Großbritannien streitet über „Spare“ - Love you #Harry

Mit „Spare“ legt Prinz Harry seine Autobiografie vor, die offiziell am heutigen Dienstag erscheint. Im Vereinigten Königreich ist dieses Buch bereits seit Tagen das dominierende Thema in den Medien. Diskutiert wird über Sex hinterm Pub, eine Schlägerei mit seinem Bruder - und Harrys Abschussliste in Afghanistan.

Schaufenster einer Bücherhandlung: Am 10. Januar ist „Spare“ erschienen / dpa
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Autoreninfo

Christian Schnee studierte Geschichte, Politik und Public Relations in England und Schottland. Bis 2019 war er zunächst Senior Lecturer an der Universität von Worcester und übernahm später die Leitung des MA-Studiengangs in Public Relations an der Business School der Universität Greenwich. Seit 2015 ist er britischer Staatsbürger und arbeitet als Dozent für Politik in London.

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Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll ist die aufwühlende Mischung, mit der Celebrities intime Geschichten zu Geld machen. Darauf schielte der Verlag Pengiun Random House, als er im Sommer 2021 die Veröffentlichung einer Autobiografie mit dem englischen Prinzen Harry vereinbarte. Seither bereiten sich die Windsors und ihr 25-köpfiges Medienteam im Buckingham Palast auf einen medialen Tornado vor, der für diese Woche angekündigt war, dem weltweiten Erscheinungstermin der Memoiren, die der Herzog von Sussex in diesen Tagen mit vier Fernsehinterviews bewirbt, um den Ton zu setzen für die neueste Runde seines Zerwürfnisses mit der königlichen Familie.

Eines Logistik-Fehlers wegen kursierten die ersten Exemplare der spanischen Übersetzung schon vergangene Woche in den Londoner Redaktionen. Seither sind Prinz Harrys Enthüllungen Thema Nummer Eins im Land. Der Sechste in der britischen Thronfolge zieht die Aufmerksamkeit auf sich mit ebenso empörenden wie peinlichen Anekdoten: Da geht es um Sex in einem Feld hinterm Pub, seine Abschusszahlen als Schütze im Krieg in Afghanistan, eine Schlägerei mit seinem königlichen Bruder und die weinerliche Klage, dass William seinerzeit das schönere und größere Kinderzimmer im Palast von Kensington hatte.

20 Millionen Dollar

Harry gelingt, was selbst König und Premierminister meist vorenthalten bleibt: Er dominiert die britische Medienagenda. Seine Einsichten in das Innerste der königlichen Familie verdrängen Berichterstattung über Streikchaos, rasant steigende Lebenshaltungskosten und den Dauerstreit mit der Europäischen Union. Seit Tagen ist der Medienrummel um das neue Buch des Königssohns Tagesgespräch in Pubs, Streitthema im Frühstücksfernsehen und Titelgeschichte der Tageszeitungen.

Wenn sich Erfolg darin bemessen ließe, wer die Überschriften dominiert, könnte Prinz Harry mit sich zufrieden sein. Zumindest für einige Tage ist der jüngere Sohn von König Charles nicht mehr nur „Ersatz“, der traditionelle Betriff für den Zweitgeborenen, der – so formuliert es Harry – nur gebraucht wird, wenn die Familie eine Aushilfe oder im Notfall eine Bluttransfusion oder Knochenmarkspende benötige.

„Spare“, der englische Betriff für Ersatz, ist denn auch der Titel für die Originalfassung des Buches, für das der Autor 20 Millionen Dollar bekommen haben soll. Dabei ist der Begriff Autor nicht ganz zutreffend. Harry entschied sich für John Moehringer, der als Ghostwriter vor Jahren bereits dem Tennisstar Andre Agassi half, sich den Hass auf die Medien, den Frust mit dem Vater und die psychischen Qualen von der Seele zu schreiben.

