Quereinsteiger Golob gewinnt Parlamentswahl - „Die Slowenen haben vor allem gegen Premierminister Janša gestimmt“

Bei den Parlamentswahlen in Slowenien hat sich der Quereinsteiger Robert Golob mit seiner neugegründeten Partei Gibanje Svoboda überraschend deutlich gegen den amtierenden Premierminister Janez Janša durchgesetzt. Der Wahlverlierer hatte zuletzt versucht, das Land mit einem autoritären Populismus nach dem Vorbild Orbáns umzupolen. Im Gespräch erklärt der Politologe und Zeithistoriker Florian Bieber, warum das Janša nur bedingt gelungen ist, weshalb politische Außenseiter in Slowenien gut ankommen und warum er glaubt, dass Golob die große Zustimmung nicht wird halten können.

Wegen einer Corona-Erkrankung konnte der Wahlsieger der slowenischen Parlamentswahlen, Robert Golob, nicht auf der eigenen Wahlparty mitfeiern. Der Außenseiter siegte deutlich gegen den amtierenden Premier und Orbán-Freund Janša / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

So erreichen Sie Ben Krischke:

Anzeige

Florian Bieber ist ein Luxemburger Politologe und Zeithistoriker. Er ist Professor an der Karl-Franzens-Universität Graz und Leiter des dortigen Zentrums für Südosteuropastudien. Zuletzt ist von ihm das Buch „The Rise of Authoritarianism in the Western Balkans“ erschienen.

Herr Bieber, lassen Sie uns einleitend doch eine kurze Bestandsaufnahme machen: Wo steht Slowenien im Jahr 2022?

Insgesamt ist Slowenien die Erfolgsgeschichte des ehemaligen Jugoslawiens und galt über lange Zeit als Vorzeigeland der Region. Slowenien hat auch den wirtschaftlichen Übergang aus dem Kommunismus in eine Marktwirtschaft relativ gut gemeistert. Allerdings gibt es auch dort seit etwa zehn Jahren eine Krise, die mit der Weltwirtschaftskrise zusammenhängt. Vor zwei Jahren wurde dann Janez Janša – nicht zum ersten Mal, sondern zum dritten Mal – Premierminister des Landes. Janša hat dann während seines zweijährigen Mandates versucht, mit einem illiberalen, autoritären Populismus das Land nach dem Vorbild Viktor Orbáns in Ungarn umzupolen, was ihm, das zeigt die Wahl, letztlich aber nicht gelungen ist.

Wie sah dieser Orbánsche Weg Janšas konkret aus?

Janša hat zum Beispiel kritische Medien angegriffen, auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen, und kritische Journalisten ebenso wie Oppositionspolitiker als Neo-Kommunisten und als illoyale, potenziell gefährliche Personen beschrieben. Immer in einem sehr aggressiven Ton. Er hat auch versucht, in den Institutionen, die ihm unterstehen – Museen und Medien etwa – ihm genehme Personen unterzubringen, die wenig qualifiziert sind, aber ihm gegenüber loyal. Sein Politikstil zeichnet sich zudem durch einen gewissen Kulturkrieg aus. Janša behauptet etwa, dass Slowenien immer noch in den Händen kommunistischer Kräfte sei, die den endgültigen Bruch mit dem kommunistischen Erbe noch nicht vollzogen hätten. 

Woher kommt das? Ein solches Narrativ lässt sich ja nicht aus dem Nichts streuen.

Das kommt daher, dass der Übergang von der jugoslawischen Zeit in die postkommunistische Zeit in Slowenien ein sehr sanfter war. Dazu muss man wissen, dass Slowenien schon in den 80er-Jahren relativ liberal, auch relativ pluralistisch war, sodass es eben nicht diesen harten und radikalen Bruch gegeben hat in den Jahren 1989 und 1990. Das wollte die Bevölkerung auch nicht. In erster Linie löste man sich aus dem ehemaligen Jugoslawien, weil deutlich wurde, dass sich das Ganze in eine negative Richtung entwickelte. Das heißt aber auch, dass viele ehemalige Kommunisten demokratischen Parteien beigetreten sind und wiedergewählt wurden. Ironischerweise war Janša selbst Mitglied der Kommunistischen Partei. Daher ist es auch nicht ganz glaubwürdig, was er da so erzählt. Obwohl man dazu sagen muss, dass Janša einer jener Politiker war, die sich schon früh für die Unabhängigkeit Sloweniens eingesetzt haben. Während des kurzen Unabhängigkeitskrieges 1991 war er sogar Verteidigungsminister des Landes.

