„Anne Will“ zur Fußball-WM in Russland - „Das ist nicht Putins WM“

Sollen deutsche Spitzenpolitiker zur Fußball-WM nach Russland fahren, auch wenn sie damit Wladimir Putin unterstützen? Das hätte ein spannendes Thema bei „Anne Will“ sein können. Leider waren dazu die falschen Gäste geladen. Immerhin gab es eine erstaunliche Allianz

Ein Fußball-Thema, aber nur ein Fußballer zu Gast. Das war schon ein Fehler bei „Anne Will“ / Screenshot ARD-Mediathek
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Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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„Fußball ja - Folter nein“. Diese Anstecker wurden vor der Fußball WM 1978 in Argentinien verteilt. Die damaligen Nationalspieler Paul Breitner und Berti Vogts mischten sich lautstark mit gegenteiligen Meinungen in die Debatte um einen Boykott der WM ein. Nun kann man die heutige Situation im aktuellen Gastgeberland Russland sicherlich nicht mit der Militärdiktatur Argentiniens gleichsetzen. Aber trotzdem ist Russland ein Land ohne garantierte Menschenrechte, das gerade die Krim annektiert hat. Außerdem hat Russland aller Wahrscheinlichkeit nach das Passagierflugzeug MH17 abgeschossen und im Syrienkrieg mit Baschar al-Assad einen Machthaber unterstützt, der Giftgas gegen seine eigene Bevölkerung einsetzt. Man könnte also zumindest darüber diskutieren, ob Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier oder andere führende Politiker zur WM fahren sollten.

Das sollte eigentlich auch das Thema bei „Anne Will“ sein. Dazu hatte sie sich als Gäste vier Politiker und einen Ex-Fußballer eingeladen: Edmund Stoiber (CSU), Norbert Röttgen (CDU), Rebecca Harms (Grüne), Gregor Gysi (Die Linke) und Arne Friedrich. Außer der Europaabgeordneten Harms waren alle anderen gegen einen Boykott der WM. Kurz schien es, als hätte Anne Will etwas anderes von Norbert Röttgen erwartet. Als dieser nämlich sagte, dass für ihn das Fußball-Argument mehr wiegt als der politische Aspekt, entfuhr ihr ein überraschtes „Oh“.

Fragwürdige Auswahl der Gäste

Und so hieß es in der Sendung schon bald: alle gegen Rebecca Harms. Denn die Grünen-Politikerin hatte gemeinsam mit anderen Europaabgeordneten einen offenen Brief an die Staatsoberhäupter und Regierungschefs der EU geschickt. Darin fordert sie einen politischen Boykott der WM. Spätestens ab diesem Zeitpunkt ging der Sendung der fußballerische Aspekt vollkommen verloren. Die vier Politiker begannen über die Politik Russlands als solches zu streiten. Gysi und Stoiber gaben dem Westen die Schuld für die heutige Expansionspolitik Russlands, Röttgen und Harms hielten dagegen.

Edmund Stoiber schaffte es, sehr lange Antworten zu geben, die aber stets komplett am Thema vorbeigingen. Von Boris Jelzin über den Kalten Krieg bis hin zu Italien war alles dabei. Da halfen auch Anne Wills Nachfragen nichts. Spätestens jetzt konnte man sich fragen, wieso ausgerechnet diese Gäste eingeladen wurden. Vier Politiker, die alle über Russland statt über die WM redeten. Wo waren Vertreter vom DFB? Warum war kein Trainer in der Talkrunde? Wieso ging es nur kurz um Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die sich vor zwei Wochen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan haben fotografieren lassen? Warum findet die Weltmeisterschaft überhaupt in Russland statt? Oder die nächste in Katar?

Opferrolle Putins

So musste der Ex-Nationalspieler Arne Friedrichs diesen Part alleine übernehmen. Der forderte natürlich, „man müsse Fußball und Politik auseinander halten“. Es sei nicht „Wladimir Putins WM“. Die Weltmeisterschaft gehöre den Menschen. Das klang so schön naiv, dass man ihm gerne einen selbstgepflückten Blumenkranz überreicht hätte. Denn natürlich nutzt Putin die WM innenpolitisch für sich, wie Harms betonte. Allerdings „liefert ein Boykott Putin nur mehr Futter für seine Propaganda“, erwiderte Röttgen. 

Dafür nahm Friedrich als einziger die Verbände in die Pflicht. Zur Rolle der Spieler bei der WM betonte er die Mündigkeit dieser. Auch Röttgen empfahl den Fußballern, sich auf das Sportliche zu konzentrieren. Das klang schon so, als ob er Böses vermute. Denn wie es aussieht, wenn die Spieler Fußball und Politik vermischen, hat die Trikotübergabe von Özil und Gündogan an Erdogan mehr als verdeutlicht. Auch die WM 1978 in Argentinien half am Ende nur, die Diktatur zu festigen.

Regionalmacht Russland?

Bei „Anne Will“ zeichnete sich bald eine unerwartete Allianz zwischen Edmund Stoiber und Gregor Gysi ab. Gemeinsam versuchten sie, Putins Verhalten durch frühere Verfehlungen des Westens zu erklären. Stoiber gab sich sogar selbstkritisch. „Ich war ja mal der älteste Kalte Krieger neben Franz-Josef Strauß, aber heute muss ich sagen: Was hat das denn gebracht?“ Am Verhängnisvollsten, so betonte Stoiber, sei Barack Obama gewesen, der von Russland als Regionalmacht sprach. Stoiber und Gysi vermittelten ein Bild von Wladimir Putin wie in der amerikanischen Serie „House Of Cards“. Hier heißt die Figur Putins Viktor Petrov. In der dritten Staffel fordert Petrov den Abbau des Verteidigungsnetzes der Nato in Osteuropa. Er sieht darin eine Bedrohung, während er gleichzeitig durch ein Täuschungsmanöver einen Krieg im Nahen Osten auslöst. Egal ob Petrov oder Putin, sähen sie diese „Anne Will“-Sendung, würden sie sich wohl vor Freude die Hände reiben. Denn natürlich löst immer ein Ereignis das nächste aus. Aber wie lange will man dieses Spiel spielen? Irgendwann muss jemand mit gutem Beispiel vorangehen.

Ob dieses gute Beispiel nun der Besuch oder der Boykott Merkels der WM ist, das war auch am Ende der Sendung nicht klar. Es wurde allerdings auch zu keinem Zeitpunkt diskutiert. Vielleicht wird die ganze Kontroverse aber auch schon früh überflüssig: Wenn die Nationalmannschaft so spielt wie am vergangenen Wochenende gegen Österreich, fliegt sie aus dem Turnier, bevor Merkel überhaupt Zeit hat, die Spiele zu besuchen. 

Mehr über Russland können Sie in unserer aktuellen Titelgeschichte erfahren. Auch in ihr geht es um das Verhältnis zwischen  Russland und dem Westen. 

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