Macrons Islam-Rede - Wo bleibt der Weckruf für Deutschland?

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte im Herbst in einer Rede das Islamismus-Problem seines Landes sehr offen benannt. In Deutschland wartet man auf eine solche Offenheit vergebens, schrieb damals Ahmad Mansour. Im Oktober interessierten sich besonders viele Leser für seinen Artikel.

Islamrede als Weckruf für Deutschland: Emmanuel Macron / dpa
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Ahmad Mansour ist Psychologe und Autor. Als Islamismus-Experte beschäftigt er sich mit der Radikalisierung und Unterdrückung im Namen der Ehre und mit Antisemitismus in der islamischen Gemeinschaft. Zusammen mit anderen hat er 2018 die Initiative „Säkulärer Islam“ gegründet. 

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„Wir kommen nicht darum herum festzustellen, dass es einen radikalen Islam in Frankreich gibt.“ Manchmal braucht es nur wenige Worte, um eine große Veränderung einzuleiten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat am Freitag in einer Grundsatzrede den ersten Schritt getan. Hier steckt nicht nur eine Einsicht. Es ist auch ein Schuldeingeständnis, zu lange die Augen verschlossen zu haben. Nach dem erneuten Anschlag unmittelbar in der Nähe der ehemaligen Redaktionsräume von Charlie Hebdo klingt es wie eine Kampfansage: Länger würde man den Islamismus nicht tolerieren. 

Der Islamismus in Frankreich ist sehr selbstbewusst, frech und arrogant geworden. Er bedroht dabei ganz Europa. Auch Deutschland muss sich der Aufgabe von Islamismus-Bekämpfung stellen, und zwar geschlossener, als das bisher der Fall war. Momentan mag der Blick nach Frankreich gehen, doch die islamistischen Attacken sind nicht nur ein französisches Problem. Islamismus ist global, er kennt keine Ländergrenzen, und er ist gut vernetzt. Das, was gerade über Frankreich wütet, kann genauso gut auch Deutschland treffen. Der IS mag erledigt sein, doch das islamistische Gedankengut der Miliz lebt weiter. Die Radikalisierungstendenzen und die Anwerbung Jugendlicher für fundamentalistische Organisationen sind in der Vielzahl immer noch vorhanden. 

Der Islam ist eine Religion in der Krise 

Präsident Macron findet in seiner Rede deutliche Worte. Gemeint ist die Krise, in der eine Ideologie behauptet, ihre eigenen Gesetze sollten denen der Republik überlegen sein. Dabei sollte es außer Frage stehen, dass auch in einer multikulturellen Gesellschaft die Werte Freiheit, Gleichheit und Demokratie durch nichts und niemanden angegriffen, geschmälert und ignoriert werden dürfen. Für Frankreich geht es nun darum, sich den zunehmenden islamistischen Tendenzen und Radikalisierungsprozessen entgegenzustellen. 

Dafür wird es Zeit: Bereits vergangene Woche hatte Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin nach der Messerattacke eingeräumt, dass man „die Entwicklung des Terrors kollektiv ein wenig zur Seite geschoben“ hätte. Eine Aussage, die Macron nun in seiner Rede bestätigt. Frankreich hat den großen Fehler begangen, zu lange die Bildung von Parallelgesellschaften ignoriert zu haben. Die Saat ihrer Ignoranz ernten sie nun in einem entfesseltem Islamismus.

Auch in Deutschland gibt es genügend bewusste und unbewusste Entscheidungen, welche die Bildung genau jener Parallelgesellschaften befördern: wie zum Beispiel die Wohn- und Schulpolitik, die Ghettos entstehen lässt. Auch die staatliche Zusammenarbeit mit fragwürdigen islamischen und islamistischen Vereinen – die von Steuergeldern finanziert werden – führt nicht zur Inklusion, sondern zur Spaltung, weil diese islamistisches Gedankengut befeuern und damit Parallelgesellschaften Auftrieb geben. 

Der Fünf-Punkte-Plan Macrons 

Um der Entwicklung von Radikalismus und Parallelgesellschaften entgegen zu wirken, will Frankreich nun anhand eines Fünf-Punkte-Plans vorgehen. Geplant ist, in Zukunft Moscheen und Vereine besser zu kontrollieren und die Finanzierung aus dem Ausland unter die Lupe zu nehmen, um die Organisationen gegebenenfalls leichter auflösen zu können. Vor allem stehen aber schulische Einrichtungen, Privat- und Koranschulen im Fokus, in denen die Kinder islamistische und undemokratische Werte vermittelt bekommen. Außerdem will Frankreich selbst Imame ausbilden, sodass die Zahl derer aus der Türkei, Tunesien und Marokko geringer wird. 