Gab es in den vergangenen gut 30 Jahren dennoch eine gewisse Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit Sloweniens? Oder liegt da noch irgendwas im Argen?

Es gab relativ wenig Aufarbeitung. Das lag auch daran, dass in Slowenien weniger Ballast vorhanden ist als in Ländern wie Rumänien oder Bulgarien. In diesen Ländern war zum Beispiel der Geheimdienst- und Unterdrückungsapparat viel ausgeprägter. Außerdem konnte man viel Verantwortung auf Belgrad beziehungsweise Jugoslawien schieben. Das hat die Distanzierung vom kommunistischen Erbe erleichtert. Allerdings muss man dazu sagen, dass die Auseinandersetzungen in Slowenien immer sehr polarisierend und konfrontativ waren. Antikommunistische Parteien wie jene von Janša warfen politischen Gegnern vor, weiterhin Kommunisten zu sein, meist sehr undifferenziert. Während man sich auf der Seite der politischen Linken überhaupt nicht mit Fragen nach dem kommunistischen Erbe kritisch auseinandersetzen will.   

Mit welchen Fragen müssen sich denn die einfachen Slowenen auseinandersetzen?

Das sind vor allem wirtschaftliche Fragen. Es geht darum, dass die ökonomische Lage zwar insgesamt nicht dramatisch ist, die Konsequenzen von Corona und die Konsequenzen von langfristigen strukturellen Schwierigkeiten aber sichtbar werden. Parteien, die darauf anspringen, sind dann immer auch wieder jene, die erfolgreich sind. Hier ist wichtig zu erwähnen, dass Janša, obwohl er Premierminister war, mit seiner Partei nie große Mehrheiten hatte. Janša hat bei Wahlen seit fast 20 Jahren stets zwischen 20 und 30 Prozent geholt und konnte nie ohne einen Koalitionspartner regieren. Also anders als Viktor Orbán in Ungarn. Insgesamt betrachtet, hatten sozialdemokratische Parteien und jene links der Mitte eigentlich meistens die Mehrheit.
 

Mehr Artikel über die Region:

Orbán und Janša sollen ein sehr gutes Verhältnis haben. Wie eng ist es denn tatsächlich?

Es ist kein Verhältnis, das schon seit Jahrzehnten bestehen würde. Es ist in den letzten circa zehn Jahren aber sehr eng geworden. Beide haben gewisse Ähnlichkeiten: Orbán und Janša begannen ihre politischen Karrieren mit dem Ende des Kommunismus und wurden zum ersten Mal prominent durch ihre Kritik am Kommunismus in den Schlüsseljahren 1989 bis 1992. Seitdem sind sie wichtige Persönlichkeiten in der Politik, gerade im konservativen Spektrum. Außerdem sind beide in den vergangenen Jahren in eine Art Rechtspopulismus abgedriftet. Ihre enge Beziehung drückt sich heute etwa dadurch aus, dass Orbán Janša direkt unterstützt durch die Medien, die er mit ungarischen Geldgebern ins Leben gerufen hat. Oder auch dadurch, dass beide gemeinsam versuchen, Allianzen innerhalb der Europäischen Union zu schmieden.

Werfen wir einen Blick auf die Parlamentswahl in Slowenien vom Wochenende: Die neu gegründete beziehungsweise aus der Grünen Partei hervorgegangene Freiheitsbewegung (Gibanje Svoboda) hat einen Erdrutschsieg errungen und konnte rund 35 Prozent der Stimmen auf sich und ihren Präsidentschaftskandidaten Robert Golob vereinen. Im Gegenzug wurde Premier Janša mit nur rund 24 Prozent der Stimmen abgewählt. Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Die Deutlichkeit des Ergebnisses war sicherlich überraschend. Aber es ist nicht das erste Mal, dass eine neue Partei, die erst kurz vor den Wahlen geschaffen wurde, direkt einen Erfolg bei den slowenischen Parlamentswahlen einfährt. Da lässt sich durchaus ein Muster erkennen. Dass gut 35 Prozent der Wähler für Gibanje Svoboda stimmten, war aber auch deshalb überraschend, weil sie damit nicht nur die Rechtskonservativen, sondern auch andere Parteien – etwa die Sozialdemokraten – deutlich überflügeln konnten.

Was ist Ihre These, woher diese Deutlichkeit kommt? Haben wir da gerade eine kleine, friedliche Revolution gegen Janša an den Wahlurnen erlebt?

