Das Ende der liberalen Demokratie? - Die Panik der Anständigen

Den Rückbau der liberalen Demokratie kann man in Deutschland ebenso wie in anderen westlichen Ländern feststellen. Die Aushöhlung der Meinungsfreiheit geht mit einer gefährlichen Einschränkung notwendiger Sachdebatten einher.

Vom Geist der Zensur beseelt: Die irische Justiz- und Gleichstellungsministerin Helen McEntee / dpa
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Ronald G. Asch hatte den Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Freiburg inne

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Das irische Parlament berät zur Zeit über ein neues, drakonisches Gesetz gegen „Hassrede“. Das Gesetz würde, wenn es angenommen wird, alle Äußerungen unter Strafe stellen, die als Ausdruck des Hasses auf eine geschützte Gruppe interpretiert werden können. Das Gesetz wird über Irland hinaus Auswirkungen haben, weil große Internet-Gesellschaften wie X (ehemals Twitter) ihren europäischen Sitz in Dublin haben. 

Strafbar sind grundsätzlich Äußerungen, die sich gegen eine Person richten, weil sie etwa einer bestimmten ethnischen Gruppe oder einer spezifischen Religionsgemeinschaft angehört, eine besondere sexuelle Orientierung hat oder sich einem bestimmten Geschlecht zurechnet. Als Geschlecht gilt dabei die Identität, die sich eine Person selbst zuschreibt, nicht unbedingt das biologische Geschlecht. 

Schon an dieser Stelle wird klar, wie problematisch die Folgen eines solchen Gesetzes sein können. Es könnte leicht genutzt werden, um alle Personen zu kriminalisieren, die daran festhalten, dass der Mensch ein zweigeschlechtliches Wesen ist und sein angeborenes Geschlecht nicht ohne weiteres ändern kann. Besonders bedenklich an dem Gesetzesentwurf ist überdies, dass einem Beschuldigten keine explizite Absicht, andere Menschen verbal oder durch Gesten zu verletzen, nachgewiesen werden muss; auch wird der Begriff „Hass“ nicht näher definiert. Es reicht der Umstand, dass Betroffene sich faktisch verletzt fühlten, was natürlich bei hinreichender persönlicher Empfindlichkeit sehr rasch der Fall sein kann. 

 

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Überdies stellt das Gesetz auch den Besitz von Material, etwa von Computerdateien, unter Strafe, das sogenannte Hassbotschaften enthält, wenn auch nur die Möglichkeit besteht, dass solches Material dritten Personen zugänglich gemacht werden soll. Auf den Besitz dieses Materials stehen bis zu fünf Jahre Gefängnisstrafe. 

Es ist eindeutig die Absicht der irischen Regierung, die Meinungsfreiheit in Irland massiv einzuschränken, auch wenn es gegen den Gesetzentwurf mittlerweile eine Kampagne gibt, die mit dem Slogan „Bin the Bill“ („stampft den Gesetzentwurf ein“) antritt. Die Regierung kann freilich an eine gute, oder vielleicht auch nicht so gute Tradition anknüpfen, denn in der Republik Irland übte zwischen 1930 und 2016 (!) das Censorship of Publications Board eine umfassende Zensur aus, der zumindest bis in die 1970er Jahre auch rein literarische Werke zum Opfer fielen, wenn sie etwa die katholische Kirche und ihre Sexualmoral offen kritisierten.

Auch in Deutschland ist die Meinungsfreiheit in Gefahr

Von daher erscheint die Epoche einer liberalen Demokratie mit weitgehender Meinungsfreiheit in Irland wie eine recht kurze Episode, die sich jetzt ihrem Ende nähert, auch wenn die neue Zensur sich an ganz anderen Werten orientiert als die alte. Irland mag hier mit seiner politischen Kultur einen Sonderfall darstellen, aber parallele Entwicklungen kann man auch in anderen europäischen Ländern beobachten. 

In Großbritannien geht die Polizei in den letzten Jahren immer häufiger gegen sogenannte „non-crime hate incidents“ (nicht strafbare Hassrede) im Netz, aber auch im Alltag vor, und auch in Deutschland sind in einigen Bundesländern bereits Meldestellen für „wrongthink“, für falsches Denken, soweit es sich öffentlich manifestiert, eingerichtet worden. Man mag sagen, solche Meldestellen würden doch nur – vermeintliche – Angriffe auf geschützte Minderheiten registrieren, mit Sanktionen müssten die „Übeltäter“ nicht rechnen. Das ist aber wohl nicht ganz zutreffend. 

