Europäische Union - Weitere fünf Jahre von der Leyen?

Ursula von der Leyen hat heute erklärt, dass sie eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission anstrebt. Es ist zu befürchten, dass sich nach der nächsten Europa-Wahl kein anderer Spitzenkandidat gegen sie durchsetzen wird. Dabei ist schon ihre bisherige Bilanz als Kommissionspräsidentin verheerend.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und CDU-Bundesvorsitzender Friedrich Merz auf der heutigen Sitzung des CDU-Bundesvorstands / dpa
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Autoreninfo

Kurt Joachim Lauk ist ein deutscher Politiker (CDU) und ehemaliger Europaabgeordneter für Baden-Württemberg in der Europäischen Volkspartei. Von 2000 bis 2015 war er der Präsident des Wirtschaftsrates der CDU. 

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Die Leistungsbilanz von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ist absolut enttäuschend. Egal ob Freihandelsabkommen, Bankenunion, Migration, Sicherheitspolitik oder Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft – bei keinem einzigen für die EU relevanten Zukunftsthema hat sie geliefert. Die Bürokratie in der EU wurde unter ihrer Verantwortung ausgebaut statt abgebaut. Im Kern hat sie eine links-grüne Politik zum Schaden Europas gefahren. Weitere fünf Jahre als Kommissionspräsidentin werden Europa nicht stärker, sondern noch schwächer machen. Dennoch hat der CDU-Bundesvorstand von der Leyen heute einstimmig nominiert.

Dabei gab es schon mal einen EU-Präsidenten, der groß gedacht und dann auch etwas Großes gebaut hat. 40 Jahre ist das her. Sein Name war Jacques Delors, ein französischer Wirtschaftswissenschaftler und Politiker, der von 1985 bis 1995 an der Spitze der Europäischen Union stand. Erst vor wenigen Wochen, kurz nach Weihnachten, ist er im greisenhaften Alter von 98 Jahren gestorben.

Delors hat so etwas wie eine wirtschaftspolitische Autobahn für Europa gebaut. Auf dieser Autobahn war er in einem nach heutigen Maßstäben rasanten Tempo unterwegs. Er hat das Tor geöffnet für einen gemeinsamen Markt, den freien Waren- und Güterverkehr, und auch noch die Grundlagen für eine Währungsunion geschaffen, mit der sich Deutsche und Franzosen anfreunden konnten. Vor allem letzteres grenzt noch heute an ein politisches Wunder. Und das Ganze in nicht einmal zehn Jahren!

Ein starker Kommissionspräsident

Delors Schaffenskraft, sein Mut und seine Entschlossenheit waren den politischen Entscheidungsträgern in der EU am Ende aber doch suspekt. Nach seiner dritten Amtszeit haben sie – so scheint es rückwirkend zumindest – einen Grundsatzbeschluss gefasst: Wir wollen nie wieder einen starken Kommissionspräsidenten haben.

Seitdem baut Brüssel keine Autobahnen mehr. Die gigantisch angeschwollene Behörde ist mitsamt ihrer schwachen Präsidentin, ihrer Kommissare und Tausender weitgehend praxisferner Zuarbeiter auf kleinen, holprigen Feldwegen unterwegs. Man beschäftigt sich dort mit viel kleinem Karo und weitgehend ideologiegetriebenen Einzelregulierungen. In der Folge erstickt Europa in Bürokratie und verliert Jahr für Jahr an globaler politischer Relevanz und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit.

Alle Chancen bei Amtsantritt

Die aktuelle EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei ihrem Amtsantritt eigentlich alle Chancen, von den Irrungen und Wirrungen der Feldwege wieder auf die große Autobahn zurückzukommen. Eine deutsche Politikerin, die von einem französischen Staatspräsidenten ins Amt gehievt wurde. Beide Großmächte der EU hinter sich. Und mit viel Geld ausgestattet. Was für Voraussetzungen! Heute muss man es so hart sagen: Sie hat daraus nichts, rein gar nichts gemacht.
 