Ja, so ist es. Dieses Ergebnis ist ganz eindeutig ein Protest der Wähler gegen Janša. Nicht, dass er dabei groß an Zustimmung verloren hätte. Er hat eine ziemlich verlässliche Wählergruppe. Aber das Ergebnis zeigt, dass es ihm mit seiner sehr polarisierenden Art nicht gelungen ist, mehr Wähler zu gewinnen, sondern eher Wähler zu vertreiben. Seine Koalition, die er vor zwei Jahren (nach dem Scheitern einer Fünf-Parteien-Minderheitsregierung; Anm. d. Red.) eingegangen ist, wurde klar abgestraft. 

Das heißt, Sie würden das Ergebnis im Zweifel eher als Niederlage Janšas denn als Erfolg Golobs werten?

Es ist sicherlich so, dass eine deutliche Mehrheit gegen Janša gestimmt hat. Aber natürlich gibt es da auch Erwartungen, was die neue Partei und deren Kandidat liefern könnte. Da gibt es sicherlich Hoffnung, dass jetzt eine neue Politik mit einer grünen Ausrichtung beginnt. Das gab es in der Form in der Regierung bisher nicht. Aber eine Partei, die aus dem Nichts oder in der Kürze der Zeit so erfolgreich ist, drückt immer auch eine Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien aus. Es gibt eine große Lücke im slowenischen Parteiensystem, die seit zehn Jahren immer wieder von neuen Parteien und Kandidaten besetzt wird. Die Frage ist, ob sie ihre Erfolge dann auch umsetzen können in einer langfristigen, stabilen Politik. Bisher ist es so, dass das all diesen Parteien, die so stark an eine Persönlichkeit gebunden waren, nicht gelungen ist.

Interessant ist ja nicht nur, dass die Freiheitsbewegung als Partei neu ist, sondern auch, dass Golob erst im Januar in die slowenische Politik eingestiegen ist. Oder ist auch das etwas, was man in Slowenien schon kennt? Dass Quereinsteiger wie Golob von heute auf morgen politische Erfolge feiern?

Auch das ist nichts Neues. Miro Cerar war zwischen 2014 und 2018 Ministerpräsident Sloweniens. Die Partei wurde nach ihm benannt und er war eben deshalb prominent, weil er auch kein Politiker war, sondern Jurist. Er hatte einen gewissen Ruf als Außenseiter, als Experte. Und sein Nachfolger Marjan Šarec wiederum hatte auch diesen Ruf. Er regierte von 2018 bis 2020, bevor er von Janša abgesetzt wurde. Er war davor zwar Bürgermeister, begann aber als Satiriker und wurde damals auch als Anti-Politiker gewählt.

Mit welchen politischen Botschaften konnte Golob die Wähler dennoch überzeugen, so deutlich für ihn und seine Partei zu stimmen?

Mit seiner grünen Politik. Der Klima- und Umweltschutz ist etwas, das sich in den vergangenen Jahren als interessantes politisches Ziel auch in Slowenien entwickelt hat. Es gab lange Zeit in Slowenien und in den Nachbarstaaten eigentlich kaum grüne Parteien. Erst vor kurzem ist es dann aber der grünen Partei in Kroatien gelungen, das Bürgermeisteramt in Zagreb zu erobern, was bereits zeigte, dass man in der Region heute auch mit grünen Inhalten Wahlen gewinnen kann. Das ist also ein Element von Golobs Politik. Ein anderes Element ist sicherlich so ein bisschen der Versuch des Bruches mit den etablierten Parteien, also eher bürgernah zu sein, auf die Sorgen der Menschen einzugehen. Und eben diesen populistischen Rechtsrutsch rückgängig zu machen und damit Janšas Angriff auf Rechtstaatlichkeit.

Politologe Florian Bieber / Uni Graz

Ironisch ist, dass Golob bis vergangenes Jahr noch Chef des staatlichen Stromversorgers war – und von der Regierung Janša abgesetzt wurde. War denn vorher schon absehbar, dass Golob in die Politik gehen wird? Oder kann man hier auch ein bisschen von einer Trotzreaktion sprechen, nach dem Motto: „Mir reicht’s, ich mach es jetzt selber“?

Golobs grundlegende Motivation kann ich nicht beurteilen. Aber ich denke nicht, dass es auch eine Trotzreaktion war. Er ist kein völliger Außenseiter und war vorher schon politisch aktiv. Etwa in der Partei der früheren Ministerpräsidentin Alenka Bratušek. Ich glaube, Golobs Entschluss, eine Partei zu gründen, hatte vor allem mit den Entwicklungen in Slowenien unter Janša in den vergangenen zwei Jahren zu tun.

