Emmanuel Macron und Sebastian Kurz - Die Gegenspieler

Es ist die Zeit der pragmatischen Jung-Politiker. Der „Spiegel“ hebt Frankreichs Emmanuel Macron auf den Titel, in Österreich gewinnt der 31-jährige Sebastian Kurz mit seiner ÖVP die Wahl. Cicero hatte diese neue Generation und ihren Regierungsstil schon in der Juli-Ausgabe beschrieben

Erschienen in Ausgabe
Sebastian Kurz aus der Alpenrepublik ist die Komplementärfigur zu Emmanuel Macron in Frankreich / Illustration: Birgit Schössow
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

So erreichen Sie Christoph Seils:

Anzeige

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

So erreichen Sie Eric Bonse:

Anzeige

Alle sind sie vorgefahren mit großem Geleit: der ukrainische Außenminister, sein Amtskollege aus Serbien, der EU-Kommissar und die Gastgeberin Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau von Niederösterreich und frühere Innenministerin.

Nur einer fehlt noch bei der Konferenz namens Europa-Forum, und der hat jetzt seinen Auftritt.

„Dös is der Sebastian Kurz“, murmelt einer aus der Menschentraube vor dem Portal des niederösterreichischen Stiftes Göttweig, als sich plötzlich alle Köpfe herumdrehen, hin zu einer Kolonne dunkler Limousinen, die 200 Meter entfernt angehalten hat: „Der steigt vorher aus und kommt daher, wie wenn er mit’m Bus komma wär.“

Makelloser Auftritt des Politik-Superstars

Die Fernsehleute rennen los mit geschulterten Kameras, umringen den Mann in seinem dunkel­blauen Anzug. Vor dem Eingang zum Stift bildet sich ein konzentrischer Kreis aus Menschen um die Hauptperson. Und Sebastian Kurz? Zupft sich jetzt erst mal die weißen Manschetten aus den Ärmeln. Sein Teint ist matt, das Gesicht ist von einer feinen Schicht Make-up überzogen, es sieht wie Airbrush aus. Genauso akkurat redet der neue Superstar der österreichischen Politik. Sitzt ein Satz nicht so makellos wie sein zurückgekämmtes Haar, dann setzt der junge Mann einfach noch mal an. Gerade Hauptsätze, parataktisch gebaut, kaum Füllsel.

Erst spricht er in die eine Kamera, dann legt er den Kopf herum, die nächste Kamera bitte. „Haben wir’s?“, sagt sein Blick schließlich. Noch ist Sebastian Kurz österreichischer Außenminister, aber die Kanzlerschaft hat er bereits fest in den Blick genommen. Die vorgezogene Neuwahl am 15. Oktober könnte für Sebastian Kurz mit einem fulminanten Wahlsieg enden.
Erst Frankreich, jetzt Österreich. Sebastian Kurz, der machthungrige Aufsteiger der Konservativen in der Alpenrepublik, ist die Komplementärfigur zu Emmanuel Macron in Frankreich, der erst die Präsidentschaftswahl und nun auch die Parlamentswahlen mit seiner En-Marche-Bewegung erdrutschartig gewann. Beide sind zwar lupenreine Produkte des etablierten Politikapparats ihrer Heimatländer, aber beide haben es geschafft, sich als Alternative zum Establishment zu präsentieren. Zusammen können sie für Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin und mächtigste Frau Europas, zu einem Problem werden.

Revolution en marche

Als Emmanuel Macron zu Beginn des französischen Präsidentschaftswahlkampfs im November 2016 ein Buch mit dem Titel „Revolution“ veröffentlichte, glaubte noch kaum jemand an den Erfolg des parteilosen Politikers. Zu vage schien sein Versprechen, Frankreich ökonomisch zu modernisieren und das verkrustete Parteiensystem zu überwinden. Doch ein halbes Jahr später ist die Revolution tatsächlich „en marche“, der Umbau in vollem Gange. Und die Parteien, die die Fünfte Republik in Frankreich seit 1958 prägten, spielen nur noch eine Nebenrolle. Die Franzosen sind der alten Strukturen überdrüssig, Sozialisten und Republikaner zerlegen sich zudem mit innerparteilichem Zwist selbst.

Es ist eine französische Zeitenwende. Seit Charles de Gaulle galt in Frankreich die Regel, dass sich Sozialisten und konservative Republikaner die Macht teilen. Liberale Politiker wie Macron spielten bloß eine Nebenrolle. Nur einmal, von 1974 bis 1981, hatte ein Liberaler – Valéry Giscard d’Estaing – den Élysée-Palast geführt, danach verschwand seine Partei UDF wieder in der Versenkung. Die Macht übernahm anschließend der Sozialist François Mitterrand, von dem sich Macron die taktische Finesse und die große symbolische Geste abgeschaut hat. Mit ihm soll der liberale Aufbruch dieses Mal länger anhalten und tiefer gehen.

