Telefonat zwischen Joe Biden und Xi Jinping - Der strategische Rivale

In einem ersten Telefonat haben Joe Biden und Xi Jinping Konflikte und Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausgelotet. Die USA stellen ihre China-Politik nicht auf den Kopf, sondern setzen dort an, wo Donald Trump endete. Und die Beziehungen könnten sich bald noch verschlechtern.

Ein Toast auf die neue Weltordnung: Chinas Staatschef Xi Jinping / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Wenn bisher vom mächtigsten Mann der Welt gesprochen wurde, war der amerikanische Präsident gemeint. Inzwischen folgt dieser Formulierung die Rückfrage: „Wer? Joe Biden oder Xi Jinping?“ China hat sich in den letzten beiden Jahren der Präsidentschaft von Donald Trump endgültig aus der Rolle der abwartenden Weltmacht erhoben. Diese Emanzipation begann mit Trumps Absage an die noch von Präsident Obama verhandelte Transpazifische Partnerschaft (TPP), eine Dummheit galaktischen Ausmaßes, die China nutzte, um mit der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) die größte Freihandelszone der Welt und den Pazifik ökonomisch ohne die USA zu organisieren.

Die EU schloss mit China ebenfalls noch kurz vor Bidens Amtsantritt das EU-China Comprehensive Agreement on Investment; nicht die USA – mit TPP und TTIP -, sondern China wird zur Angel internationaler Investitions- und Handelsvereinbarungen. Die Präsidentschaft Trumps endete mit einem Corona-Krisenmanagement, das an selbstverletzendes Verhalten heranreichte. 

China nutze diese Lage, um sich in der Bewältigung der Pandemie und im unaufhaltsamen ökonomischen Ausgriff als die stärkere, effizientere und besser organisierte Macht darzustellen. Dass beide Seiten sich gegenseitig ökonomisch verwunden können und auch dazu bereit sind, hatten die letzten Jahre dokumentiert. Das setzt ihr Verhältnis neu auf: China hat sich aus der Zurückhaltung weltpolitischer Ambitionen gelöst. Präsident Xi sieht die USA im unaufhaltsamen Abstieg. Und die USA sehen klarer als zuvor, welcher Konflikt auf sie zukommt. Joe Biden hat China als strategischen Rivalen der USA charakterisiert, blieb in seiner öffentlichen Kritik aber zurückhaltend.

Zahlreiche Konfliktlinien

Im ersten Gespräch zwischen den beiden mächtigsten Männern der Welt wurden nun, soweit es bekannt ist, Konflikte und Möglichkeiten der Zusammenarbeit gleichermaßen angesprochen. Konflikte gibt es wegen unfairer Wirtschaftspraktiken, wie sie schon seit Jahren bestehen. Auch die Handelsungleichgewichte wurden von amerikanischer Seite aufgeführt. Die Strafzölle gegen chinesische Produkte, die Trump eingeführt hat, bleiben erst einmal bestehen. Neue Einschränkungen soll es nach Konsultationen mit den Verbündeten bei weiteren sensiblen Erzeugnissen geben.

Kooperationsmöglichkeiten sollen in der Klimapolitik und beim Waffenhandel thematisiert worden sein. Der Umgang Chinas mit Hongkong und Taiwan sowie die Menschenrechtsverletzungen an der uigurischen Bevölkerung in Xinjiang wurden ebenfalls von amerikanischer Seite angeführt. Die amerikanische Chinapolitik wird also nicht auf den Kopf gestellt, sondern setzt da an, wo Präsident Trump endete und lotet nun aus, was sich in den nächsten Jahren erreichen lässt. 