Wo sehen Sie denn zentrale Unterschiede zwischen den Grünen in Österreich oder in Deutschland und Golobs Partei? Ich habe etwa gelesen, dass die Freiheitsbewegung so ein bisschen grüne Partei mit marktliberalem Anstrich ist.

Es ist sicherlich nicht die gleiche Art von grüner Partei, wie wir sie kennen. Auch deshalb, weil es eben keine Tradition von grünen Bewegungen in Slowenien und in den Nachbarstaaten gibt. Das heißt, die meisten grünen Parteien dort kommen nicht aus dieser Tradition der Anti-Atom-Bewegung beziehungsweise Friedensbewegung der 80er-Jahre. Sie kommen aus sozialen Bewegungen, die sich eher gegen diese autoritären Tendenzen in der Region aussprechen. Sie sind dabei meistens sehr pro-europäisch, aber weniger linksorientiert als die grünen Parteien bei uns. Diese linkspazifistischen Dimensionen, die bei den traditionellen Grünen in Deutschland und Österreich stark sind, lassen sich dort deutlich weniger finden.

Apropos Pazifismus: Janša wurde ja zumindest dafür gelobt, dass er als einer der ersten europäischen Staatschefs in die Ukraine gereist ist. Wird auch die neue Regierung derart deutlich hinter der Ukraine stehen? 

Ich würde da wenige Änderungen erwarten. In Slowenien gibt es zum Ukraine-Krieg keine grundlgenden Meinungsverschiedenheiten. Allerdings wurde der Schritt von Janša, nach Kiew zu fahren, in Slowenien ohnehin eher als Publicity-Stunt wahrgenommen, um im Wahlkampf ein paar Vorteile zu erreichen. Letztlich muss man bedenken, dass Milorad Dodik, das serbische Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums und sicherlich einer der pro-russischsten Politiker der Region, sich vor den Wahlen in Slowenien klar für Janša ausgesprochen hat. Da fragt man sich schon: Was heißt diese pro-ukrainische Haltung von Janša eigentlich, wenn er von jemandem wie Dodik gepriesen wird und mit ihm gute Beziehungen unterhält?!

Denken Sie, dass die Abwahl Janšas eine Signalwirkung in die Region haben könnte? Kann diese Abwahl in irgendeiner Form vielleicht abstrahlen auf Länder wie Ungarn?

Es zeigt Orbán zumindest Grenzen auf, was den Export seines Modells betrifft. Orbán versucht ja immer wieder das Image zu projizieren, dass er nicht nur für eine illiberale Politik in Ungarn steht, sondern dass das in der Region eine Breitenwirkung hat. Die Annahme, dass man mit Anti-Migration, Pro-Trump und damit, den Kulturkampf immer wieder aufzuwärmen, Wahlen gewinnen kann, hat sich in Slowenien jedenfalls nicht bewahrheitet. Das hat jetzt nicht unbedingt direkte Auswirkungen auf Länder wie Ungarn, zeigt aber, dass sich solche Modelle auch wieder abwählen lassen. Allerdings war Janša nur zwei Jahre an der Macht und eben in einer Koalitionsregierung. Er hatte deshalb gar nicht die Möglichkeiten, Slowenien im Stile Ungarns unter Orbán umzukrempeln.

Letzte Frage: Ich habe während der Vorbereitung auf unser Gespräch gelesen, dass es in Slowenien einen Wählerimpuls gebe, wonach man Politiker sehr schnell hochleben lässt, ihnen aber genauso schnell auch wieder den Rücken zukehrt, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden. Wo sehen Sie die zentralen Stolperfallen für Golob, die aus diesem großen Wahlerfolg am Ende doch noch einen politischen Misserfolg machen könnten?

Jemand, der so schnell so viel Erfolg erzielt hat, wird es schwer haben, diesen Erfolg in dauerhafte Unterstützung zu übersetzen. Auch deshalb, weil es größtenteils eine Wahl gegen Janša war und damit die Wählerschaft Golobs auch sehr vielfältig ist. Keine Partei hat sich in Slowenien in den vergangenen 20 Jahren auf einem Niveau behaupten können, auf dem Golobs Partei jetzt ist. Und die grundlegenden Fragen, was etwa die wirtschaftliche Entwicklung des Landes angeht, bleiben bestehen. Lange wirkte es so, als sei Slowenien eine Insel der Glückseeligen, auf der man die wirtschaftlichen Probleme der Nachbarn durch eine stark konsensorientierte Politik umgehen konnte. Diese Zeiten sind aber vorüber. Das heißt, das Risiko, dass die Enttäuschung kommt, ist groß. Und ich glaube, früher oder später wird sie auch kommen. 

Das Gespräch führte Ben Krischke.

Anzeige