Die dicken Brocken zuerst

Macron will das etablierte Parteiensystem und die traditionelle Spaltung in links und rechts überwinden und die Politik in Frankreich völlig neu ordnen. Der 39-Jährige will Schluss machen mit Vetternwirtschaft und Ämterhäufung und die Berufspolitiker durch eine neue Klasse von politisch engagierten Bürgern ersetzen. Seine erste Regierung hat einen konservativen Premierminister, einen sozialistischen Außenminister, eine liberale Verteidigungsministerin und eine parteilose Kulturministerin, die zuvor einen renommierten Buchverlag leitete. Jeder zweite Kandidat auf seiner Liste für die Parlamentswahl kommt aus der Zivilgesellschaft und hatte zuvor noch nie etwas mit Politik zu tun.

Kann das gut gehen? Auf jeden Fall will Macron keine Zeit verlieren. Die ersten großen Reformen sollen möglichst bald beschlossen werden. Statt die dicken Brocken wie bisher üblich auf später zu verschieben, will der Präsident ein Kernstück seines Programms – die ungeliebte Arbeitsmarktreform – noch vor der Sommerpause auf den Weg bringen. Damit es schneller geht, setzt der neue Präsident auf Verordnungen, die das Parlament zwar im Grundsatz absegnen, im Detail aber nicht mehr verändern kann. Die Gewerkschaften und die Linke werfen ihm deswegen vor, die Demokratie auszuhebeln und einen unsozialen, neoliberalen Kurs zu verfolgen.

„Yes, we can“

Doch Emmanuel Macron hat das Kunststück fertiggebracht, die Flexibilisierung der Arbeitszeit und die Lockerung der Tarifbindung als Aufbruch in die Zukunft zu verkaufen. Bislang folgen ihm die Wähler. Er setzt Zuversicht und Tatendrang gegen Pessimismus und Untergangsstimmung. Und genauso selbstbewusst, wie er die innenpolitischen Reformen angeht, will Macron auch eine Reform der Europäischen Union und ihrer Institutionen in Gang setzen. Das ist neu in Frankreich, wo der „déclin“, der Niedergang, schon beinahe zum Programm geworden war. „Yes, we can“, das Motto des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, ist auch Macrons Maxime.

In Österreich orientiert man sich lieber an der eigenen Geschichte. Als „Metternich des 21. Jahrhunderts“ wird Sebastian Kurz vom Schriftsteller Joachim Lottmann bezeichnet. Der Wahlwiener sitzt in einem Café in der österreichischen Hauptstadt und spricht über den ambitionierten Außenminister, als handle es sich mehr um ein Phänomen als um eine echte Person. Bei Kurz sei das so: „Der steigt unten in einen Aufzug ein, und alle hassen ihn. Bis der Aufzug im vierten Stock angekommen ist, lieben ihn alle.“

Österreichs Messias

Sogar als Jesus hat der Falter, die linksalternative österreichische Wochenzeitung, Sebastian Kurz jüngst präsentiert. „Österreich grüßt seinen Messias“, titelte das Blatt und veröffentlichte eine ziemlich gut recherchierte Geschichte darüber, wie der junge Mann nach der Macht in der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) griff. In rasender Geschwindigkeit hatten Kurz und seine Leute gegen die Parteiführung geputscht und die Große Koalition aufgekündigt. Binnen weniger Stunden hatten die Kurzianer die Homepage der ÖVP gekapert, wegen Umbauarbeiten geschlossen und auf Kurz’ persönliche Seite verlinkt, zum „Team Kurz“. Früher wurden bei einem Umsturz die Radiosender besetzt, heute sind es die Homepages. Der amtierende sozialdemokratische Kanzler Christian Kern, selbst smart und fesch und auch erst 51 Jahre alt, sieht gegen den 30-jährigen Herausforderer plötzlich ziemlich betagt aus, etabliert und ergraut.

Sebastian Kurz und Emmanuel Macron – beide sind jung, hochintelligent und machtversessen. Sie sind mit großer Selbstverständlichkeit proeuropäisch, unbekümmert und weltoffen, nicht steif, aber selbstbewusst pathetisch. Sie gehören nicht nur einer Generation an, sie pflegen auch den gleichen pragmatischen und unideologischen Politikstil. Und sie sind rücksichtslos, wenn es darum geht, die eigenen Interessen durchzusetzen. Sebastian Kurz und Emmanuel Macron – auf diesen beiden Politikern ruhen nun alle Hoffnungen auf einen Neustart nicht nur in ihren Herkunftsländern, sondern auch in Europa. Zusammen könnten sie Angela Merkel herausfordern und ihr die deutsche Hegemonie auf dem Kontinent streitig machen. Die Rückendeckung der meisten anderen EU-Länder haben sie. Die europäische Front gegen Deutschlands Europapolitik der vergangenen Jahre steht ziemlich geschlossen. Selten waren die übrigen Mitgliedsländer der Oberlehrerin aus Berlin und ihres gnadenlosen Kassenwarts so überdrüssig wie zurzeit.

