Kampf ums Präsidentenamt in Frankreich - Rechte Selbstzerfleischung

Vier Männer und eine Frau kämpfen um das Präsidentenamt in Frankreich. Zunächst allerdings geht es erst einmal darum, wer als Kandidat das bürgerlich-konservative Spektrum vertreten darf. Den Favoriten Macron dürfte es freuen.

Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, hält eine Rede am 2. September in Marseille / dpa
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Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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Eine überbordende Nabelschau bis hin zur Selbstdemontage gilt gemeinhin als Spezialität der Linken, aber was Frankreichs Rechte in dieser Hinsicht derzeit auffährt, ist ebenfalls aller Ehren wert. Und das schon ein halbes Jahr vor der Wahl.

Kaum hatten die Konservativen bei den landesweiten Regionalwahlen im Juni dieses Jahres ausgesprochen erfolgreich abgeschnitten, begann das große Hickhack. Offenbar besoffen vom eigenen Erfolg kündigten die beiden überzeugend wiedergewählten Regionalpräsidenten Valérie Pécresse (Île de Frane) und Xavier Bertrand (Hauts-de-France) ihr Interesse an noch höheren Weihen an. So weit, so normal. Nichts anderes war von den zwei Parteigranden erwartet worden. Doch dann kamen drei weitere Männer plus ein Schattenkandidat aus der Deckung, alle vom heftigen Wunsch beseelt, für das konservative Parteienbündnis Les Républicains anzutreten.

Vorgeschobene Verfahrensfragen

Und weil in der Politik sehr häufig Verfahrensfragen vorgeschoben werden, wenn die inhaltlichen Differenzen zu groß sind, ist vor der Wahl nicht einmal geklärt, wie denn der oder die endgültige Kandidatin ausgewählt und bestimmt werden soll. Ob nun per Abstimmung der Delegierten auf einem Parteitag oder wie es die Statuten vorsehen durch Vorwahl, ähnlich den US-amerikanischen Primaries. So handhaben es im Übrigen gerade die französischen Grünen durchaus aufmerksamkeitsheischend.

Da ist zunächst Michel Barnier, der Mann, der für die EU die Brexitverhandlungen mit Großbritannien führte. Sein Problem: In Europa kennt man Barnier als harten und erfolgreichen Verhandler, nicht aber in Frankreich. Barnier war zwar 2004/05 Außenminister der Republik und später zuständig für Landwirtschaft, aber seit nunmehr zwölf Jahren ist er in der französischen Politik keine Hausnummer mehr. Da hilft auch nicht, wenn ausgerechnet der vormalige EU-Kommissar Barnier populistisch „das Ende der deutschen Dominanz in Europa“ fordert und die „Wiedererlangung der vollen rechtlichen Souveränität“. Das Manöver ist zu durchsichtig, um Barnier mehr als nur Außenseiterchancen zu eröffnen.

Der Falke

Das gilt wohl auch für Éric Ciotti. Der Law-and-order-Mann ist der Falke unter den fünf Kandidaten. Er nähert sich zunehmend den Positionen des Rassemblement National von Marine Le Pen an. Neben rechtlich fragwürdigen Positionen wie etwa der Verhaftung und Abschiebung von Eltern, deren Kinder der Schulpflicht nicht nachkommen, hat Ciotti mehrfach betont, in einem Zweiten Wahlgang zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen für letztere zu stimmen und auch allen diese Wahl zu empfehlen. Das klärt seine Haltung, aber es bleibt sein Geheimnis, warum ihn das für die eigene Kandidatur qualifizieren sollte.

Der Arzt und Afghanistan-Veteran Philippe Juvin bewirbt sich ebenfalls. Als Leiter einer großen Pariser Klinik hat er in der Covid-Pandemie landesweit Aufmerksamkeit erreicht, in den Élysée dürfte ihn das dann aber eher nicht bringen.

Der Schattenmann

Der ehemalige Parteivorsitzende Laurent Wauquiez ist der Schattenmann. Viele hatten fest mit dem Sarkozy-Getreuen gerechnet, aber er lehnt die Rückkehr in die große Politik ab – noch. Denn im Moment vermag niemand abzuschätzen, wie der Prozess der Kandidatenkür sich entwickelt.

Favoriten sind Pécresse und Bertrand. Valérie Pécresse, die sich selbst als „zwei Drittel Merkel und ein Drittel Thatcher“ beschreibt, kann Wahlen gewinnen, wie zuletzt beim Regionalvotum bewiesen. Allein, die Ena-Absolventin ist die nahezu idealtypische Besetzung der Pariser Elite und Großbourgeoisie. Wie sie sich ernsthaft von Macron abheben will, dessen Wirtschaftspolitik sie eins zu eins teilt, ist kaum zu erkennen.

Der Gegenentwurf

Bliebe Xavier Bertrand, so etwas wie der Gegenentwurf zu Pécresse. Der schwere, joviale Präsident der Region Hauts-de-France – rund um Calais an der belgischen Grenze – präsentiert sich als Mann des Volkes, verbindet ultrakonservative Positionen mit Ideen, die in Deutschland der Arbeitnehmerflügel der CDU vertritt. Vielleicht fände Bertrand in der Bevölkerung den größten Rückhalt, aber zunächst müsste er die Nominierung bewerkstelligen, und in der Partei gilt er als Einzelgänger.

Und noch wird nur der oder die aussichtsreichste Kandidatin der bürgerlichen Rechten gesucht. Der amtierende Präsident Emmanuel Macron wird sicher erneut antreten, auch wenn er sich bislang nicht erklärt hat. Und nur er, der in Frankreich klar auf der rechten Seite verortet wird, darf sich ziemlich sicher sein, im ersten Wahlgang die circa 25 Prozent Stimmen zu erhalten, derer es wohl bedarf, um in die Stichwahl der zweiten Runde zu kommen.

Konkurrenz für Marine Le Pen

Und Rechtsaußen ist ja noch Marine Le Pen. Aber selbst sie, die jüngst mit 98 Prozent zur Kandidatin gewählte Chefin des Rassemblement National, muss sich mit einem Konkurrenten aus dem eigenen Lager herumplagen. Der Ex-Journalist Éric Zemmour kandidiert und wird Stimmen aus dem rechtsradikalen Lager binden. Der islamophobe Zemmour, mehrfach verurteilt wegen „Aufstachelung zu Rassenhass“, kennt keine Verbündeten. Feminismus hält er für „eine Kriegserklärung gegenüber dem weißen heterosexuellen Mann“; und über Le Pen urteilt er, „sie weiß doch selbst, dass sie keine Wahl gewinnen kann“.

Der frisch gewählte Vorsitzende des Rassemblement National Jordan Bardella keilt denn auch direkt zurück, Zemmour „schmarotze in der Wählerklientel von Le Pen und schade der gemeinsamen Sache“. Einmal in Fahrt, charakterisierte er das bürgerliche Lager und dessen Selbstzerfleischung bei der Kandidatenauswahl wörtlich als „toten Stern, der unterdessen mehr Kandidaten als Unterstützer“ habe.

Und so zerlegt sich die Rechte in Frankreich gerade selbst. Zwei Rechtsradikale und mindestens eine weitere rechte Stimme, die sich um das Amt des Staatspräsidenten bewerben, das nützt ausschließlich dem Favoriten Macron – und wer weiß, am Ende vielleicht gar der Linken.

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