G7-Außenministertreffen im gesäuberten Friedenssaal - Baerbocks Beamte canceln das Kreuz

Für das G7-Außenministertreffen in Münster wurde auf Wunsch des Auswärtigen Amtes das mittelalterliche Ratskreuz aus dem Friedenssaal des Rathauses entfernt. Ein einmaliger Vorgang, wie die Stadt bestätigt. Für die Gäste der Bundesregierung wird das Kreuz gecancelt. „Eine Beleidigung für Münster“, sagt der Bundestagsabgeordnete Stefan Nacke. Und was sagt der Bischof?

Auffällig ist, was fehlt: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit Amtskollegen im Friedenssaal zu Münster /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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In der Mitte des Friedenssaals in Münster ist an der Decke eine Mahnung angebracht: „Audiatur et altera pars“. Er sollte in dem historischen Rats- und auch Gerichtsraum zu Ausgewogenheit mahnen. Die Mitarbeiter des Berliner Auswärtigen Amtes schritten nicht ein, vielleicht verstanden sie die lateinischen Worte nicht. Stattdessen vergriffen sie sich an dem historischen Ratskreuz, das an der vertäfelten Wand am Kopf des Raumes seinen Platz hat, und schafften es beiseite. Von Ausgewogenheit und Toleranz keine Spur. 

Dalai Lama und Großimam stört das Kreuz nicht 

Vor diesem Kreuz werden die Ratsherren und -frauen vereidigt, aber vor diesem 480 Jahre alten Kreuz werden auch alle Gäste der Stadt empfangen, wenn sie sich ins Goldene Buch eintragen. Etwa wenn der niederländische König zu Besuch ist oder auch das religiöse Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama. Aber auch die beiden Tatort-Kommissare Axel Prahl und Jan Josef Liefers nahmen bei ihrem Empfang keinen Anstoß an dem Kreuz. Nur die Protokollbeamten von Außenministerin Annalena Baerbock meinen, den anderen Außenministern der G7-Gruppe und deren Gästen das Kreuz nicht zumuten zu können. Offenbar gehört Cancel Culture zur neuen wertegeleiteten Außenpolitik der Ampel-Regierung. Vor Ort hatten die Westfälischen Nachrichten zuerst von der Kreuzabhängung berichtet. Sie hatten auch herausgefunden, dass 2016 der Großimam Ahmad al-Tayyeb aus Kairo in Münster zu Besuch war. Die Fotos zeigen ihn im Friedenssaal vor dem Kreuz. Kein Problem. 

Mit Kreuz: Der Dalai Lama 2007 im
Friedenssaal in Münster /dpa

Der Münsteraner Bundestagsabgeordnete Stefan Nacke zeigt sich irritiert. „Wer das Kreuz aus dem Friedenssaal entfernt, der betreibt Geschichtsklitterung“, sagt der CDU-Politiker auf Anfrage von Cicero. Wenn man sich die historische Kulisse für das G7-Treffen aussuche, könne man es sich nicht nach eigenem Gutdünken passend machen. „Das ist eine falsch verstandene Diplomatie, die Angst davor hat, zur eigenen Identität und zur eigenen Geschichte – unabhängig vom eigenen Bekenntnis – zu stehen“, so der Politiker.

Vielzahl biblischer Motive 

In der historischen Ratskammer, dem Münsteraner Friedenssaal, wurde 1648 der Westfälische Frieden geschlossen. Zusammen mit den Friedensverträgen von Osnabrück wurde so der Dreißigjährige Krieg beendet. Es soll das große diplomatische und politische Vorbild für die düstere Gegenwart sein. An den Wänden hängen die Porträts der damaligen Gesandten. Rechts und links an der Schrankwand mit dem nun entfernten Kreuz aber sind unter anderem auch biblische Szenen dargestellt und Heilige werden porträtiert. Maria Magdalena ist zu sehen und der Heilige Georg mit dem Drachen. Nichts von alledem wurde verhüllt, wahrscheinlich wurde das Bildprogramm von den Berliner Aufpassern gar nicht verstanden.