Staatsmann der neuen Art

Und selten wurde ein junger Politiker so sehr mit Vorschusslorbeeren bedacht wie Sebastian Kurz. Das amerikanische Nachrichtenmagazin Time kürte den Österreicher im März 2017 zu einem von zehn „Next Generation Leaders“. Seine pragmatische Antwort auf das europäische Flüchtlingsdrama habe ihn als einen „Staatsmann der neuen Art“ ausgewiesen, so die Begründung. Im Eiltempo wurde er vom Minister einer kleinen Nation zu einer weltpolitischen Figur.

Am 5. September 2015 hatte die Bundesrepublik ihre Grenzen für die unkontrollierte Völkerwanderung aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika geöffnet. Über die Balkanroute strömten monatelang Hunderttausende Flüchtlinge. Der nicht enden wollende Treck spaltete die öffentliche Meinung der Europäer wie keine andere Herausforderung zuvor. Das Spektrum reichte von der Zustimmung für die „Bewährungsprobe unserer Humanität“ bis zur Untergangspanik. In Deutschland ging das – bei den einen freudige, bei den anderen resignative – Wort um, im Zeitalter der Globalisierung existierten eben keine Grenzen mehr. Bis in der Nacht vom 8. auf den 9. März 2016 etwas geschah, das vorher nicht für möglich gehalten worden war: Die Balkanroute wurde offiziell für Flüchtlinge geschlossen. Ungarn, Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien riegelten abgestimmt ihre Grenzen ab. Auf den Weg gebracht hatte diese konzertierte Aktion der österreichische Außenminister Sebastian Kurz mit einer diplomatischen Meisterleistung: Österreich agierte synchron mit seinen Nachbarstaaten auf dem Balkan. Jetzt zahlte sich aus, dass die Alpenrepublik seit dem Ende des Kalten Krieges seine südöstlichen Nachbarländer gefördert hatte.

Merkels Gegenspieler

Vor allem Deutschland profitierte von der Grenzschließung, gedankt hat es Kurz dort niemand, zumindest nicht offiziell.
Sebastian Kurz und Emmanuel Macron – innerhalb kürzester Zeit avancierten der Österreicher und der Franzose zu europäischen Gegenspielern von Angela Merkel. Der eine beim Thema Migration, der andere in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Dabei haben Kurz und Macron auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam. Macron war Berater eines sozialistischen Präsidenten und Wirtschaftsminister einer linken Regierung, bevor er sich für unabhängig erklärte und auf liberalen Kurs ging. Kurz kommt dagegen aus der konservativen ÖVP, seine Positionen erinnern manchmal an die rechte FPÖ. Macron hat eine völlig neue Bewegung hervorgebracht, die die etablierten Parteien verdrängen will. Kurz hingegen übernimmt mit der ÖVP eine alte Säule des österreichischen Parteiensystems und formt sie nach seinem Gusto um. Dafür, dass sich die „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“ und Macrons Bewegung „La République en marche“ gut verstehen könnten, spricht auf den ersten Blick also nicht besonders viel.

Aber es gibt bereits informelle Kontakte zwischen den beiden Shootingstars. Sie kennen sich beispielsweise von den Zusammenkünften der Young Global Leaders, die der frühere FDP-Vorsitzende Philipp Rösler im Rahmen des Weltwirtschaftsforums von Davos regelmäßig einberuft. Auch darüber hinaus gibt es manches, das die beiden verbindet. Macron und Kurz sind Vertreter einer Generation, die aus persönlicher Erfahrung weder Krieg noch ein geteiltes Europa kennt. Die Kriegsgeneration von Konrad Adenauer und Robert Schuman hatte mit den Römischen Verträgen ihre Konsequenz aus den mörderischen Schlachten gezogen, die fast den ganzen Kontinent in Trümmer gelegt hatten. Die Nachkriegsgeneration von Helmut Kohl und François Mitterrand formte die Europäische Union in ihren ritualisierten Auseinandersetzungen zwischen rechts und links.

Pragmatische Politik

Mittlerweile sitzt in der EU mit Angela Merkel oder Jean-Claude Juncker eine Politikergeneration an den Schalthebeln der Macht, die der europäische Mut verlassen hat und die vor allem darum bemüht ist, den Status quo zu verwalten. Doch die Identitätskrise, in der Europa deswegen steckt, hat sich zu einer existenziellen Bedrohung für die EU ausgewachsen – der Brexit ist nur ein Beispiel dafür. Für Kurz und Macron hingegen sind offene Grenzen und freie Märkte innerhalb Europas selbstverständlich. Sie sind mit Google und Facebook groß geworden und müssen die Schlachten des 20. Jahrhunderts nicht mehr schlagen. Auch mit den großen alten Ideologien hat diese Generation, von der viele die Erasmus-Programme der EU nutzten, um fern der Heimat zu studieren, nicht mehr viel am Hut. Politik soll persönlich und pragmatisch sein, aber nicht politisch korrekt.