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Ihr Antrittsversprechen bezogen auf Regulierungen – one in, one out – hat sie in ihrer Amtszeit verkehrt in five in, one out. Beispiel Handelspolitik. Dort liegt die exklusive Kompetenz der EU. Was ist dort passiert? Das Abkommen mit den Mercusor-Staaten? Steht kurz vor dem Aus. Das Freihandelsabkommen mit Kanada? Hängt seit Jahren in der Luft. Die Verhandlungen über TTIP? Wurden nach dem ersten Scheitern von Ursula von der Leyen nie wieder aufgenommen – wozu die Grünen und ihre Angstmacherei vor vermeintlichen Chlorhühnchen aus der erfolgreichsten Wirtschaftsnation des Planeten, den USA, einen großen Beitrag geleistet haben. Und die Australier sagen zur EU-Kommission freundlich, aber bestimmt: Wir sprechen gerne mit euch über Freihandel, aber lasst bloß euren moralischen Zeigefinger zuhause.

Diese Entwicklungen sind besonders fatal, weil Handelsabkommen zentral für die Exportregion Europa und damit den Wohlstand unserer Kinder und Enkel sind. Auch bei der Bankenunion ist unter von der Leyen faktisch nichts passiert. Europas und vor allem Deutschlands Banken sind international gesehen ein Schatten ihrer selbst. Das Ergebnis ist erschreckend: Alle großen M&A-Transaktionen in Europa können ohne US-Investmentbanken nicht über die Bühne gebracht werden. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Bankrotterklärung.

Das nächste Google müsste aus Europa kommen

Gleichzeitig wird die Gründung von nachhaltig erfolgreichen Start-ups behindert durch kleinliche Verordnungen, nicht nur beim Thema Datenschutz, sondern wiederum auch durch eine überbordende Bürokratie, über die unsere amerikanischen Freunde nur lachen können. So müssen Banken Finanzierungen von Start-ups genauso wie von Private-Equity-Unternehmen sofort mit 100% Eigenkapital unterlegen. Gleichzeitig wird in Brüssel seit Jahren über den Anspruch gesprochen, das nächste Google müsste aus Europa kommen.

Last but not least: Auch zur Begrenzung der Migration hat von der Leyen keinen echten Beitrag leisten können. Die Grenzschutzagentur Frontex wurde zwar ausgebaut – allerdings mit sehr überschaubarem Erfolg bei der Verhinderung von illegaler Einwanderung. Keines der relevanten Kernthemen, für die wir die Europäische Union brauchen, wurde von der Kommissionspräsidentin erfolgreich angepackt.

Von der Leyens schlimmster Fehler aber war, den globalen Wettbewerbsvorsprung Europas beim modernen Verbrennermotor ohne jede Not zu beseitigen. Die Proklamation des (vermeintlich!) emissionsfreien Autos bedeutet nichts anderes, als in Europa zwangsweise den „chinesischen PKW-Antrieb“ einzuführen (China hat im Batteriegeschäft einen Weltmarktanteil von 80%). Das ist ein Todesstoß für die europäische Beschäftigungs- und Wettbewerbsposition in dieser für uns so zentralen Industrie. Die sichtbare Zwischenbilanz dieser Politik sind der massive Angriff chinesischer Automobilhersteller in die preisgünstigen Segmente des europäischen Marktes und Entlassungswellen bei Automobilzulieferern.

Eine konkrete politische Agenda

So kann und darf es in Europa nicht weitere fünf Jahre gehen! Es ist aber zu befürchten, dass sich kein anderer Spitzenkandidat gegen von der Leyen nach der nächsten Europawahl durchsetzen wird. Deshalb ist es umso notwendiger, dass die Staats- und Regierungschefs sowie das dann neu gewählte EU-Parlament von der Präsidentin vor ihrer geplanten Wiederwahl eine konkrete politische Agenda verlangen. 

Dies tut umso mehr not, als dass das nächste Parlament nach derzeitigen Prognosen seine linke Mehrheit verlieren und eine Mitte-Rechts-Mehrheit haben wird. Ein/e Kommissionspräsident/in muss vor Amtsantritt erklären, wie er/sie mit einer solchen neuen Mehrheit regieren möchte.

