Französischer Präsidentschaftswahlkampf - Der Störenfried

Der Journalist Éric Zemmour mischt den französischen Präsidentschaftswahlkampf mit einer nicht deklarierten Kandidatur auf. In den Umfragen überflügelt der rechte Bestsellerautor bereits die Populistin Marine Le Pen. Und viele sehen in ihm den „französischen Trump“.

Éric Zemmour während einer Signierstunde in Brüssel im Jahr 2015 / dpa
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Sein neues Buch „Frankreich hat noch etwas zu sagen“ klingt ein wenig wie die Antwort eines Pariser Intellektuellen auf Donald Trumps „Make America Great Again“. Und wenn Éric Zemmour die Streitschrift gegen Migration, Islam und Banlieues öffentlich vorstellt, verwandeln sich seine Lesungen meist in so etwas wie frenetische Wahlkampfveranstaltungen. „Wir sind nicht mehr in Frankreich“, ruft der 63-jährige Publizist dann in den randvollen Saal. Fans schwenken T-Shirts mit der Inschrift „Z 2022“, andere skandieren „Zemmour Président“.

Zemmour ist ein Senkrechtstarter. In den sonst sehr statischen Meinungsumfragen Frankreichs hat sich der passionierte Intellektuelle, der bei seiner Bewerbung für die Eliteschule Ena gescheitert war, in wenigen Wochen von acht auf 16 Prozent hochgeangelt. In einzelnen Erhebungen übertrifft er damit sogar Marine Le Pen, die sich im kommenden April bereits in der präsidialen Stichwahl gegen Präsident Emmanuel Macron (derzeit 23 Prozent in den Umfragen) wähnte. Ohne Partei und ohne Apparat, ohne Programm und ohne Kampagne hat der Mann mit dem wenig erbaulichen Äußeren gute Chancen, im April in die Stichwahl einzuziehen. Und was dann passiert, wagt derzeit niemand vorherzusagen.

Plakate für „den Präsidenten Zemmour“

Dabei hat Zemmour noch nicht einmal seine Kandidatur erklärt. Warum soll er auch, solange er in den Umfragen zulegt und die Strategien seiner Gegenspieler durcheinanderbringt? Nur kleine Details verraten ihn: Bei seinen Auftritten trägt er neuerdings eine Krawatte, wie es sich für Elysée-Anwärter ziemt. Unbekannte kleben in den Städten Plakate für „den Präsidenten Zemmour“.

Seine Sendungen auf dem rechten Livesender CNews hat der rhetorisch versierte Journalist aufgeben müssen: Der französische Medienrat hatte begonnen, seine Wortmeldungen als Sprechzeit einer Wahlkampagne zu zählen. Zemmour nennt das „institutionalisierte Zensur“. Der Medienhype um seine Person straft die Behauptung Lügen. Alle Redaktionen wollen ihn interviewen, alle sprechen nur noch von ihm.

Der Verurteilte trifft einen Nerv der Zeit

Die große Frage ist: Warum gelingt es einem wie Zemmour, den einsetzenden Präsidentschaftswahlkampf fast aus dem Stand aufzumischen? Ganz einfach, weil der schon mehrfach wegen rassistischer Hetze verurteilte Liebhaber von Balzac und Victor Hugo in Frankreich einen Nerv der Zeit trifft. Endlich mal einer, der offen sagt, was seine Fans denken, wenn er sich an „maghrebinischen Drogenhändlern“ oder den „kastrierenden Feministinnen“ stört. In einem Interview mit dem Publikumssender RTL erklärte er: „Ich sehe den katastrophalen Zustand Frankreichs, ich sehe, dass sich unsere Zivilisation verändert. Was mich stört, dass unsere Kinder von ihren Eltern auch noch nach drei Generationen in Frankreich ‚Mohammed‘ genannt werden.“

Am liebsten stimmt Zemmour das Lied der nationalen Nostalgie und Dekadenz an, sichtbar allein schon an den Titeln seiner Bestseller wie „Der französische Selbstmord“ oder „Französische Melancholie“. Die Masche des „Früher war alles besser“ fällt in einem Land, das seiner verflossenen Grandeur nachtrauert, auf fruchtbaren Boden.

Politisch umgemünzt heißt das: Zemmour verficht die rechtsextreme Theorie der „Großen Ablösung“. Gemeint ist die Ersetzung des weißen, katholischen Frankreichs durch die Migration aus Afrika. Sogar der Populistin Le Pen geht diese These des Schriftstellers Renaud Camus (75) zu weit. Dafür ist ihr Vater Jean-Marie Le Pen Feuer und Flamme.

Rechts von Marine Le Pen

Zemmour bestreitet zwar die ideologische Nähe zum ehemaligen Gründer des Front National (FN). Doch sie wirkt auch umgekehrt: Als er, der Sohn algerischer Juden, das Vichy-Regime rehabilitieren wollte („Pétain rettete vielen Juden das Leben“), spendete ihm Le Pen senior Applaus. Dass Zemmour rechts von Marine Le Pen steht, machte er selber klar, als er verächtlich erklärte, zwischen Macron und der Le Pen-Tochter gebe es kaum mehr Unterschiede, seit sie ihren Diskurs gemäßigt habe und sich salonfähig gebe.

Viele Pariser Medien vergleichen Zemmour mit Donald Trump: Beide machten die Immigranten zu Sündenböcken, beiden verträten eine paradoxe Wirtschaftspolitik: Sie gäben sich liberal im Innern, protektionistisch gegen außen. Marine Le Pen bezeichnet Zemmour als „ultraliberal“. Das will aber in Frankreich nicht viel heißen. Auch Zemmours Tiraden gegen die EU sind zu relativieren: Er will weder aus der EU noch aus dem Euro austreten. Gewiss aber würde er wie die polnische Regierung das nationale über das europäische Recht stellen.

Allerdings hat Zemmour noch gar kein Programm vorgelegt. Das gilt in Paris nicht als schlimm: Anders als in Deutschland zählt in Frankreich weniger, was man verspricht, sondern was man hält. Nicht das Programm zählt – alle französischen Politiker versprechen seit 50 Jahren tiefgreifende Reformen –, sondern der politische Mut, die Reformen umzusetzen. Macron hat es zum Beispiel bis heute nicht geschafft, seine wichtigste Reform, die der Renten, anzupacken.

Gefahr für Macron?

Was den noch ein halbes Jahr dauernden Präsidentschaftswahlkampf betrifft, lautet die zentrale Frage: Profitiert Macron von Zemmour, wenn dieser Le Pen aus der Stichwahl verdrängt? Das ist nicht einmal so sicher.

Der amtierende Präsident setzte seit seiner klaren Wahl im Jahre 2017 voll auf ein erneutes Duell mit Le Pen, weil er es fast nur gewinnen kann. Wenn die 53-jährige Populistin aber die rechten Wählerstimmen mit Zemmour teilen muss, könnte sie womöglich nicht einmal in die Stichwahl vorstoßen. Zemmour oder ein starker Einheitskandidat der Konservativen oder der Linken könnten Macron gefährlicher werden als Le Pen.

Wie auch immer, in jedem Fall wirbelt Zemmour die Präsidentschaftswahlen durcheinander. Ob er ein kurzlebiges Medienphänomen ist oder ob er einen längeren Atem an den Tag legt wie Macron vor vier Jahren, muss sich noch zeigen. Aber selbst wenn die Zemmour-Blase platzen sollte, offenbart sie wieder einmal die unstillbare französische Sehnsucht nach allen Arten von selbst ernannten Heilsversprechern.

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