Ihren Aufstieg verdanken beide auch der Tatsache, dass sie sich im richtigen Moment von den alten Eliten losgesagt haben. Macron hat an einer französischen Eliteuni studiert, war Investmentbanker bei einem der traditionsreichsten Bankhäuser des Landes sowie Wirtschaftsminister. Und Sebastian Kurz? Er blickt auf eine klassische Berufspolitikerkarriere zurück. Mit 23 Jahren war er Vorsitzender der Jungen Volkspartei, der Nachwuchsorganisation der ÖVP, mit 24 Abgeordneter, mit 25 Staatssekretär, mit 27 jüngster Außenminister in der Geschichte Österreichs. Sein Jurastudium hat er abgebrochen. Kurz witterte seine Chance, als der bisherige ÖVP-Vorsitzende Reinhold Mitterlehner im Mai überraschend seinen Rückzug ankündigte. Wie er die Partei danach umkrempelte, erinnert an Macrons Vorgehensweise: Alles wurde auf eine Person – den charismatischen Chef – zugeschnitten, die PR-Maschine bestens geölt.

Hartes Auftreten gegen EU-Beitritt der Türkei

Allerdings wird Sebastian Kurz, anders als Macron, in Brüssel bislang noch nicht als europäischer Player wahrgenommen. Das liegt vor allem daran, dass er sich in der Türkeipolitik gegen den europäischen Mainstream gestellt hat. Bei einem Treffen der EU-Außenminister im Dezember 2016 blockierte er sogar die üblichen Rats-Schlussfolgerungen mit einem Veto. Kurz trat für ein generelles Einfrieren der Beitrittsgespräche mit der Türkei ein, was die Mehrheit der EU-Staaten ablehnte. Bei einem weiteren Treffen auf Malta im April kam es deswegen sogar zu einem Eklat mit Bundesaußenminister Sigmar Gabriel. Gabriel sagte vor Journalisten, dass Kurz mit seinem Wunsch „weiter allein dasteht“. Und: „Das hat viel mit österreichischer Innenpolitik zu tun, wenig mit der Türkei.“

Doch zugleich hat Kurz sein hartes Auftreten unter EU-Diplomaten viel Respekt eingebracht. Schließlich habe er mit seinen Hinweisen auf die türkischen Verstöße gegen die Meinungsfreiheit und die Menschenrechte „den Finger in die Wunde gelegt“, sagt ein Diplomat. Zudem habe er Standing bewiesen. Auch das Europaparlament zollt dem ÖVP-Politiker seine Anerkennung. Die Europaabgeordneten fordern seit langem ein Einfrieren der Türkeigespräche. Für Parlamentspräsident Antonio Tajani hat Kurz zwar noch nicht das Format eines gestandenen Europapolitikers.

Europäische Vordenker werden gebraucht

„Die einzige echte Europäerin ist Kanzlerin Angela Merkel“, sagte der konservative Italiener. Aber auch er ahnt, dass sich etwas grundsätzlich ändern muss. „Wir brauchen eine neue Generation europäischer Vordenker“, fügte Tajani hinzu. Zwar könne bisher selbst Frankreichs neuer Staatschef Emmanuel Macron der Kanzlerin noch nicht das Wasser reichen. Macron, Kurz und der frühere italienische Ministerpräsident Matteo Renzi seien bisher rein nationale Politiker, noch keine europäischen Leader. Aber: „Wir brauchen mehr Italien, mehr Frankreich, mehr Spanien oder Österreich.“ Dies würde auch Deutschland helfen, die EU voranzubringen.

Eines ist völlig klar: Wollen Kurz und Macron Europa verändern, wollen sie Merkel Paroli bieten, brauchen sie Mitstreiter. Und in der Tat hat der europäische Generationenwechsel gar nicht in Frankreich und Österreich begonnen – sondern in Italien. Noch bevor Macron und Kurz Furore machten, hatte Matteo Renzi im Februar 2014 in Rom die Macht erobert. Ähnlich wie Kurz übernahm auch er eine abgewirtschaftete Partei, den sozialdemokratischen Partito Democratico. Auch Renzi wurde dabei ein persönliches Machtkalkül unterstellt, zumal er sich sogar gegen den amtierenden Ministerpräsidenten durchsetzte – eine Parallele zu Macron in Frankreich.

Nachdem er 2014 die Regierung in Rom übernommen hatte, versprach Renzi, „jeden Monat eine Reform“ umzusetzen. Im Gegensatz zu den alten Eliten sei er ein Erneuerer und Verschrotter, rühmte er sich. Allerdings erlahmte der Reformeifer zusehends; auch in der Europapolitik konnte sich Renzi nicht durchsetzen. Vor allem mit Merkel gab es immer wieder Streit. Vergeblich forderte Renzi mehr Mitsprache für Italien. Nach einer gescheiterten Verfassungsreform trat er im Dezember 2016 zurück. Doch bei der im Herbst oder Frühjahr anstehenden Wahl strebt Renzi erneut nach der Macht.

