Kontroverse um Gabriele Krone-Schmalz - Russland richtig verstehen

Die Journalistin Gabriele Krone-Schmalz geht gerichtlich gegen die Osteuropa-Historikerin Franziska Davies vor, die Krone-Schmalz Nähe zum Putin-Regime unterstellt hatte. Diese Auseinandersetzung geht schon bis auf das Jahr 2014 zurück.

Lobt die Entspannungspolitiker Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier: Gabriele Krone-Schmalz / dpa
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Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Frage an Radio Eriwan: „Stimmt es, dass auf dem Roten Platz in Moskau unter verdienten Werktätigen Autos verlost werden?“ Radio Eriwan antwortet: „Im Prinzip ja. Doch es ist nicht der Rote Platz in Moskau, sondern der Bahnhofsvorplatz von Tscheljabinsk. Und es handelt sich nicht um Autos, sondern um Fahrräder. Und sie werden nicht unter den verdienten Werktätigen verlost, sondern ihnen gestohlen.“

An diesen bekannten Witz aus der Sowjetzeit erinnert eine Passage aus dem Bestseller „Russland verstehen“ der früheren TV-Journalistin Gabriele Krone-Schmalz. In dem 2015 erschienenen Buch legt sie dar, wie bewaffnete ukrainische Nationalisten das Parlament in Kiew besetzen und die Abgeordneten zwingen, ein Gesetz zu beschließen, dass die russische Minderheit im Land diskriminiert. Doch dieser Angriff auf Volksvertreter fand keineswegs in Kiew statt, sondern in Simferopol, dem Sitz des Krim-Parlaments. Und es waren nicht ukrainische Milizen, sondern russisches Militär. Und die Abgeordneten mussten keine antirussischen, sondern antiukrainische Maßnahmen beschließen.

Diese Passage ist bei weitem nicht die einzige Stelle, die das Gros der Rezensenten dazu veranlasst hat, das Buch zu verreißen. Es beinhaltet nämlich auch eine ganze Reihe anderer inhaltlicher Fehler, und es wimmelt darin von Halbwahrheiten, weil die Autorin Fakten, die ihrer Hauptthese widersprechen, schlicht unterschlägt. Und diese These lautet: Der Westen, insbesondere die Nato, hat Putin in den 2014 begonnenen Krieg Russlands gegen die Ukraine getrieben. Jedenfalls bekam Krone-Schmalz das Etikett „Putin-Versteherin“.

Doch damit möchte sich die ehemalige Moskau-Korrespondentin nicht abfinden und will nun offenbar ein Exempel statuieren. Ausgesucht dafür hat sie sich die Münchner Osteuropa-Historikerin Franziska Davies. Diese hatte Krone-Schmalz über Twitter als „eine langjährige und vehemente Verteidigerin des verbrecherischen Putin-Regimes“ bezeichnet und ihr vorgehalten, als Russland-Expertin aufzutreten, aber die Erkenntnisse der Wissenschaft über das Russland von heute komplett zu ignorieren.

Der Verlag C.H.Beck hat die Bücher von Krone-Schmalz aus dem Programm genommen

Davies bekam eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, außerdem wurde sie zur Übernahme der bisherigen Anwaltskosten von Krone-Schmalz in Höhe von 2500 Euro aufgefordert. Den Termin für die Unterzeichnung der Erklärung ließ die Historikerin allerdings verstreichen. Stattdessen machte sie die Causa öffentlich – und löste damit eine Welle von Solidaritätserklärungen aus dem akademischen Milieu aus. Was Krone-Schmalz zusätzlich ärgern dürfte: Am Donnerstag hat ihre Widersacherin Franziska Davies gemeinsam mit Katja Makhotina für ihr Buch „Offene Wunden Europas“ den mit dem 10.000 Euro dotierten Bayerischen Buchpreis erhalten.

Die auch von anderen Hochschullehrern an Krone-Schmalz geübte massive Kritik hatte bereits im Frühjahr den renommierten Verlag C.H.Beck veranlasst, ihre Bestseller über Russland aus dem Angebot zu nehmen. Die Kritiker verweisen auch auf den Investigativjournalisten Jürgen Roth, laut dem sie ein Salär von deutschen Unternehmen bekommen hat, die mit Gazprom Geschäfte machten. Gegen ihn ging Krone-Schmalz nicht gerichtlich vor, was als Beleg für die Darstellung Roths angesehen wird.

Einer breiten Öffentlichkeit war die Frau mit der charakteristischen Frisur, die sich heute mit einem Professorentitel der kleinen privaten Hochschule Iserlohn schmückt, als Moskau-Korrespondentin der ARD Ende der 80er-Jahre bekannt geworden. Allerdings war sie schon damals nicht unumstritten. So wurde ihr vorgeworfen, über die von Michail Gorbatschow mit großer Geste angekündigten Reformen so zu berichten, als wären sie längst Realität, und habe dabei übersehen, dass dieser die Demokratiebewegungen im Baltikum und Kaukasus brutal unterdrücken ließ.