Die Berliner Kunsthistorikerin Kathrin Müller kämpft gegen dieses Unwissen. Kommende Woche veröffentlicht sie ein Buch zur Kulturgeschichte des Kreuzes, das allen Bilderstürmern empfohlen sei. „Bei der Entfernung des Kreuzes ging es sicherlich um das offizielle Pressefoto“, sagt die Wissenschaftlerin dem Cicero. „Der Gekreuzigte sollte nicht über den Köpfen der Minister schweben.“ Doch die Wandreliefs mit Christus und den Aposteln seien nicht verhängt worden. „Was hier als religiöse Toleranz gemeint ist, manifestiert das Unvermögen, mit der Vielschichtigkeit des eigenen kulturellen Erbes umzugehen“, erklärt Kathrin Müller.

Oberbürgermeister hält Entscheidung für falsch 

Inzwischen hat auch der Oberbürgermeister reagiert. Markus Lewe ist ein bekennender wie fröhlicher Katholik. Der CDU-Politiker ist diplomatisch und deutlich. Das Kreuz sei auf Bitten von Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes für die Zeit des Außenministertreffens entfernt worden. „Ich meine aber, diese Entscheidung hätte so nicht getroffen werden dürfen, und ich bedaure sie“, so Lewe. Sein Eindruck sei allerdings, dass auch die Außenministerin davon überrascht worden sei. Das Kreuz gehöre seit Jahrhunderten zum Friedenssaal und damit zur Geschichte und Kultur des Konferenzortes. Lewe bekräftigte: „Das christliche Kreuz ist ein Zeichen der Versöhnung.“ Das hatte sich offenbar im Auswärtigen Amt noch nicht herumgesprochen. Im Übrigen hat die Stadt Münster erklärt, bislang sei das Kreuz noch nie entfernt worden. Das ist Baerbocks Premiere.  

Nicht weit vom Münsteraner Rathaus – sozusagen gegenüber – liegt der Paulusdom mit dem Sitz des Bischofs dahinter. Die erste Stellungnahme von Bischof Felix Genn ist dann auch nicht nur diplomatisch, sondern auch verärgert. Offiziell werde man in Berlin über das Katholische Büro „sein Befremden über die Maßnahme“ zum Ausdruck bringen, so das Bistum. Man erwarte eine „offizielle Begründung“ des deutschen Außenministeriums. Die Erklärung, das Kreuz müsse entfernt werden, weil Menschen mit unterschiedlichem religiösen Hintergrund an dem Treffen teilnehmen, sei ein „verkürztes Verständnis von Toleranz“. Das Bistum erklärt: „Das Kreuz steht – auch, wenn das nicht immer eingehalten wurde und wird – für Toleranz, Friedfertigkeit und Mitmenschlichkeit. Das Kreuz steht für die Überwindung von Gewalt und Tod.“ Traditionen und damit verbundene Symbole, die Ausdruck von Werten, Haltungen und religiösen Überzeugungen seien, ließen sich „nicht einfach abhängen“. Vielmehr könne es hilfreich sein, sich damit zu befassen und auseinanderzusetzen, so die katholische Diözese. 

„Eine Beleidigung für Münster“

Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), kritisierte beim Fernsehsender Welt, die Bundesregierung. Die Ampel sei „traditions- und geschichtsvergessen“. Wer Symbole des christlichen Glaubens aus einem Sitzungssaal räumen lasse, sei nicht weltoffen, sondern verbohrt. Der Münsteraner Bundestagsabgeordnete Nacke fasst seine Verärgerung schließlich zusammen: „Wir haben uns gefreut, auf Einladung der Bundesaußenministerin die G7 in Münster zu Gast zu haben. Durch das Vorgehen des Auswärtigen Amtes ist es nun eine Beleidigung für Münster geworden.“

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