Schulen, in denen die Kinder Koranlehre, Rezitation und Arabisch lernen, gibt es auch in Deutschland. Die Al-Nur-Moschee in Berlin-Neukölln ist nur ein Beispiel für die vielen Moscheen in Deutschland, die tausende Kinder muslimischer Herkunft am Abend und am Wochenende besuchen, um über den Islam zu lernen. Was der Lehrplan inhaltlich vorsieht, darüber gibt es oftmals von staatlicher Seite keine Kontrolle.

Salafisten sind jetzt schwerer zu kontrollieren

Von Lehrern und Lehrerinnen hört man dagegen äußerst fragwürdige Aussagen der Schüler. Auch in Hamburg hält der Senat an einer Zusammenarbeit mit dem Islamischen Zentrum Hamburg fest, obwohl es seit Jahren deutliche Hinweise gibt, dass dieser Verein Kontakte zum iranischen Regime hat, islamistische Inhalte verbreitet und seine Gegner einschüchtert. Und selbst in Bildungsangeboten, die sich den Kampf gegen Rassismus auf die Fahne geschrieben haben, sind Menschen mit islamistischer Gesinnung aktiv und nehmen latent Einfluss auf Jugendliche und pädagogische Akteure. 

Paradoxerweise hat gerade die Zerschlagung von bundesweiten salafistischen Netzwerken dazu geführt, die fundamentalistischen Aktivitäten lokaler und intransparenter werden zu lassen. Durch die Dezentralisierung sind die salafistischen Akteure nun noch schwerer zu kontrollieren, weil sie aus dem Hintergrund, im Internet oder auch auf Hinterhöfen agieren und versuchen, in kleinen Gruppen für ihre Mission zu werben. Auch unter Frauen wird inzwischen viel im kleinen Raum missioniert. Sowohl im Großen als auch im Kleinen wird versucht, die gefährlichen Ideologien zu verbreiten, und im Schatten können die Akteure ungesehen erstarken, sich innereuropäisch vernetzen, sich der Ressourcen bedienen, bis die Gefahr nicht mehr einzudämmen ist. Sowohl in Deutschland, als auch in Frankreich. 

Der Einfluss aus In- und Ausland muss gestoppt werden 

Zum einen gibt es für Frankreich im Inland Handlungsbedarf, wie eine vierjährige Feldstudie im Januar bereits zu Tage brachte: Dort hatten führende Islamwissenschaftler Alarm geschlagen, da Islamisten dabei seien, heimlich ganze Stadtviertel unter ihre Kontrolle zu bringen und als Gemeindesprecher zu fungieren. Das Besondere daran war die teilweise Komplizenschaft von Islamisten und lokalen Politikern, durch die Wählerstimmen gegen politische Posten getauscht wurden.

Auch mehrere deutsche Skandale in der Vergangenheit zeigen, dass Islamisten und Politiker manchmal gar nicht so fern voneinander sind. So hat es auf lokalpolitischer Ebene Akteure mit sehr fragwürdigen Ideologien gegeben, die in demokratischen Parteien aktiv wurden und diese dafür nutzten, Vereine und Moscheen zu schützen und weniger kritisch zu behandeln, um ihnen weiterhin Zulauf zu ermöglichen. 

Berlin tritt den Schutz der säkularen Werte mit Füßen 

Zum anderen muss in Frankreich der Einfluss aus dem Ausland eingedämmt werden, weshalb der Kampf dagegen von Präsident Macron nun auf die Agenda gesetzt wurde. Er tut richtig daran, wie auch wir in Deutschland gut daran täten, wenn man sich die türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion – kurz Ditib – anschaut, die größte sunnitisch-islamische Organisation in Deutschland. Der verlängerte Arm des türkischen Staats nimmt planmäßig Einfluss auf die Besucher. Die Moscheen sind teilweise keine Orte der Spiritualität, sondern Orte, in denen Politik für den türkischen Staat und seinen Präsidenten betrieben wird

Grundsätzlich sollte es sich ein Staat zur Aufgabe machen, die säkularen Werte in der aufgeklärten Gesellschaft zu schützen. In Berlin sehen wir gerade, wie diese Idee systematisch mit Füßen getreten wird, dank des Berliner Justizsenators Dirk Behrendt. Dieser ist ein entschiedener Gegner des Neutralitätsgesetzes, das unter anderem Kopftuchverbot in Schuldienst, Justiz und Polizei vorsieht und damit genau dem Schutz der säkularen Werte dient. Damit kann verhindert werden, dass zum Beispiel in Schulen direkt vor den Augen des Staates Kinder religiös beeinflusst werden. Um das zu schaffen, muss sich die Politik dagegen stellen. In Frankreich ist dies mit dem Aktionsplan Macrons gerade geschehen. 