Die Welt etwa berichtete jüngst vom Fall einer Bloggerin namens Rona Duwe, die wegen inkriminierter Äußerungen, die sich gegen die Transgender-Ideologie richteten, von der Polizei zur erkennungsdienstlichen Erfassung vorgeladen wurde, offenbar mit dem Ziel, sie einzuschüchtern, denn für eine solche Vorladung, die dann unter dem Druck der Öffentlichkeit zurückgezogen wurde, bestand an sich kein Anlass. Auf abweichende Meinungen wird also bereits jetzt ein erheblicher Druck ausgeübt, und es ist zu erwarten, dass dieser Druck in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. 

Dafür sprechen auch einschlägige aktuelle Äußerungen der Bundesinnenministerin. Es mag ja grundsätzlich löblich sein, Antisemitismus im Netz ebenso wie Rechtsextremismus zu bekämpfen – wobei Frau Faeser linksextreme Bestrebungen eher selten auf dem Radar hat, was dann vielleicht doch mehr als nur ein Zufall ist –, aber gefährlich wird es, wenn dabei außerhalb des Strafrechtes Tatbestände geschaffen werden, die faktisch Sanktionen nach sich ziehen, ohne dass es dafür eine klare Grundlage gibt. So hat die Ministerin jüngst in einem Tweet geäußert: „Wir wollen bei Rechtsextremisten jeden Stein umdrehen. Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ 

„Verhöhnung“ des Staates ist natürlich ein recht vager Begriff. Zwar stellt § 90a StGB das „Verächtlichmachen“ des Staates und seiner Verfassungsordnung sowie tätliche Angriffe auf seine Hoheitszeichen in der Tat unter Strafe, aber in der heutigen aufgeheizten Atmosphäre besteht offenbar eine Tendenz nicht nur des Innenministeriums, sondern auch des Verfassungsschutzes unter seinem Präsidenten Haldenwang, auch allzu laute und aggressive Kritik an einer mangenden Handlungsfähigkeit des Staats in zentralen Bereichen oder an vermeintlichen politischen Fehlentscheidungen schon als verfassungsfeindliche „Delegitimierung des Staates“ zu bewerten. 

Beschreitet man diesen Weg, dann ist man am Ende nicht mehr weit entfernt von der Türkei, wo bekanntlich die „Herabwürdigung des Türkentums“ unter Strafe gestellt ist. Dass die Bundesfamilienministerin Frau Paus hier noch eine Schippe drauflegt und mit der Parole „Hass ist keine Meinung“ massive Maßnahmen gegen missliebige Meinungsäußerungen im Netz fordert, wundert einen dann nicht mehr. Frau Paus will ganz dezidiert „Hass“ auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze mit geeigneten Maßnahmen unterbinden. Das ist bedenklich, weil damit die in einem Rechtsstaat ganz zentrale Unterscheidung zwischen legal und illegal verwischt wird. Und man kann vermuten, dass Frau Paus von einem ähnlich scharfen Gesetz wie dem irischen Gesetzentwurf gegen Hassrede geradezu begeistert wäre.

Der Kampf gegen vermeintliche Diskriminierungen gefährdet die Wissenschaftsfreiheit

Diese Tendenz im Namen des Kampfes gegen „Hass“ und „Hetze“ die Meinungsfreiheit einzuschränken, geht leider auch an der Welt der Wissenschaft nicht spurlos vorbei. Zunehmend versuchen hier eigene Stabsstellen für Diversity, gesamte Hochschulen wie in den USA auf ein ideologisch einseitiges Programm der Inklusion und der umfassenden positiven Diskriminierung von Minderheiten festzulegen. Manche Stabsstellen wie z.B. an der Albrecht-Ludwigs-Universität Freiburg entwickeln dann sogar ein eigenes Glossar, dem die Angehörigen der Universität entnehmen können, wie sie korrekt formulieren und denken sollen, etwa dass Kritik am Islam tendenziell immer eine Form des Rassismus sei oder dass „Weißsein“ eine wichtige „rassismuskritische Analysekategorie“ im Sinne der Critical Race Theory sei. Sicher, noch sind das bloße Empfehlungen, aber man kann davon ausgehen, dass die Rektorate durchaus versuchen werden, solche Sprachregelungen zumindest im offiziellen Schriftverkehr und in der Förderung von Forschungsschwerpunkten stärker verbindlich zu machen. 

