage-Inzidenz mit rund 500 bundesweit mit am höchsten ist, werden sich Ungeimpfte ebenfalls auf Einschränkungen einstellen müssen.

Überall im Freistaat, wo bisher die 3G-Regel galt, wird jetzt auf 2G umgestellt. Das heißt, dass Ungeimpften vorerst der Zugang zu Veranstaltungen, zu Fitnesstudios oder zu Schwimmbädern verwehrt bleibt. Auch Restaurants und Hotels darf in Bayern ab Dienstag, 16. November, nur noch betreten, wer nachweislich doppelt geimpft oder genesen ist. Ein Test reicht also nicht mehr aus. Im deutschen Bundesdurchschnitt liegt die Inzidenz derzeit bei 300. Sollte die Anteckungszahl weiterhin merklich steigen, dürften auch Forderungen nach drastischeren Maßnahmen wieder zunehmen. Etwa die nach einer 3G-Regelung im öffentlichen Nahverkehr.

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