Porträt des verstorbenen Jacques Delors in Frankreich / dpa

Eine entsprechende Agenda muss zunächst glaubwürdig den Abbau von Bürokratie beinhalten. Wie dringlich dies ist, zeigt, dass beim letzten „Trialog“ von Kommission, Rat und Parlament Ende des Jahres 2023 die Gründung von drei zusätzlichen bürokratischen Institutionen auf EU-Ebene beschlossen wurde: eine Einrichtung für Wasserstoffnetzbetreiber, eine neue EU-Behörde zur Geldwäsche-Bekämpfung sowie ein Amt zur Überwachung von KI-Modellen.

Reduzierung der Anzahl der Kommissare

Das Gegenteil ist, was wir brauchen. Die Reduzierung von Behörden – und zwar angefangen bei der Kommission: Die Anzahl der Kommissare muss von derzeit 27 auf höchstens zwölf Kernkommissare reduziert werden. Die Agenda muss außerdem festlegen, dass die genannten Freihandelsabkommen in einem wirtschaftsliberalen Geist entschlossen zu Ende verhandelt werden. 

Zu einer Erweiterung der EU darf es außerdem ohne grundlegende Veränderungen der EU-Institutionen nicht kommen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Ukraine: Eine Aufnahme des Landes kann erst nach einer Reform der Agrarpolitik sowie einer strengen Prüfung rechtsstaatlicher Prinzipien infrage kommen. Das Land hat unsere Solidarität im Krieg gegen Russland verdient. Eine automatische Aufnahme in die EU kann dies allerdings nicht zur Folge haben. Über Beitritte zur Union muss mit kühlem Kopf und auf Basis von Fakten entschieden werden, nicht mit heißem Herzen.

Darüber hinaus sollte der Verzicht auf das Einstimmigkeitsprinzip in wesentlichen außenpolitischen Fragen durchgesetzt werden. Die EU muss auf der weltpolitischen Bühne endlich handlungsfähig werden. Eine Abstimmung jeder außenpolitischen Positionierung unter 27 Mitgliedstaaten führt dazu, dass uns große Länder wie die USA, China oder Indien schlichtweg nicht ernst nehmen. 

Von der Leyen muss sich darüber hinaus auf ein klares Nein zur Aufnahme von Schulden durch die EU verpflichten, sofern die Zinszahlungen auf die Nationalstaaten abgewälzt werden. Die Vergemeinschaftung von Schulden war, ist und bleibt unvereinbar mit europäischem Recht! Die EU untergräbt damit jede Glaubwürdigkeit bei Bürgern und Unternehmen. Die Schuldengrenze darf nicht ausgehebelt werden.

Autobahnen in Richtung Zukunft

Nicht zuletzt muss die Agentur Frontex zügig und deutlich gestärkt werden, um die ungeordnete und illegale Massenmigration nach Europa endlich einzudämmen. Eine solche Reformagenda muss konstitutiver Bestandteil einer Wiederwahl eines/r EU-Kommissionspräsidenten/in sein. Egal, welcher Name also aufs Tableau kommt – sie oder er muss eine solche Programmatik vorlegen als zwingende Voraussetzung für eine Wiederwahl. Ohne Reform keine Wiederwahl.

Die großen Autobahnen in Richtung Zukunft werden seit vielen Jahren von den USA, China und auch einigen arabischen Staaten gebaut. Es wird Zeit höchste Zeit, dass Europa seine selbstgebauten Feldwege verlässt und ebenfalls wieder auf die große Straße in Richtung Zukunft zurückkehrt. Die alte und wahrscheinlich neue EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat die Pflicht, diesen Pfad vorzugeben. Bei Jacques Delors kann sie sich abschauen, wie es geht. Fünf weitere verlorene Jahre, die uns eher zurückwerfen als nach vorne bringen, kann sich unser Kontinent nicht leisten. Die EVP hat hier eine besondere Verantwortung: Als größte und führende Fraktion muss sie hier die Agenda setzen.


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