G20-Gipfel in Indonesien - Gute Nachrichten aus Bali

Das Treffen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer zeigt nicht nur, wie isoliert Russland mittlerweile ist. Der Gipfel zeigt auch, dass die teilnehmenden Staaten gegenseitige internationale Abhängigkeiten in Zukunft klüger managen wollen als bisher.

Sergej Lawrow, russischer Außenminister, wird vom indonesischen Präsidenten Joko Widodo begrüßt / dpa
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Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Ein wenig Normalität gab es auf dem G20-Gipfel schon früh zu beobachten. Russlands Außenminister Lawrow erklärte, mit Bundeskanzler Scholz und Frankreichs Präsident Macron über den Krieg in der Ukraine gesprochen zu haben. Was Scholz mit den Worten kommentierte: „Er stand in meiner Nähe und hat auch zwei Sätze gesagt. Das war das Gespräch.“ Damit hatte der russische Außenminister, der durch seine Ausstattung mit Apple-Produkten schon vor dem Gipfel für Heiterkeit sorgte, den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen öffentlich eingepegelt. Lawrow vertritt Präsident Putin, der weder zu G20 noch zum anschließenden APEC-Gipfel den Kreml verlassen möchte.

Auch wenn auf dem Gipfel eine ganze Reihe von Themen auf der Tagesordnung stehen – Ernährungssicherheit, Inflation, Handelspolitik, Klimapolitik und Energie – so haben schon die ersten Gesprächsrunden gezeigt, dass im Zentrum der Krieg Russlands steht, denn er hat auf viele dieser Herausforderungen ausgesprochen negative Wirkungen entfaltet. Das bisher greifbare Ergebnis, dass der Krieg im Abschlusskommuniqué verurteilt wird, ist aus Sicht der EU-Staaten ein großer Fortschritt. Denn Russland hat versucht zu verhindern, dass die Verurteilung des russischen Angriffskriegs in das Abschlussdokument aufgenommen wird.

Russland kann keinen diplomatischen Druck mehr entfalten

Das misslang. Dort heißt es im Entwurf: „Die meisten Mitglieder haben den Krieg in der Ukraine scharf verurteilt und betont, dass er immenses menschliches Leid verursacht und die bestehende Verletzlichkeit der Weltwirtschaft verschärft.“ Den Staaten, die Russland bisher nicht scharf kritisiert haben – China, Indien, Türkei, Saudi-Arabien, Brasilien, Südafrika –, war es wohl nicht ausreichend wichtig, Russland vor einer Aburteilung zu schützen. Und alleine hat Russland nicht mehr das internationale Gewicht, dagegen vorzugehen. Russland schrumpft gerade auf eine große Landfläche zusammen.

So dokumentiert der G20-Gipfel eindrücklich, dass Russland international enorm isoliert ist. Seine Regierung kann keinen diplomatischen Druck mehr entfalten. Die Staatsschwäche nach innen, die sich durch Repression und neue Machträume – bisher in Form von Räumen der öffentlich zugestandenen Selbstjustiz – zeigt, setzt sich nach außen fort. Putin wollte Russland mit einem Sieg über die Ukraine und dem politischen und militärischen Druck auf die EU stärken und zur gleichberechtigten Weltmacht neben den USA und China machen. Das Gegenteil hat er jetzt schon erreicht: Er hat Russland geschwächt, international wirtschaftlich, politisch und kulturell isoliert und sich selbst im Kriegsverlauf zunehmend von Kräften im Innern abhängig gemacht, die er beherrschen wollte. Das wird im Verlauf der Zeit immer weniger gelingen. Und das hat Folgen für die Außenpolitik und die internationalen Beziehungen.

Nicht ein Konflikt wird in diesen Tagen gelöst

Die große Herausforderung, wie die erste Weltmachtrivalität unter den Bedingungen der Globalisierung ausgetragen werden kann, prägte schon das Vorfeld des Gipfels. Denn vor den G20 tagten die G2, also USA und China, die sich vom Rest der teilnehmenden Staaten zunehmend abheben. Sie stechen in mehrfacher Hinsicht deutlich heraus. Die Welt wird deshalb auf absehbare Zeit nicht multipolar gestaltet sein, wie dies viele Regierungen anstreben. Denn der EU fehlen die politische Kohäsion und die militärische Kraft, Indien ist wirtschaftlich noch nicht stark genug, Brasilien bleibt, wie schon seit Jahrzehnten, das Land der Zukunft, und Russland hat sich aus dem Kreis ernsthafter Kandidaten verabschiedet. „Nigeria mit Schnee“ wird es angesichts der ähnlichen Kennziffern inzwischen genannt, ein Vergleich der angesichts der zu erwartenden Entwicklung Nigerias nicht lange halten wird. Dann kommt Helmut Schmidts „Obervolta mit Raketen“ wieder zum Tragen.

Die internationale Ordnung einer durch Vernetzung multilateral gebrochenen Bipolarität drängt die Staaten schon jetzt dazu, ein klügeres Interdependenzmanagement zu betreiben als zuvor. Besonders Deutschland, das in den letzten 23 Jahren aus übergeordneter Klugheit darauf vollständig verzichtet hat, beginnt das Konzept der 1970er-Jahre administrativ umzusetzen. Die G20 sind dabei derzeit das effektivste Gremium, um die mit diesen internationalen Entwicklungen zusammenhängenden Fragen zu bearbeiten. Dass sie sich grundsätzlich dazu verstehen, obwohl viele Beobachter eine tiefe Kluft wegen des Krieges erwartet haben, ist eine gute Nachricht. Denn sie belegt, dass die G20 das normative Fundament der Charta der Vereinten Nationen nicht beschädigen wollen. Die Androhung und Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit von Staaten muss verboten bleiben, wenn in den nächsten Jahren die wichtigen Entscheidungen verabredet werden sollen, die angesichts der Herausforderungen nötig sind – von territorialen Fragen über die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen bis zur Neugestaltung ökonomischer Beziehungen. Denn bei allen guten Nachrichten aus Bali wird nicht ein Konflikt in diesen Tagen gelöst werden. Dass sie in Zukunft teilweise anders bearbeitet werden können, ist schon viel, gemessen an den anderen möglichen Entwicklungen, die sich am Horizont abzeichnen ließen.

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