
- Wie Xi Jinping die Krise für staatliche Propaganda nutzt
Obwohl die Kommunistische Partei die Verbreitung des Coronavirus mit ihrer Politik der Geheimhaltung befördert hat, feiert sie sich jetzt selbst für ihr Krisenmanagement. Dabei stützt sie sich in erster Linie auf eine ausgefeilte Propaganda. Die hat in China eine lange Tradition.
China wurde zu Anfang des Jahres von einer doppelten Epidemie befallen. Die eine betraf den Körper, die andere aber den Geist. Über die physischen und medizinischen Aspekte wurde viel berichtet. Seit Anfang des Jahres hat der neuartige Coronavirus etwas mehr als 80.000 Chinesen infiziert und mehr als 3.000 getötet. Die vom Virus ausgelöste Krankheit COVID-19 hat sich mittlerweile über die gesamte Welt ausgebreitet, Gesundheitssysteme überwältigt sowie dramatische Kursverluste an den Aktienbörsen ausgelöst. Ängste vor den Auswirkungen der globalen Geißel führen weltweit zu Hamsterkäufen, Grenzschließungen, Ausgangssperren und dem Erliegen des öffentlichen Lebens.
Das Epizentrum der Epidemie ist Wuhan, eine Stadt mit 11 Millionen Einwohnern unter Quarantäne. Dort wurde die Krankheit mit Mut und Stoizismus bekämpft. Hunderte von Ärzte und Krankenschwestern sind krank geworden, und Patienten und Krankenhauspersonal hatten mit einem Mangel an Betten, Sauerstoffflaschen und anderen Hilfsgütern zu kämpfen. Mittlerweile ist das Virus dort offenkundig unter Kontrolle gebracht worden. Die geistig-soziale Dimension hat damit zu tun, dass die Regierung bis heute versucht, die gesellschaftliche Wahrnehmung der Epidemie durch gezielte und systematische Propaganda zu beeinflussen.
Die Mär von der US-Armee und dem Coronavirus
Anfang Januar schritt die Regierung ein und versuchte, Informationen über das Aufkommen der Krankheit zu verhindern. Die Polizei beschuldigte acht Ärzte in Wuhan, Gerüchte über das Erscheinen einer neuen Virus-Krankheit zu verbreiten. Als einer der Ärzte, Li Wenliang, sich am 7. Februar mit dem Virus infizierte und dann starb, wurde ebenfalls die staatliche Zensur mobilisiert. Stundenlang wurden die Nachrichten zu seinem Tod blockiert. Danach versuchte die Regierung, Trauer und Empörung in der Öffentlichkeit zu unterdrücken, indem sie alle Posts zensierte, die sein Schicksal mit dem Fehlen von Presse- und Meinungsfreiheit in Verbindung brachten. Seitdem sich die Situation in China stabilisiert hat, wird wiederum Propaganda eingesetzt: China stellt sich als Vorbild dar und preist die Effizienz und Umsicht, mit der seine Führer angeblich auf die Krise reagiert hätten. Die Bevölkerung wird aufgerufen, dem Präsidenten Xi Jinping und der Partei zu danken.
Die neuste Wendung: China propagiert eine neue Theorie über die Ursprünge des Coronavirus. Es solle sich eigentlich um eine amerikanische Krankheit handeln, die möglicherweise von Mitgliedern der US-Armee eingeschleppt wurde, die Wuhan im Oktober besuchten. Selbst nach den Maßstäben eines autoritären Ein-Parteien-Staats werfen die Bemühungen, die Informationen zum Virus in China und weltweit zu kontrollieren und zu manipulieren, ein grelles Licht auf die politische Kultur, die Präsident Xi Jinping gefördert hat.
Die Verwaltung verharrt in resigniertem Gehorsam
Seit Xi 2018 die Begrenzung seiner Amtszeit aufgehoben hat, hat ein Großteil der staatlichen Verwaltung eine Haltung resignierten Gehorsams eingenommen. Verantwortung und Entscheidungen auf unterer Ebene werden vermieden und die politische Symbolik betont. Als sich das Virus ausbreitete, sorgte die Regierung weltweit für positive Schlagzeilen, indem sie den Bau von zwei Krankenhäusern innerhalb weniger Tage ankündigte. Präsident Xi Jinping stattete am Dienstag Wuhan seinen ersten Besuch seit Ausbruch der Krise ab, ein klarer symbolischer Indikator, dass die Regierung vom Erfolg ihrer Krisenbekämpfung überzeugt ist. Eine offene Berichterstattung über die Situation vor Ort aber gibt es nicht. Sie wird behindert.