Zwei wichtige Maßstäbe

Dass Amerikas Außenpolitik nun an zwei Maßstäben gemessen wird, hatte Präsident Biden in seiner Rede im State Department dargelegt: Erstens werde, anders als bei Trump, Demokratie wieder ein wichtigerer Orientierungspunkt in der US-Außenpolitik werden, wie es Bidens Administration in ihrer Reaktion auf den Militärputsch in Myanmar schon zeigte. Und zweitens muss die amerikanische Außenpolitik den US-Bürgern – dem Mittelstand – zugutekommen. Entsprechend verkündete Biden auf Twitter am 11. Februar: „Ich habe ihm (Xi) gesagt, dass ich mit China zusammenarbeiten werde, wenn es dem amerikanischen Volk nützt.“

Eine Aufgabe für die Verbündeten

Wie die Administration Biden diesen Maßstab umsetzen will, werden nicht nur die nächsten Wochen und Monate zeigen, sondern wird auch Amerikas Verbündete aufrütteln. Denn anders als unter Trump soll nun eine gemeinsame Chinapolitik verabredet werden, freilich so, wie sie Washington wünscht: in der Sache sollen China harte Bedingungen für den wirtschaftlichen Austausch präsentiert werden, verbindlich im Ton und freundlich in den Gesten. 

Das wird aber das Verhältnis der beiden Weltmächte zueinander nicht alleine definieren. Denn in Peking hat sich der strukturelle Wandel in den Beziehungen zu den USA mit einer Neubewertung schon verfestigt. Die chinesische Führung geht davon aus, zum Ende der Dekade die größte Wirtschaftsmacht zu regieren, militärisch durchgreifend aufgerüstet zu haben und effektiven politischen Einfluss weltweit reklamieren zu können. Das verändert das Verhältnis zu den USA, weil es die Zurückhaltung Chinas in Konflikten noch weiter senken und die Eskalationsbereitschaft hingegen stärken wird.

Das Ziel Chinas, in allen Branchen künstlicher Intelligenz bis zum Jahr 2035 dominant zu sein oder die Sonderstellung des US-Dollar als Weltreservewährung herauszufordern, bergen dann politischen Sprengstoff, weil sie das Verhältnis zu den USA umkehren würden. Die neue amerikanische Regierung hat schon deutlich gemacht, dass sie weder auf wirtschaftlichem noch auf militärischem Gebiet die internationale Vorrangstellung aufgeben wird. Sie wird militärisch weiter rüsten, die Stellung des US-Dollar verteidigen und gegen China weitere Verbündete suchen, Indien beispielsweise. 

Konflikt um Taiwan

China hingegen will noch in diesem Jahrzehnt militärisch ausreichend gerüstet sein, um einen Konflikt um Taiwan wagen zu können. Eine solche Entwicklung würde beide Seiten zwingen, ihre Eskalationsbereitschaft zu beweisen. Für Präsident Xi ist der Preis begehrter, denn das würde ihm in der Geschichte Chinas einen hervorgehobenen Platz garantieren. Aber der Preis könnte zu hoch sein, wenn China dadurch im internationalen Austausch verletzlicher würde. Denn alle machtpolitischen Kalkulationen in Washington und Peking müssen beachten, dass dieser Weltmächtekonflikt eingebettet in die Globalisierung ausgetragen werden muss. Das unterscheidet die heraufziehenden Widerstreite vom Kalten Krieg und dem Verhältnis der USA zur Sowjetunion. Die politischen Regelungen damals wurden zwischen zwei Mächten vereinbart, die ökonomisch nicht viel miteinander zu tun hatten. Das ist nun anders und die Vorstellung, eine rasche De-Globalisierung könnte regionale Wirtschaftsräume schaffen – wie es mit dem Ziel Resilienz derzeit gefordert wird – geht fehl. 

Rasch wird diese Entkopplung nicht möglich sein und sie wird zudem weiterhin von starken Kräften getragen. Konflikte hingegen können geschwinder auftreten, als die Administrationen in China und den USA darauf vorbereitet sind. Für die EU, deren Unternehmen wirtschaftlich stark engagiert sind und deren Regierungen politisch nur als Zuschauer am Seitenrand stehen, sind Gespräche zwischen Xi und Biden folgenschwer. Noch tasten sich beide Präsidenten ab; ihre Administrationen erwägen die Handlungsmöglichkeiten. Das Ziel ist, die Beziehungen unter (widerstreitender) Kontrolle zu halten. Überraschende Ereignisse sind in der Politik allerdings nicht ausgeschlossen. 

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