Junger Hoffnungsträger in Spanien

Und auch in anderen europäischen Ländern macht mittlerweile die „Generation Erasmus“ auf sich aufmerksam. Spanien etwa hat mit Albert Rivera einen jungen Hoffnungsträger. Der Chef der Partei Ciudadanos ist mit 37 Jahren schon einer der populärsten Politiker des Landes. Er hat sich als Kämpfer gegen die Korruption profiliert; seine Partei wird gern als „Podemos der Rechten“ bezeichnet. Doch anders als die linken Podemos-Populisten hat Rivera eine reelle Chance, in Madrid an die Macht zu kommen. Zu seinen Zielen zählt, neben einer Staatsreform nach deutschem Vorbild, auch ein größeres Engagement in Europa.

Für die EU kann sich auch der niederländische Jungstar Jesse Klaver begeistern. Der 31-jährige Grünen-Politiker gilt als Anti-Wilders, also als Gegenspieler des Rechtspopulisten Geert Wilders. Im Gegensatz zu den anderen Shootingstars definiert sich Klaver klar links. „Wir haben die einmalige Chance, dass eine linke Partei die Wahlen gewinnen kann“, rief er seinen Anhängern vor der Parlamentswahl im März zu. Für einen Sieg reichte es zwar nicht. Doch seine Partei GroenLinks erreichte mit 9,1 Prozent der Stimmen und 14 Sitzen das bislang beste Ergebnis.

Der Linken ist auch der belgische Politiker Paul Magnette zuzuordnen. Er ist mit 45 Jahren zwar nicht mehr so jung wie Macron & Co., hat sich aber dennoch als „junger Wilder“ profiliert, als er im Herbst 2016 tagelang das Ceta-Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada blockierte. Bei den Sozialisten in Belgien gilt der Präsident der französischsprachigen Region Wallonie seitdem als Mann mit Zukunft.

Europa hat seinen Kredit bei den Bürgern verspielt

Womöglich jedoch tut man dieser Generation keinen Gefallen, wenn man sie überhöht, und mit Sicherheit ist auch der Vergleich von Kurz mit Metternich viel zu hoch gegriffen. Aber einen historischen Punkt trifft er trotzdem. Denn wie seinerzeit nach den Napoleonischen Kriegen beim Wiener Kongress steht Europa, steht die Europäische Union vor der Aufgabe, sich neu zu sortieren. Unter dem Druck der Migration ist der Kontinent in mindestens drei Teile zerfallen: in Deutschland, das alle Flüchtlinge willkommen hieß; in die Staaten, die das zwar missbilligten, aber duldeten; und in solche wie Ungarn, Tschechien und Polen, die offen dagegen rebellierten. Genauso hat die Eurokrise Europa in Nord und Süd gespalten, mit großen wirtschaftlichen Problemen vor allem in Italien, Spanien oder Portugal. Zudem hat die Eurozone in Griechenland eine finanzpolitische Dauerbaustelle geschaffen. So hat Europa bei seinen Bürgern in den vergangenen Jahren viel Kredit verspielt, und es wächst die Gefahr, dass weitere Länder dem britischen Beispiel folgen und aus dem Bündnis austreten.

Eine Neuordnung der Europäischen Union und der Eurozone scheint deshalb unausweichlich. Auf einer Linie liegen Kurz und Macron europapolitisch bislang allerdings nicht. Der Franzose will mehr Europa, der Österreicher weniger. Macron möchte einen neuen Euro-Finanzminister einsetzen, Kurz will die EU-Kommission verkleinern, ja sogar „halbieren“. Einig sind sich beide jedoch darin, dass der Status quo keine Option ist. Das „deutsche Europa“, das Kanzlerin Angela Merkel seit der Eurokrise fest im Griff hat, wollen sie schnell und radikal umbauen. Von einer „Neugründung“ spricht Macron, eine Reform „von A wie Außengrenzenschutz bis Z wie Zollunion“ fordert Kurz.

Klar ist: Der Veränderungsdruck ist groß. Klar ist auch: Es gibt zwischen Österreich und Frankreich, Italien, Spanien oder den Niederlanden eine europapolitische Schnittmenge, mit der sich Deutschland herausfordern ließe. So spricht sich Macron für eine „souveräne“ EU aus, die ihre Bürger „schützt und verteidigt“. Das kommt Kurz entgegen. Er plädiert dafür, dass die EU ihre Flüchtlingspolitik nicht in andere Länder wie die Türkei oder Libyen auslagert, sondern den Grenzschutz selbst in die Hand nimmt. Die von Österreich forcierte und von Kurz organisierte Schließung der Balkanroute soll dabei erst der Anfang sein.