Seine Sicht der Dinge

Der Streit zwischen Palast und entfremdetem Sohn, den die Memoiren jetzt neu befeuern, setzt sich fort in den Redaktionen, sozialen Netzwerken und am Mittagstisch britischer Familien. Die Fronten sind geklärt, die Positionen verhärtet. Auf der einen Seite steht das Team Prinz William und König Charles, das die Unterstützer der traditionellen Monarchie auf seiner Seite hat. Die fühlen sich herausgefordert durch das Team Prinz Harry und Herzogin Meghan, deren Claqueure und Sympathisanten die Monarchie, wie sie über Jahrzehnte von Elisabeth geprägt und jetzt von Charles repräsentiert wird, für unzeitgemäß und dringend reformbedürftig halten.
 

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Beide Seiten arbeiten sich an den Klagen ab, mit denen Harry sein Enthüllungsbuch und die Attacken auf den Palast rechtfertigt. Kurzgefasst: Er wolle sich nur verteidigen, endlich seine Sicht der Dinge darstellen, weil er und Ehefrau Meghan seit Jahren Opfer einer perfiden Pressekampagne seien. Harry formuliert wie jemand, der anhaltende kritische Medienberichte für einen Teil einer orchestrierten Verschwörung hält und hinter den Palastmauern Strippenzieher wähnt, die Journalisten perfide Gerüchte zustecken und zu feindselige Geschichten ermunterten. Diese dunklen Gestalten im Sold des Königshofes verunglimpften Meghan gegenüber Journalisten als „schwierig“ und „unverschämt“ und warfen ihr vor, ihre persönlichen Mitarbeiter zu traktieren, bis die in Tränen ausbrach.

Arena der öffentlichen Meinung

Dickie Arbiter, der langjährige Pressesprecher Königin Elizabeths II., schlägt sich im Gespräch mit der BBC auf die Seite des Königs und versichert, dass nichts dran sei an den Verschwörungsgeschichten des Prinzen, weil „die Firma“, wie der verstorbene Prinz Philip die Familie nannte, sich grundsätzlich der Stellungnahmen zu Familienmitgliedern enthalte. Journalisten zitierten daher Dritte mit einem vagen Verweis auf „gut informierte Kreise“, weil das Presseteam um den Monarchen sich nicht für Mediengeschichten gegen die Familie instrumentalisieren lasse.

Seit täglich neue Einzelheiten zu den Memoiren bekannt werden, melden sich auch Historiker zu Wort, die in der an Skandalen nicht armen Geschichte der britischen Monarchie auf Parallelen zu früheren Konflikten verweisen. Professorin Kate Williams von der Universität Reading erinnert der Konflikt zwischen Charles und Harry gar an die bittere Fehde zwischen Wilhelm dem Eroberer und seinem Sohn Robert, die gegeneinander sogar Armeen ins Feld führten.

Heute findet die Schlacht in der Arena der öffentlichen Meinung statt. Konservative Kommentatoren der Daily Mail merken an, der Ruf des Prinzen sei nun endgültig ruiniert, während die Leitartikler des Daily Express argwöhnen, er habe seine Seele verkauft und betreibe einen Rachefeldzug gegen die eigene Familie. Aber auch Kommentatoren linksliberaler Blätter wie dem Guardian oder dem Daily Mirror fragen sich, ob der Herzog von Sussex seinen autobiographischen Rundumschlag einmal bitter bereuen werde.

Gerade Journalisten verweisen nicht ohne Ironie darauf, dass hier jemand ausgerechnet die Medien, die er so hasst, mit intimsten Details füttert, deren Geheimhaltung ihm und seiner Frau noch im vergangenen Jahr Gerichtsprozesse gegen Zeitungen wert waren. Medienrechtler warnen vor den Konsequenzen. Lord Faulks, der Vorsitzende von IPSO, der freiwilligen Selbstkontrolle der Zeitungen, hält Berichterstattung über das Privatleben des Prinzen, der mit Anekdoten über königliche Geschlechtsorgane sein Geld verdient, künftig für wahrscheinlicher. 