Die ARD appellierte damals angesichts des wirtschaftlichen Chaos während der Perestroika, das Millionen Menschen verarmen ließ, an die Bundesbürger, für Hilfspakete nach Russland Geld zu spenden. Krone-Schmalz unterstützte die Aktion durch emotionale Reportagen. Doch ein Berater Gorbatschows regte sich im Hintergrundgespräch mit mehreren Korrespondenten darüber auf: Es sei eine extrem dumme Aktion, die dem Kremlchef massiv schade. Denn sie liefere seinen Gegnern im Parteiapparat das Argument, er habe die Sowjetunion so weit heruntergewirtschaftet, dass die Russen nun Almosen ausgerechnet von den Deutschen bekämen, die sie im Zweiten Weltkrieg heroisch niedergerungen hätten.

Niemand kann Krone-Schmalz guten Willen absprechen

Es war also gut gemeint, aber leider nicht gut gemacht. Auch heute möchte niemand Krone-Schmalz guten Willen absprechen, ein gutes Verhältnis zwischen Deutschen und Russen ist ihr Herzensangelegenheit. Natürlich verurteilt sie den Krieg und fordert sofortige Friedensverhandlungen.

Doch ihrer Hauptthese, der Westen habe die Angebote Putins zur engen Zusammenarbeit arrogant ausgeschlagen, widerspricht sie selbst. Denn sie lobt die Entspannungspolitiker Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier, die eine „Modernisierungspartnerschaft“ und einen „Wandel durch Verflechtung“ propagierten. In Wirklichkeit war es Putin, der die Angebote des Westens nicht aufgegriffen hat, schon allein deshalb, weil er nicht verstehen wollte, dass die Basis jeglicher internationaler Kooperation Rechtssicherheit ist. Er ließ nämlich nicht nur die ohnehin nur rudimentär ausgeprägte Unabhängigkeit der russischen Gerichte wieder kassieren, sondern auch die Medien gleichschalten – und schuf damit die Voraussetzung für die jegliche Innovation bremsende Korruption in dem Riesenreich.

 

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Genauso wenig trifft der Vorwurf von Krone-Schmalz auf Washington zu: George W. Bush äußerte nach dem ersten Treffen mit Putin begeistert, er habe diesem in die Augen geschaut und seine Seele gesehen. Beide gaben sich gegenseitig grünes Licht für den „Kampf gegen den Terrorismus“: Bush in Afghanistan, Putin in Tschetschenien. Den Beitritt der drei baltischen Republiken zur Nato 2004 kommentierte Putin auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Schröder mit den Worten: „Hinsichtlich der Nato-Erweiterung haben wir keine Sorgen mit Blick auf die Sicherheit der Russischen Föderation.“ Wenig später bekräftigte er, jedes Land habe „das Recht, seine eigene Form der Sicherheit zu wählen“. Auch Bushs Nachfolger Barack Obama machte viele Angebote zur Zusammenarbeit. Nach dem russischen Einmarsch in Georgien 2008 – von Krone-Schmalz ebenfalls verteidigt - verkündete Obama sogar einen „Reset“ in den Beziehungen zwischen Washington und Moskau.

Wie wenig sie von den ehemaligen Sowjetrepubliken versteht, belegt ihr gebetsmühlenartig wiederholter Vorwurf, der Westen habe „Russlands Sicherheitsinteressen“ sträflich ignoriert. Denn zum einen haben russische Autoren in ihren Fachpublikationen zur Sicherheitspolitik nie das Bild einer drohenden Invasion aus dem Westen gezeichnet. Zum anderen offenbart Krone-Schmalz ein Großmachtdenken in Einflusszonen und riskiert damit, in die Tradition Bismarcks und Ribbentrops gestellt zu werden, die den Ländern zwischen Deutschland und Russland kein politisches Lebensrecht zugestanden haben.

Die Krim und der Donbass wollten nie russisch werden

Wie sehr sie sich das imperiale, kolonialistische Denken des Kreml zu eigen gemacht hat, belegen ihre Ausführungen zur ersten Phase des Krieges 2014. Die Annexion der angeblich durch und durch russischen Krim verteidigte sie als „Notwehr unter Zeitdruck“. Doch auch hier sind ihre Prämissen grundfalsch: Bei der letzten Volkszählung 2001 bezeichneten sich lediglich 58 Prozent der Einwohner der Halbinsel als Russen, 25 Prozent als Ukrainer, 12 Prozent waren Krimtataren. In den folgenden Jahren hat sich der Anteil der Russen durch Abwanderung noch weiter verkleinert, zum Zeitpunkt der Annexion stellten sie nur eine knappe Mehrheit der Einwohner. Ihrem politischen Willen entsprach die Annexion nicht, denn bei den letzten Regionalwahlen davor hatte die für den Anschluss an Russland eintretende Partei „Vereinigung“ ganze 4 (in Worten: vier) Prozent bekommen. Unter den Krim-Russen betrachtete man nämlich den Status als autonome Region der Ukraine mit Steuer- und Kulturhoheit als Schutz vor den „gierigen Moskowitern“. Man fürchtete, der Machtapparat Putins und die Oligarchen würden ihnen die Hotels, Strände und Weinberge wegnehmen. Und genau dies ist nach 2014 passiert.