Mehr Verantwortung für Deutschland

Vor allem Deutschland steht also unter Druck, und für die Bundeskanzlerin ist die neue europäische Machtkonstellation zugleich kompliziert. Angela Merkel muss auf Kurz, Macron und die anderen aufstrebenden Politiker dieser Generation zugehen, will sie verhindern, dass Deutschland in Europa an Einfluss verliert. Zudem sieht Merkel im Vergleich zu den jungen Wilden ziemlich alt aus, zaudernd und bieder. Ihre Politik des Durchwurstelns scheint an ein Ende zu stoßen. Gleichzeitig jedoch wird die Bundeskanzlerin nach dem Brexit und nach der Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten in vielen Teilen der Welt als neue „Anführerin der westlichen Wertegemeinschaft“ gefeiert. Diese Zuschreibung mag ihr zwar nicht behagen, weil Pathos ohnehin noch nie ihr Ding war. Aber klar ist auch, dass auf der Bundesrepublik jetzt noch mehr Verantwortung lastet.

Die Erwartungen der anderen Europäer an die Bundesrepublik sind hoch, auch die deutschen Wähler haben nach den weltpolitischen Verwerfungen der vergangenen Monate wieder ihr Herz für Europa entdeckt. Auf den Straßen demonstrieren vor allem junge Menschen für Europa, der Pulse of Europe hat sich zu einer beachtlichen politischen Bewegung entwickelt. Unter den Deutschen ist die Zustimmung zur EU so hoch wie seit Beginn der Eurokrise nicht mehr. Gäbe es in Deutschland nach dem Vorbild Großbritanniens eine Volksabstimmung über einen EU-Austritt, würden nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov 63 Prozent der Deutschen mit Nein votieren und nur 21 Prozent mit Ja. Vor allem der Brexit hat für einen Stimmungsumschwung zugunsten Europas gesorgt.

Merkel und die Union werden im jetzt beginnenden Bundestagswahlkampf also kaum umhinkommen, ihren Fahrplan für die Zukunft des europäischen Einigungsprojekts vorzulegen. Aber wie könnte der aussehen? Bislang ist die Kanzlerin vage geblieben. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“, so hat es die Kanzlerin Ende Mai im bayerischen Trudering formuliert, „die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei.“ Daraus spricht allerdings noch kein Plan, sondern erst einmal eine Feststellung. Die Bierzeltrede der Kanzlerin machte weltweit Schlagzeilen und demonstrierte zugleich, wie sehr sich Merkel auch habituell von der neuen jungen Politikergeneration in Europa unterscheidet. Nur ein paar Tage nach der Bundeskanzlerin nutzte Emmanuel Macron die Gelegenheit, um sich nach Donald Trumps Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens mit einer geschliffenen Rede in perfektem Englisch direkt an das amerikanische Volk zu wenden. Auch solch ein Auftritt setzt Maßstäbe, die Merkels Stil und ihre Unfähigkeit als Politikerklärerin bloßstellen.

In Zukunft emanzipierter

Aber wie könnte ein von der neuen Politikergeneration modernisiertes Europa aussehen? Es wäre wohl schlanker, aber auch souveräner. Es würde respektloser mit Ländern wie der Türkei, Russland und den USA umgehen, gleichzeitig aber die EU-Staaten – vor allem die kleineren – besser achten und einbinden. Dass Deutschland allein entscheidet, wer belohnt und wer bestraft wird, wollen die jungen Wilden nicht hinnehmen.

Und schon jetzt zeigen ihre Ideen und Forderungen Wirkung. So hat die EU den Schutz der Außengrenzen spürbar forciert. Dies kommt auch den Osteuropäern entgegen, die solch einen Schritt bereits seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 fordern. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik weht ein neuer Wind. Die EU kümmert sich mehr denn je um den Krisenbogen zwischen Nordafrika, dem Nahen Osten und der Ukraine. Zuletzt hat die EU-Kommission sogar eine neuartige Verteidigungsunion vorgeschlagen – mit einem eigenen, milliardenschweren Rüstungsfonds.

Wenn man die Vorschläge zu Ende denkt, könnte sich die EU so Schritt für Schritt von den USA emanzipieren. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini denkt bereits über „autonome“ Verteidigungskapazitäten nach. Auch in der Wirtschaftspolitik löst sich Europa langsam aus dem Windschatten der USA und ihres protektionistischen Präsidenten.

Nationalstaat Europa

Von einer Vision der Vereinigten Staaten von Europa, der manche Europaparlamentarier anhängen und die vor allem die Gründerväter der EU umtrieb, halten sowohl Macron als auch Kurz wenig. Denn damit lassen sich keine Wahlen gewinnen; dafür sind die nationalistischen und populistischen Parteien immer noch viel zu stark. Die neue Generation zeichnet es ja gerade aus, dass sie die EU-Gegner mit einem „Populismus der Mitte“ besiegen will. Der Nationalstaat spielt dabei weiter eine zentrale Rolle; er ist sogar wichtiger geworden.

