Großbritannien - Wird Julian Assange nach Amerika ausgeliefert?

Der Gründer von Wikileaks sitzt schon seit drei Jahren in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis. Nun hat ein Londoner Gericht seine Auslieferung in die USA genehmigt. Innenministerin Priti Patel muss formell noch zustimmen. Die Entscheidung über die Auslieferung könnte bereits in einem Monat fallen.

Julian Assanges Kurzauftritt vor dem Westminster Magistrates Court, gesehen von der Gerichtszeichnerin Elizabeth Cook / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Julian Assange bleibt ein Unfreier. Selbst zu seinem eigenen Verfahren in London durfte der 50-jährige Gründer der Aufdecker-Plattform Wikileaks nicht persönlich erscheinen. Der australische Aktivist wurde per Video aus dem britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh zugeschaltet. In Hemd und Krawatte bestätigte er bloß seinen Namen und sein Geburtsdatum. Dann war er wieder weg.

Der Westminster Magistrates Court hat am 20. April nach sieben Minuten die Auslieferung Assanges an die USA genehmigt. Nun muss Innenministerin Priti Patel bis zum 18. Mai entscheiden, ob sie der Auslieferung des Australiers zustimmt oder nicht. Die Konservative Priti Patel gilt als Hardlinerin in Boris Johnsons konservativem Kabinett. Sie ist eine glühende Brexit-Anhängerin. Seit dem Austritt aus der EU ist die von England so bezeichnete „Special Relationship“ zu den USA von noch größerer Bedeutung. Deshalb spricht einiges dafür, dass Patel der Auslieferung zustimmen könnte.

Seit Julian Assange 2006 Wikileaks gegründet hat, ist er nicht mehr Herr über sein eigenes Leben. 2010 publizierte der Australier eine Serie von Dokumenten, die von einem US-Soldaten – Bradley  Manning, seit einer Geschlechtsumwandlung 2013 Chelsea Manning – aus der US-Armee an ihn geleakt worden waren. Die Videos und Protokolle zeigten amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und Afghanistan. Seitdem jagt die amerikanische Justiz den sendungsbewussten Aufdecker. Ihr Argument: Die Wikileaks-Veröffentlichungen hätten das Leben von Geheimdienstmitarbeitern gefährdet.

Kriegsverbrechen aufgedeckt

Assange und seine Anhänger dagegen sehen Meinungs- und Medienfreiheit bedroht. „Assange ist einer der bedeutendsten Journalisten unserer Zeit. Was hier passiert, ist ein Angriff auf die Freiheit der Medien“, sagte der unabhängige Journalist Richard Medhurst nach der Verhandlung vor dem Gerichtsgebäude. Assange habe Kriegsverbrechen aufgedeckt, und die Tatsache, dass jetzt er ohne Urteil im Gefängnis sitze und nicht jene westlichen Politiker wie George W. Bush oder Tony Blair, die diese Kriegsverbrechen im Irak und Afghanistan zu verantworten hätten, spreche Bände: „Alles, was er getan hat, waren Akte von Anti-Imperialismus.“

Das sieht auch „Reporter ohne Grenzen“ so. Eine soeben gestartete Petition fordert: „#FreeAssange“. Zurzeit liegen die Unterschriften noch weit unter dem Ziel von 50.000.

Assanges Team – vertreten wird er von der Anwaltskanzlei Birnberg Peirce Solicitors – schießt jetzt mit allem, was es hat, zurück. Die Anwälte werden Patels Büro in den kommenden Wochen eine Stellungnahme übermitteln, in der sein Fall und die Konsequenzen einer Auslieferung noch einmal detailliert aufgelistet werden sollen.

Im Falle seiner Auslieferung drohen 175 Jahre Haft

Um den menschlichen Aspekt einer Auslieferung in den Vordergrund zu rücken, hat Assange vor drei Wochen medienwirksam geheiratet. Er ehelichte Stella Moris, eine 38-jährige südafrikanische Anwältin, die er seit 2011 kennt.

Die Hochzeit fand mit Zeugen im Belmarsh-Gefängnis statt. Die Braut wiederum trug nicht nur ein eigens von Vivienne Westwood angefertigtes Hochzeitkleid. Sie lud auch ein australisches Fernsehteam zu den Hochzeitsvorbereitungen zu sich nach Hause ein. Man sieht den dreijährigen Max und den vierjährigen Gabriel aufgeregt auf der Wohnzimmercouch herumhüpfen. Die beiden Söhne wurden bei heimlichen Besuchen in der ecuadorianischen Botschaft, in der Assange sich sieben Jahre lang aufhielt, gezeugt. Moris sagt über die Gefängnishochzeit: „Wir wollen damit unsere Liebe besiegeln.“

Was aber heißt „glücklich bis ans Lebensende“ für einen Mann, dem im Falle seiner Auslieferung 175 Jahre Haft drohen?

In Belmarsh sitzt Assange bereits seit drei Jahren, weil er die Bedingungen seiner Kaution gebrochen hatte. 2012 war er in die ecuadorianische Botschaft geflüchtet, um einer Verhaftung und Auslieferung nach Schweden zu entgehen, wo er wegen Vergewaltigung vor Gericht gestellt werden sollte. Als Ecuador Assanges Asylstatus 2019 nicht mehr anerkannte, wurde er beim Verlassen der Botschaft sofort verhaftet.

Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Seine Anhänger fürchten nun, dass Assange in den Vereinigten Staaten kein fairer Prozess erwartet. Nicht nur könnte er auf Lebenszeit inhaftiert werden. Er hat laut Anklage in 17 Fällen gegen den US-Spionage-Akt verstoßen, indem er 2010 und 2011 geheime militärische und diplomatische Dokumente veröffentlicht habe. Er ist außerdem angeklagt, ein Computersystem der US-Armee gehackt zu haben.

Darauf stehen zwar bis zu 175 Jahre Haft, Anwälte der USA aber halten vier bis sechs Jahre Gefängnis für realistisch. Weil er suizidgefährdet sein soll, wurde ebenfalls zugesagt, dass er nicht in Einzelhaft gesteckt werden darf. Außerdem darf er die Gefängnisstrafe in Australien absitzen.

Ein Indiz, wie Assanges Schicksal sich entwickeln könnte, ist die Geschichte von Chelsea Manning. Nachdem sie 750.000 Dokumente an Assange geleakt hatte, wurde sie 2010 verhaftet. Sie wurde zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt, von denen sie insgesamt sieben absaß. Bereits 2018 kandidierte sie in ihrem Heimatstaat Maryland gegen den demokratischen Senator Ben Cardin um die Nominierung als demokratische Kandidatin für den US-Senat. Sie bekam nur 5,8 Prozent der Stimmen, Cardin 80 Prozent.

Assanges Team hat sich weitere juristische Schritte in Berufungsverfahren vorbehalten. Sie wollen gegen die Auslieferung auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen. Auch Jeremy Corbyn, Ex-Chef der Labour Party, hatte sich am Mittwoch vor dem Gericht eingefunden und äußerte die Hoffnung, die britische Innenministerin möge „ihre enorme Verantwortung“ erkennen.

Bereits im Mai aber könnte Priti Patel die Auslieferung veranlassen. Die Kernfrage bleibt: Kann sie sich darauf verlassen, dass Assange tatsächlich den US-Versprechen gemäß fair behandelt wird?

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