Das kommunistische Propagandasystem in China hat eine lange Geschichte und spielt eine zentrale Rolle im umfassenden „Kontrollsystem“ der Kommunistischen Partei. Die chinesischen Kommunisten lernten seit den 1950er Jahre aktiv von den Propagandamethoden der Sowjets, Nazis und anderer totalitärer Staaten, stützten sich aber auch auf die Erfahrungen der kaiserlichen und nationalistischen chinesischen Regierung vor 1949. Propaganda und Indoktrination wurden zu einem Kennzeichen des kommunistischen China. Zensur ist dabei nur eine Seite der Medaille. Die Partei befasst sich viel häufiger mit dem, was man als „proaktive Propaganda“ bezeichnen könnte: Schreiben und Verbreiten von Informationen, die an verschiedene Bevölkerungsgruppen weitergegeben werden sollen.
Meisterpropagandist Mao
Mao Zedong war selbst ein Meisterpropagandist, und er und sein Regime verwendeten während ihrer gesamten Herrschaft eine Vielzahl von Techniken, um Einfluss zu nehmen auf das Denken und die Überzeugungen der Massen. Dazu gehörten Massenmobilisierungskampagnen mit dem Ziel der Konstruktion und Verbreitung von heldenhaften „Vorbildern“, die nachgeahmt werden sollen. Das Arsenal beinhaltet auch den Einsatz von Studiengruppen und ideologischen Beobachtern in der gesamten Gesellschaft, die Inhaftierung zum Zweck der „Umerziehung“.
Die Partei nutzt auch die Veröffentlichung eines stetigen Stroms von Dokumenten zur Verbreitung in Schulen zum Auswendiglernen. Sie kontrolliert die Inhalte des gesamten Bildungssystem strikt. Es gibt eine laufende Überwachung der Inhalte von Zeitungsartikeln und Leitartikeln. Nicht zu vergessen ist die Entwicklung eines landesweiten Lautsprechersystems, das in alle Stadtteile und Dörfer reicht. Dazu kommt die Dominanz der staatlichen Rundfunk- und Fernsehmedien, einschließlich der staatlich kontrollierten sozialen Medien. Bei letzteren kommt auch der Einsatz von Propagandateams und freiwilligen Beobachtern zum Tragen, die unliebsame Nachrichten löschen und Kritiker angreifen.
Von Mao zu Xi Jinping
Viele der Techniken Maos werden von Xi Jinping heute wiederbelebt. Die Geschichte der Schattenseiten des chinesischen Propaganda-Apparates wurde wiederholt – und richtigerweise – erzählt, um zu veranschaulichen, woran das chinesische System krankt: Aufgrund der Geheimhaltung und des Kontrollwahns innerhalb der Kommunistischen Partei wurden viele Tage verloren, in denen Maßnahmen und Pläne hätten umgesetzt werden können. Die Kluft zwischen Propaganda und der täglich erlebten Realität ruft auch Misstrauen hervor. Die Situation in Wuhan hat viele Unzulänglichkeiten und auch Tragödien bloßgelegt, die in den offiziellen Medien nicht erwähnt werden dürfen. Viele Chinesen glauben ihrer Regierung daher wenig. Die massive Propaganda hat das Vertrauen der chinesischen Öffentlichkeit in offizielle Erklärungen zur Krise eher erschüttert.
Aber viele von denen, die bei uns über Chinas Probleme berichteten, sind womöglich ein bisschen zu selbstgefällig. Epidemien haben die Fähigkeit, zugrunde liegende unliebsame Wahrheiten über die Gesellschaften zu enthüllen, in denen sie sich ausbreiten. Was COVID-19 über Europa und die USA verrät – nicht nur über die Regierungen, sondern auch die Gesundheitssysteme, die Leistungsfähigkeit staatlicher Verwaltungen, die liberalen politischen Systems – sollte uns ebenfalls Sorgen machen.