Mehr Rambo als Auslandseinsatz

Selbst das Wohlwollen, das die Streitkräfte Harry bis jetzt entgegenbrachten, ist inzwischen aufgebraucht. Dabei anerkannten Kameraden und Kommandeure den Mut des jungen Mannes, der sich als Captain Wales freiwillig für Einsätze in Afghanistan gemeldet hatte. Die Schilderung in seinem Memoiren, er habe 25 Feinde während seiner Zeit in der Provinz Helmand getötet, bricht den ungeschriebenen Code der Soldaten, mit Abschusslisten nicht zu prahlen. Auch seine fast beiläufige Bemerkung, die Ziele seien für ihn keine Menschen gewesen, sondern Bösewichte, die man wie Schachfiguren vom Spielfeld nehmen müsse, klingt in den Ohren hoher Offiziere mehr nach Rambo als nach modernem Auslandseinsatz.

Oberst Tim Collins, der sich als Kommandeur im Irak-Krieg einen Namen machte, fasste die Empörung in den Reihen der Armee zusammen: „Er hat das Vertrauen der Armee verraten – so wie er seine eigene Familie verraten hat.“ Der Afghanistan-Veteran und Marineinfanterist Ben McBean, der seinerzeit nach schwerer Verwundung von Prinz Harry als Kriegsheld geehrt worden war, schrieb auf Twitter: „Love you #Harry. Aber Du solltest besser Deinen Mund halten.“ Der Rat passt zu dem, was Meinungsforscher ermittelt haben. Je mehr die Briten von dem Prinzen hören und lesen, desto weiter stürzen dessen Umfragewerte ab. Nach aktuellen Zahlen des Instituts YouGov zur Popularität der Royals ist nur Prinz Andrew noch unbeliebter als das Ehepaar Sussex. 

Der verlorene Prinz

Kommentatoren, die dem königlichen Haushalt nahestehen, werben derweil für Charles. Es kursieren Zitate von Freunden des Königs, der – so hört man – immer noch auf eine Versöhnung mit dem verlorenen Sohn hoffe. Die Hand zum Frieden ausgestreckt ist ein Symbol, das sich gut macht im Kampf um die Sympathie des britischen Publikums. Da verwundert es dann wenig, dass auch der Herzog von Sussex auf der Promotionstour für sein Buch gegenüber dem TV-Sender ITV davon spricht, wie sehr er sich seinen Bruder und Vater zurückwünscht. Wie der Wunsch sich vereinbaren lässt mit seiner an Indiskretionen und Vorwürfen nicht armen Medienkampagne, rätselt derweil auch der geneigte Teil des britischen Publikums.

Ob das Vereinigte Königreich überhaupt noch der Markt ist, auf den Harry und Meghan mit ihren Veröffentlichungen abzielen, bezweifelte jüngst Alexandra Shulman, die vormalige Chefredakteurin der britischen Ausgabe der Vogue. Inhalte und Formulierungen passten eher zu den Erwartungen der Leser in seiner kalifornischen Wahlheimat, dem Zentrum amerikanischer Opferkultur, so Shulman. Dort treffe seine Geschichte von verstockten Aristokraten und dem Leiden der Außenseiter auf mehr Verständnis. Das könnte das Ende der Geschichte sein und der Schlusspunkt unter Harrys Verhältnis mit der britischen Öffentlichkeit. Aber vielleicht gibt es doch noch eine unerwartete Volte und dereinst wird der verlorene Prinz in der Wertschätzung der Briten eine heute kaum vorstellbare Renaissance erleben.

König Charles besuchte dieser Tage die Fernsehsendung „Repair Shop“, ein Programm für Heimwerker. Dabei trug er Anzug und Krawatte und sprach über….Uhren. In den kommenden Jahren werden Generation Z oder A  entscheiden, wem ihre Sympathie gehört. Der Gedanke ist den königlichen Korrespondenten und Leitartiklern vielleicht nicht sympathisch. Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass die nächste Generation der Windsors und ihre Altersgenossen sich eher an Onkel Harry ein Beispiel nimmt als an Opa Charles. 

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