Manche Universitäten gehen noch weiter und versuchen, direkt Druck auf diejenigen auszuüben, die sich dem dominierenden „woken“ Einheitsdenken widersetzen. Ein unrühmliches Beispiel dafür ist die Präsidentin der TU Berlin, Geraldine Rauch, die jüngst in einem Text auf Table.Media die Mitglieder des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit als tendenziell rechtsradikal diffamierte, sicherlich auch mit dem Ziel, Wissenschaftler ihrer eigenen Uni, die in diesem Netzwerk Mitglied sind, zum Austritt zu nötigen. Ob ein solches Verhalten einer Universitätspräsidentin noch vom geltenden Recht gedeckt ist, werden die Juristen klären müssen. Aber Frau Rauch scheint nicht aufgefallen zu sein, dass ihre Behauptung, es gebe gar keine Cancel Culture, einen performativen Widerspruch darstellt, wenn sie gleichzeitig eben diese durch Ausgrenzung von Andersdenkenden praktiziert.

Auf dem Weg in eine „gelenkte“ Demokratie?

In jedem Fall zeichnet sich am Horizont auch hier bei uns die Kontur einer illiberalen, gelenkten Demokratie ab, in der jeder, der von der offiziellen Linie zu weit abweicht, rasch in Gefahr gerät, als „rechts“, als rassistisch oder als transphob gebrandmarkt und am Ende zur sozialen Unperson erklärt zu werden. Wie konnte es so weit kommen? Zum einen haben eher progressive Eliten offenbar zunehmend den Eindruck, dass ihnen die Dinge entgleiten. Der Widerstand des „Herrn Omnes“, des, wie man meint, unaufgeklärten gemeinen Mannes gegen die von oben verordnete Politik, sei es nun auf dem Feld der Energiepolitik oder der Migration oder der Transgender-Agenda, wird zu stark. Daher erscheint es ratsam, demokratische Mitsprache und die Meinungsbildung, die ihr vorausgeht, gezielt in eine hinreichend konforme Richtung zu lenken. Das geplante Demokratieförderungsgesetz zeigt ja eine ähnliche Tendenz. 

Aber es kommt noch etwas anderes hinzu. Indem man das Ideal der Toleranz gegenüber Minderheiten jeder Art so verabsolutiert hat, dass dahinter alle anderen Wertvorstellungen zurücktreten, erscheint es als unverantwortlich, die vermeintlich oder wirklich Intoleranten im öffentlichen Raum zu dulden. Aus dem Ruf nach Toleranz wird die Forderung: Keine Toleranz für die Intoleranten. Das besitzt durchaus eine gewisse Logik, wird aber spätestens dann gefährlich, wenn man das subjektive Gefühl einer bestimmten Identitätsgruppe, ihren Mitgliedern werde nicht genug Respekt entgegengebracht, als entscheidendes Kriterium für die Definition von Intoleranz verwendet. 

Damit droht nicht nur eine Aushöhlung der Meinungsfreiheit, sondern auch eine gefährliche Einschränkung notwendiger Sachdebatten. Wenn man über bestimmte Probleme nicht mehr offen sprechen kann, kann man sie auch nicht lösen, man denke an die Migrationsdebatte. Man hat aber den Eindruck, dass die Panik bei denen, die sich in den Konflikten der Gegenwart exklusiv für die „Anständigen“ halten, mittlerweile so groß ist, dass man in einer Einschränkung von Freiheitsrechten den letzten Ausweg im Kampf gegen die eigenen Gegner – oder sind es nicht am Ende schon Feinde? – sieht. Ob dieses Experiment freilich gelingt, ist sehr ungewiss. Die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, die auch, wenn auch sicher nicht ausschließlich, eine Folge dieser Art von Politik ist und die einem skrupellosen Demagogen wie Trump erst seinen Resonanzraum verschafft hat, spricht wohl eher dagegen. 

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