Allerdings – und das ist neu – denken Macron, Kurz & Co. die EU zugleich selbst wie einen klassischen Nationalstaat. Für sie zählt nicht mehr nur die eigene Nation, Europa betrachten sie genauso als ihre Heimat. Daraus ziehen die Jungstars ihre proeuropäische Energie. Die EU ist ihr gemeinsames Haus, es soll vor allem jene Schutzfunktionen übernehmen, die die einzelnen Staaten allein nicht mehr wahrnehmen können. Das klingt nach einem gleichermaßen faszinierenden wie schwierigen Projekt.

Die EU profitiert zwar von dieser frischen Energie, die die neuen Politiker versprühen. Gleichzeitig ist sie damit hoffnungslos überfordert. Denn Brüssel verfügt weder über die finanziellen noch über die administrativen und operativen Ressourcen, um derlei neue Aufgaben zu bewältigen. Der Generation Kurz und Macron fehlen die Mittel, um die EU nach ihren Wünschen zu formen. Früher oder später werden sie deshalb beim größten EU-Land anklopfen. Nur wenn Deutschland bereit ist, mitzuziehen und der EU die nötigen Mittel zu bewilligen, können die Erneuerungspläne wahr werden. Nach der Bundestagswahl wird man sehen, ob Berlin dazu bereit ist.

Der heikle Punkt sind die Finanzen

Besonders weit reichen die Pläne für die Eurozone. Während sich Kurz hier noch bedeckt hält, plant Macron eine kleine Revolution: Er will die Währungsunion mit einem eigenen Finanzminister, einem eigenen Budget und einem eigenen Parlament massiv aufwerten und gegen konjunkturelle Schocks absichern. Außerdem verlangt der junge französische Staatschef von Deutschland, dass es seinen chronischen Außenhandelsüberschuss abbaut. Macron spricht sich zudem für einen Buy European Act aus: EU-Aufträge sollen nur noch diejenigen EU-Unternehmen bekommen, die mindestens zur Hälfte in Europa produzieren. In Berlin und auch in Brüssel stoßen solche Ideen auf wenig Gegenliebe. Sie klingen zu sehr nach Protektionismus.

Der wirklich heikle Punkt bei einer Neuordnung Europas betrifft, wie sollte es anders sein, die Finanzen. Eurobonds, also die wechselseitige Haftung für Staatsschulden, werden mit Berlin zwar auch künftig nicht möglich sein – das ist schon beinahe eine deutsche Staatsdoktrin. Aber unterhalb dieser Schwelle ist vieles denkbar. Nicht einmal der von Emmanuel Macron vorgeschlagene Gemeinschaftshaushalt für die Eurozone löst die in Berlin üblichen Abwehrreflexe aus. Aus dem Kanzleramt ist folgende Lesart zu hören: Wenn es Macron gelingt, Frankreich durch Reformen auf Augenhöhe mit Deutschland zu bringen, wäre in der deutschen Öffentlichkeit auch eine Bereitschaft zur Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit bei den Finanzen denkbar. Hauptsache, der Bundestagswahlkampf wird nicht durch das Reizwort Eurobonds kontaminiert.

So entpuppt sich der Durchmarsch der jungen und als unverbraucht geltenden Politiker wie Sebastian Kurz oder Emmanuel Macron für die Bundeskanzlerin letztendlich als Problem und als Chance zugleich. Die Chance: Merkel ist seit zwölf Jahren im Amt. Sie genießt im Ausland hohen Respekt und verfügt über die größte Regierungserfahrung innerhalb der europäischen Staatschefs. Den jungen Hoffnungsträgern an der Spitze ihrer jeweiligen Regierungen könnte es helfen, sich mit der deutschen Kanzlerin zu vertragen und von ihren Beziehungen in der ganzen Welt zu profitieren. Das Problem: Merkel ist seit zwölf Jahren im Amt. Sämtliche Krankheiten, die Europa jetzt plagen, sind auch unter ihrer Mitwirkung entstanden. Da könnte schon der Eindruck entstehen, dass der derzeitige Aktionismus der Bundeskanzlerin vor allem Ausdruck ihrer früheren Versäumnisse ist: Angela Merkel, die Europäerin von gestern. Echte Fortschritte gäbe es dieser Lesart zufolge nur ohne sie.

