Iranische Frauenrechtlerin - Masih Alinedschad: Mit der Blume im Haar

Die Proteste gegen das islamistische Regime im Iran dauern an. Eine der bekanntesten Protagonistinnen dieser Demokratiebewegung ist die Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Masih Alinedschad, die mittlerweile in den USA lebt. Im Exil ist sie zu einer der populärsten Stimmen für Demokratie und Freiheit im Iran avanciert – und macht den Machthabern in ihrer Heimat reichlich Ärger.

Das Markenzeichen der iranischen Frauenrechtlerin Masih Alinedschad: Die Blume im Haar / Isabella De Maddalena
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Darf ich Ihnen etwas vorsingen?“, fragt Masih Alinedschad ­gespielt unschuldig. Der iranische Abge­ordnete mit dem weißen Bart und dem Turban auf dem Kopf lächelt verlegen. Frauen sei das Singen im Iran seit Khomeinis Fatwa verboten, erklärt er. „Meine Stimme ist aber schön“, antwortet Alinedschad – und beginnt zu singen: „Wenn du, Gott, mich zum Weinen bringst, dann rühre ich deinen Himmel, vor Kummer und Tränen.“ Der Abgeordnete, überrumpelt von der Situation, bleibt ob der laufenden Kamera nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Für die Dauer eines Liedes hat Alinedschad das islamische Regime vorgeführt und ihm den Schrecken genommen.

Es ist eine Archivaufnahme, eine der besonders eingängigen Szenen der Dokumentation „Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs“. Die Filmemacherin Nahid Persson Sarvestani erzählt darin Aline­dschads Geschichte: Die heute 46-Jährige wurde in einem kleinen Dorf im Nord­iran geboren. Als das Land gegen den Schah rebellierte, war sie zwei Jahre alt. Schon damals störte sie, dass ihr Bruder tun und lassen konnte, was er wollte – und sie nicht. Dagegen hat sie bereits als Kind aufbegehrt, war später die erste geschiedene Frau im Dorf, die erste, die vor der Ehe schwanger wurde, die erste, die im Gefängnis landete. 

Ein Stachel im Fleisch der Mullahs

Alinedschad war auch die erste Parlamentsreporterin in Teheran und legte sich anschließend als Kolumnistin für eine iranische Zeitung mit dem Mullah-Regime an. Im Jahr 2009, nach gefälschten Wahlen im Land, war sie gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Fünf Jahre später initiierte sie aus dem Exil die Kampagne „Meine heimliche Freiheit“ („My stealthy freedom“), die bis heute andauert. Manches von dem, was Alinedschad für ihren Widerstand erdacht hat, findet sich auch bei den derzeitigen Protesten im Iran wieder, die sich am Tod der 22-jährigen Mahsa Amini entzündet haben und längst abstrahlen auf andere Länder, wo sich vor allem Menschen mit iranischen Wurzeln versammeln, um ein Zeichen in ihre (alte) Heimat zu senden. 

Das Konzept von Alinedschads Protest: Iranische Frauen reißen sich das Kopftuch vom Haupt und filmen ihren Akt zivilen Ungehorsams. Und damit bisweilen auch jene, die sie damit gegen sich aufbringen; von denen sie deshalb beschimpft, geschlagen, mitunter abgeführt werden. Eine solche Protestaktion kann im Iran zu zehn, 20 und mehr Jahren Gefängnis führen. Menschen, vor allem Frauen, verschwinden einfach oder werden von selbsternannten Sittenwächtern totgeschlagen. Alinedschad sagt: „Die Islamische Republik gängelt mit dem Hidschabzwang ganz Iran. Wenn wir diese Mauer sprengen, bleibt nichts mehr übrig von diesem Regime.“ 
 

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Mehr als fünf Millionen Follower hat Alinedschad in den sozialen Medien. Die Frau mit der Blume in der wallenden Lockenmähne, ihr Markenzeichen, ist zur bekanntesten Galionsfigur der iranischen Frauenrechtsbewegung geworden. Sie lebt in New York und ist dennoch ein dicker Stachel im Fleische der Mullahs. Denn ihre Geschichte, ihre Ideen und ihr Protest motivieren viele Menschen im Iran, Frauen wie Männer, ebenfalls Widerstand zu leisten. Ein Dominoeffekt, der auch für Alinedschad nicht folgenlos bleibt. 

Die Bandbreite der Konsequenzen, die sie deshalb ertragen muss, reicht von der Inhaftierung ihr nahestehender Personen im Iran, ihres Bruders etwa, bis hin zu Attentatsversuchen, wie zuletzt, als das FBI einen Mann vor ihrer Haustür festgenommen hat, der eine geladene Waffe dabeihatte. Und immer wieder erhält sie Botschaften, in denen ihr mit Vergewaltigung und Tod gedroht wird. Manche Drohungen sind gänzlich anonym, andere wie ein Theaterstück inszeniert. Dann etwa, wenn ein Dutzend Islamisten auf dem Boden eines kargen Raumes sitzen und sie nachäffen. Videos, die manchmal obskur sind, aber immer beängstigend. 

Unter Polizeischutz

In den USA steht Alinedschad mittlerweile unter besonderem Schutz. Denn der jüngste Attentatsversuch auf sie – aber auch der Messerangriff auf den Autor Salman Rushdie („Die satanischen Verse“) – haben gezeigt, dass der Einfluss des Islamismus weit über die Grenzen des Iran und anderer Länder hinausreicht, in denen im Namen einer Religion unterdrückt, gefoltert und gemordet wird. Doch Aline­dschad und ihr Mann, der Journalist Kambiz Foroohar, kämpfen weiter unbeirrt ihren Kampf. Alinedschad, eine immer quirlige, manchmal auch überdrehte Frau, tritt in Diskussionsrunden auf und als gefragte Interviewpartnerin. Die meiste Zeit aber sammelt und veröffentlicht sie Videos jener Menschen, die noch im Iran sind und Mitschnitte ihres eigenen Protests an sie schicken. 

Meist weiß Alinedschad gar nicht, wer diese Menschen sind. Doch verschwindet mal wieder eine Frau, weil sie aufbegehrte, oder ein Mann, weil er gegen das Regime protestierte, ruft Aline­dschad in den sozialen Medien dazu auf, Informationen über die Person zu sammeln, und erzählt anschließend ihre Geschichte. So gibt Alinedschad der Ungerechtigkeit im Iran viele Gesichter; Hunderte, Tausende. Für die einen macht sie das zur Feindin, für die anderen zur Heldin. Es gibt Kinder, junge Mädchen, die ihr aus dem Iran Bilder schicken. Dafür kopieren sie Aline­dschads Aussehen: unbedecktes Haupt – und eine Blume im Haar.

 

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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