All diese Informationen fehlen in den Darstellungen von Krone-Schmalz, so wie sie auch ungeprüft die Version Putins übernimmt, dass die russischsprachige Bevölkerung im Donbass von ihm „befreit“ werden wollte. In Wirklichkeit sind dort die Parteien, die den Anschluss an Russland propagierten, nie über 15 Prozent der Stimmen hinausgekommen. Fakt ist vielmehr, dass es auch in den russischsprachigen Regionen traditionell einen starken ukrainischen Patriotismus gab, dessen Bezugspunkt der Kampf der freien Kosaken gegen Moskau ist.

Ganz im Sinne der Kreml-Version spricht sie aber von den einheimischen „Separatisten“, die sich im Donbas gegen Kiew erhoben hätten. Sie versteigt sich sogar zur Behauptung, diese ließen sich „von Moskau nichts sagen“. Dabei ist längst belegt, dass fast alle Schlüsselpositionen in den „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk von den russischen Geheimdiensten besetzt wurden. Die Komitees der Soldatenmütter, die Putin mittlerweile verbieten ließ, konnten nachweisen, dass mindestens 15.000 russische Soldaten unter falscher Flagge an den Kämpfen der Jahre 2014 und 2015 beteiligt waren.

Krone-Schmalz spricht von einem antirussischen „Mainstream“ in den Medien

Als der Kreml bereits mehr als 100.000 Mann an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen hatte, warf sie wenige Tage vor der Eskalation des Krieges am 24. Februar auch dem Westen „Säbelrasseln“ vor. Als dann russische Bomber und Raketen Kiew, Charkiw, Lwiw und andere ukrainische Großstädte angriffen, räumte sie kleinlaut ein: „Ich habe mich geirrt.“ Dann schwieg sie, aber nur für ein paar Wochen, um mit unverminderter Verve ihre alten Thesen unters Volk zu bringen: Der Westen habe Putin in den Krieg getrieben. Sie offenbart damit allerdings ein ausgesprochen naives Politikverständnis, denn sie kann nicht belegen, warum der Westen Putin zur brutalen Kriegsführung in Tschetschenien, Syrien und nun in der Ukraine gezwungen haben soll oder zu den Anschlägen der russischen Geheimdienste auf Kritiker im In- und Ausland.

Überdies spricht sie von einem antirussischen „Mainstream“ in den Medien. Doch kann sie nicht die Drahtzieher benennen, die die FAZ ebenso wie die taz dazu bringen sollen, einmütig gegen Putin Position zu beziehen. Das Geraune vom gesteuerten „Mainstream“, als dessen Opfer Krone-Schmalz sich inszeniert, erinnert sehr an die Parolen von der „Lügenpresse“ aus dem Lager der rechten Verschwörungstheoretiker. Es ist kein Zufall, dass sie von dort besonders lauten Beifall bekommt.

Breite Zustimmung findet sie auch bei ihren öffentlichen Auftritten, ihr Vortrag in der Volkshochschule Reutlingen wurde mittlerweile mehr als eine Million Mal auf YouTube angeklickt. Sie trifft nämlich die Sehnsucht nach Frieden. Man möchte dazu mit Radio Eriwan antworten: Im Prinzip ist es gut, dass Volkshochschulen sich an öffentlichen Debatten beteiligen. Doch sollte dabei auch eine argumentative Auseinandersetzung garantiert sein. Die Verantwortlichen würden sich den Vorwurf ersparen, mit öffentlichen Geldern Putin-Propaganda zu unterstützen, wenn sie Streitgespräche organisierten: die streitbare Bestsellerautorin gegen einen Kritiker oder eine Kritikerin vom Fach, beispielsweise die bestens informierte Franziska Davies.

Nun nimmt Gabriele Krone-Schmalz unter den allermeisten deutschen Russland-Experten in Universitäten, Thinktanks und Medien eine vergleichbare Stellung ein wie Gerhard Schröder in der Politik: Der Ruf ist ramponiert. Dabei steht außer Zweifel, dass sie mit ihrem Eintreten für eine deutsch-russische Zusammenarbeit, so wie Schröder, nur gute Absichten hatte. Doch bekanntlich zählen im realen Leben letztlich nicht die Absichten, sondern die Ergebnisse.

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