Joe Bidens Präsidentschaft beginnt - Nach der poetisch-pathetischen Inauguration folgt handfeste Politik

Der neue US-Präsident Joe Biden will das Land heilen - mit seiner „ganzen Seele“. Der Poesie der Amtseinführung folgt nun handfeste Politik. Deren Kompromisslosigkeit wird Biden erklären müssen.

Joe Biden hat seine Arbeit als US-Präsident begonnen / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Kann ein Präsident ein gebrochenes Land heilen? Joe Biden gelobte in seiner ersten Rede direkt im Anschluss an seine Vereidigung, dass er bei dieser Aufgabe vorangehen wolle. Und, so deklamierte er pathetisch, seine ganze Seele in diese Aufgabe legen zu wollen. Das war der richtige Ton für die Inaugurationsfeier, die alle vier Jahre in den USA die demokratische Tradition des friedlichen Machtwechsels begeht. Da wird etwas poetischer über Demokratie gesprochen, als es die Prosa der täglichen Arbeit erlaubt; aber soviel Unerlaubtes muss sein, um sich gegenseitig immer wieder des gemeinsamen Ziels zu versichern.

Joe Biden sieht die USA vor einer der schwierigsten Herausforderungen in ihrer Geschichte. Und er benannte sie: Die Pandemie, der wirtschaftliche Einbruch und der Verlust von Arbeitsplätzen, der strukturelle Rassismus, der Klimawandel, die Extremisten, die weiße Vorherrschaft anstreben, und inländischer Terrorismus. Klar, dass der Präsident sagte, all das sei zu bewältigen, die USA könnten aus dieser Probe stärker hervorgehen, als sie bisher waren. Aber die Bedingung dafür benannte er ebenso deutlich: Einigkeit und Toleranz. 

Die USA, die während der Inauguration als vielgestaltige Nation sichtbar wurden, so als könne man den bösen Geist von Donald Trump mit zwei kräftigen Liedern wegsingen, würden den Test bestehen, die derzeitige Generation würde ihrer historischen Verantwortung gerecht werden. Die gebrochene Nation könne so geheilt werden. Das war dem Anlass angemessen, feierlich, würdig und wärmte die Hoffnung all derer, die das Ende der wütenden Präsidentschaft von Donald Trump herbeigesehnt haben.

So schwarz-weiß ist die Präsidentenwelt nicht

Mit diesem Programm geht Präsident Biden nun an die Arbeit. Aber zuvor muss doch noch an zwei Situationen erinnert werden, die alle poetische Wirkungsmacht nicht völlig verhüllen konnte. Zu Recht forderte der neue Präsident, dass in Zukunft die Wahrheit gelten müsse und nicht die Lüge. Das war eine Breitseite gegen seinen alternative Fakten twitternden Vorgänger.

Aber dass die anwesenden Präsidenten damit nicht mehr in Verbindung gebracht werden, zeigt doch, wie kurz das zeitgenössische Gedächtnis ist. Bill Clinton brauchte seine zweite Amtszeit, um eine Lüge auszugleichen. Bushs Irakkrieg baute auf bewussten Lügen auf – und heute gilt er als der respektable republikanische Ex-Präsident. Und Barack Obama kann für seine Amtszeit die Worte Wahrheit und NSA auch nicht in einen widerspruchsfreien Satz packen. So schwarz-weiß ist die heile Präsidentenwelt dann eben doch nicht, wie sie alle vier Jahre am 20. Januar vor dem Kapitol erscheint.

Und als Präsident Biden seine Kollegen im Senat ansprach, weil sie wüssten, wie wichtig Kompromisse seien, da zeigte das Bild den bisherigen Mehrheitsführer Mitch McConnell, der sechs Obama-Jahre nichts anderes tat, als Gesetze zu verhindern und dann Donald Trump den Rücken freizuhalten. Jetzt plaudert er aber schon ganz manierlich mit Biden, was irgendwie als „geht doch“ erscheint. 

Viel Toleranz wird nötig sein

Gravierender aber ist das Programm, das sich Joe Biden für die ersten Tage vorgenommen hat. Gesundheitspolitik: Maskenpflicht und Rückkehr in die Weltgesundheitsorganisation. Pandemiefolgen: Zwangsräumungen aussetzen, Arbeitslosengeld erhöhen, 1.400 Dollar für jeden Amerikaner und Studierendendarlehen stunden. Einwanderungspolitik: Staatsbürgerschaft für die Dreamer und politische Flüchtlinge aufnehmen. Umweltpolitik: Zurück ins Pariser Klimaabkommen und die Pipeline Keystone XL verbieten. Einreisepolitik: den Bann gegen bestimmte Staaten aufheben.

Da werden viele Menschen in den USA sehr viel Toleranz aufbringen müssen, denn das ist – ohne die Vorhaben inhaltlich bewerten zu wollen – ein eher parteiisches Programm und hat mit der Suche nach Kompromissen nichts zu tun. Dies wird Präsident Biden erklären müssen, dann weniger poetisch, sondern sehr handfest.

Die Arbeit am Wiederaufbau der amerikanischen Demokratie hat gerade erst begonnen. Und der neue Präsident wird nicht erwarten können, dass ihm dabei niemand in die Parade fährt. Sein Vorgänger wartet nur darauf, dass die tausenden Migranten aus Honduras an der amerikanischen Südgrenze ankommen, um die Wut seiner Anhänger erneut anzustacheln. Die amerikanische Demokratie hat ihre Feierstunde würdig begangen. Wichtig ist nun, die hehren Ziele in konkrete politische Maßnahmen zu übersetzen, die nicht auf einer Seite gefeiert und auf der anderen verdammt werden. Das ist nicht weniger als die politische Quadratur des Kreises. 

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