Die Angst der Politiker vor den Rechtsradikalen 

Insgesamt markiert die jüngste Grundsatzrede eine Zäsur in der Terrorbekämpfung: Mit der jetzigen Bestandsaufnahme und der daraus resultierenden Einsicht verbunden mit einer Strategie können endlich Taten folgen. Präsident Macron beabsichtigt dabei nicht, Muslime zu stigmatisieren und den Islam zu verteufeln. Es geht um das Zusammenleben in einer vielfältigen Gesellschaft, in der sich alle an die gleichen Grundwerte gebunden fühlen. 

Natürlich ist Islamismus für die Politik kein bequemes Thema. Schnell wird Kritik pauschal als ausländerfeindlich oder islamfeindlich abgestempelt, und die Angst der Politiker ist groß, mit der Erwähnung von Islamismus ein Thema auf die Agenda zu setzen, das von Rechtsradikalen gern aufgegriffen wird. Um diese Strömung nicht zu bedienen, vermeidet man das Thema lieber, oder bezeichnet islamistische Taten als Einzelfälle.

Es gilt, allen den Kampf anzusagen: Rechts, links, islamistisch  

Doch diese stiefmütterliche Behandlung des Themas ist äußerst gefährlich. Grundsätzlich muss der Politik und der Gesellschaft bewusst sein: Extremismus ist in jeder Ausprägung immer mehrdimensional. Wenn der Islamismus erstarkt, erstarken auch die Rechtsradikalen. Erstarken die Rechtsradikalen, sind es die Islamisten und Linksextremisten, die davon profitieren. Wer also zu Recht immer wieder betont, wie verwurzelt und verbreitet rechtsextremes Gedankengut in unserer Gesellschaft ist, darf nicht beim Islamismus die Augen verschließen. Wer genau hinschaut, wird sogar erkennen, wie ähnlich sich extremistische Strömungen sind: Sie alle erwachsen aus bestimmten Erziehungsmethoden, und sie werden durch patriarchalische Strukturen gestützt. 

Teilweise wird zumindest Rechtsradikalismus endlich von Politikern als Bedrohung wahrgenommen. Außenminister Heiko Maas beispielsweise erinnerte vor kurzem auf Twitter an den rechtsextremen Terroranschlag auf dem Oktoberfest vor 40 Jahren, bei dem 13 Menschen getötet und 213 verletzt wurden. Er rief dazu auf, sich dem Wahn des Rechtsextremismus entgegen zu stellen. Was an sich positiv ist, verkehrt sich in Maas’ nächstem Tweet dann zu einem Paradebeispiel, was man als Politiker nicht tun sollte. Dort berichtet der Außenminister nämlich, dass er seinem französischen Kollegen Le Drian Genesungswünsche für Opfer des Messerattentats in Paris überbracht habe. Messerattentat. Kein Wort von islamistischem Terror. Keine Solidarität unter diesem Aspekt. 

Was Wegschauen anrichten kann, haben wir gerade in Frankreich gesehen. Dies sollte für Deutschland ein mahnendes Exempel sein: Wenn wir dieselben Fehler machen, wird es uns ähnlich ergehen. Um wirklich gemäßigt zu sein, darf keine Form des Extremismus verharmlost werden, im Gegenteil: Es gilt, allen – rechts, links, islamistisch – den Kampf anzusagen. 

Was es bedeutet, muslimischer Demokrat zu sein 

Der Attentäter aus Paris begründete seine Messerattacke damit, dass er die kürzlich neu gedruckten Mohammed-Karikaturen „nicht ausgehalten habe“. In diesem Satz spiegelt sich vieles wieder, was Präsident Macron bekämpfen will: Die Ablehnung westlicher Grundprinzipien, in denen die Religion sich dem Grundgesetz unterordnet, eine unreflektierte Emotionalität gegenüber all jenen, die vermeintlich den Islam angreifen, aber auch ein fragiles, auf religiösen Motiven errichtetes Selbstwertgefühl. Der Kampf gegen den Islamismus kann dennoch nicht allein Aufgabe des Staates sein. Es braucht auch vernünftige Stimmen in den muslimischen Reihen. Diese wiederum müssen von Staat und Gesellschaft gehört werden. In Deutschland werden diese im Moment im Stich gelassen. Stattdessen werden lieber konservative Organisationen wie der Zentralrat der Muslime unterstützt. 

Ich selbst bin Muslim und ich bin Demokrat. Mein Islam hat keine Angst vor Kritik, vor Karikaturen und auch nicht vor Satire. Als muslimischer Demokrat muss man die Spannung zwischen Meinungsfreiheit und Religion aushalten, wenn man in einer freien demokratischen Gesellschaft leben will. Ich bin Muslim und stelle die Meinungsfreiheit über meine Religion. Das ist der Deal. Und er ist nicht verhandelbar. Genau das hat Präsident Macron nun endlich und unmissverständlich deutlich gemacht. 

Von Ahmad Mansour ist gerade ein neues Buch erschienen: Solidarisch sein! Gegen Rassismus, Antisemitismus und Hass, S.Fischer Verlag, 128 Seiten, 12 Euro. 

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