Merkel muss sich bewegen

Aber Merkel ist nun mal da. Denn nicht die europäischen Partner wählen die Bundeskanzlerin, sondern die Deutschen. Und daraus ergibt sich für Merkel eine zusätzliche Herausforderung. Die Bundesbürger werden sie im September aller Voraussicht nach im Amt bestätigen, ihr eine vierte Amtszeit gewähren. Doch in der zweiten und dritten Reihe hinter ihr scharren etliche jüngere CDU-Politiker vernehmlich mit den Hufen, allen voran der Bundestagsabgeordnete Jens Spahn. Zwar herrscht in der Union eine Geschlossenheit wie seit Jahren nicht mehr, aber diese ist allein dem bevorstehenden Bundestagswahlkampf geschuldet. Nach der Wahl am 24. September werden Spahn und seine Gefolgsleute keine Ruhe mehr geben: Islamgesetz, Einwanderungsgesetz, eine Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit bei der EU sowie eine effizientere Kompetenzverteilung zwischen den einzelnen Staaten und den europäischen Institutionen, so lauten ihre Forderungen. Nicht nur in Europa, auch in den eigenen Reihen steht Merkel also unter gewaltigem Druck. Sie weiß, dass sie sich bewegen muss.

Und sie bewegt sich. Beim Antrittsbesuch von Emmanuel Macron in Berlin zeigte sich die Bundeskanzlerin im Mai bereits ziemlich aufgeschlossen für die Ideen ihres neuen Partners. Wenn es nötig sein sollte, könne man sogar über Änderungen am EU-Vertrag reden, so Merkel. So zeigt sich, welch enorme Wirkung derzeit vor allem der liberale Franzose, der seine beiden Wahlen bereits gewonnen hat, auf die Europapolitik hat. Bisher galten Vertragsänderungen in Deutschland und in Frankreich als tabu. Zu schmerzhaft war die Erinnerung an das Non der Franzosen zum EU-Verfassungsvertrag – und an die jahrelange Hängepartie, die sich anschloss. Nun scheint plötzlich wieder alles möglich. Allerdings wird Merkel für mögliche Kompromisse einen hohen Preis fordern. Sie möchte Bundesbankchef Jens Weidmann zum nächsten Präsidenten der Europäischen Zentralbank befördern und denkt auch darüber nach, den Umbau der Eurozone für ihre Zwecke zu nutzen.

Keine Denkverbote mehr

So könnten Hilfen aus dem geplanten Eurobudget an strikte Reformauflagen gebunden werden. Denkbar ist auch, den Eurorettungsfonds ESM zu einem Europäischen Währungsfonds auszubauen und ihm die Kontrolle der nationalen Budgets zu übertragen. Damit würde auch Frankreich zur Haushaltsdisziplin gezwungen. Unter Macrons Amtsvorgänger Hollande hatten diese und ähnliche Pläne keine Chance. Doch mit dem neuen Staatschef gibt es keine Denkverbote mehr. Macron weiß, dass sein Erfolg auch von Deutschland abhängig ist. Und Merkel weiß, dass sie dem Franzosen Macron zum Erfolg verhelfen muss. Und sie weiß auch, dass sie den ehrgeizigen Österreicher Sebastian Kurz europäisch einbinden muss, sollte er die Parlamentswahlen in Österreich, wie erwartet, gewinnen.

Wenn der junge Liberale aus Paris scheitert, steht in fünf Jahren Marine Le Pen wieder vor der Tür. Dann könnte die französische Nationalistenführerin die nächste Präsidentschaftswahl gewinnen – und die EU samt dem Euro begraben. Wenn Sebastian Kurz in Österreich scheitert, könnte die FPÖ den nächsten Bundeskanzler stellen. Es ist ja nicht so, dass die Rechtspopulisten und Europagegner über Nacht verschwunden wären. In den Niederlanden, in Frankreich und Österreich fallen sie in der Wählergunst zwar zurück, auch der Zulauf zur AfD scheint in Deutschland vorerst gestoppt. Aber die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie schnell sich die Menschen gegen Europa mobilisieren lassen. Es ist auch diese Sorge, die Kurz, Macron und den anderen jungen Wilden so viel Mut und Kraft gibt. Und es ist diese Sorge, die sie einen neuen politischen Ton anschlagen lässt.

Beim Europa-Forum auf Stift Göttweig über den Weinbergen der Wachau wird ganz anders über Europa geredet als in Deutschland. Sie habe als Innenministerin in der akuten Phase der Migrationskrise erlebt, „dass wir die eigenen Regularien nicht eingehalten haben“, sagt Johanna Mikl-Leitner, die hier alle nur „die Hanni“ nennen. Aus Handlungsunfähigkeit sei Vertrauensverlust entstanden. Nach ihrer Rede stößt Sebastian Kurz in dasselbe Horn wie die Hanni: „Wenn Dublin einfach ausgehebelt wird ohne einen einzigen Beschluss, dann dürfen wir das nicht achselzuckend akzeptieren“, beschwört Österreichs politischer Wunderknabe die Einhaltung von Recht und Verträgen. „Es liegt jetzt an uns, dieses Europa zu gestalten.“ Das klingt nicht nur wie ein guter Vorsatz. Das ist eine Kampfansage an die deutsche Kanzlerin, ihren Brüsseler Statthalter Jean-Claude Juncker und an die gesamte Generation Status quo. 

Die Juliausgabe des Cicero erhalten Sie unserem Online-Shop.














 

Anzeige