Emmanuel Macron - „ Herz wie ein Algorithmus “

Am kommenden Sonntag findet in Frankreich die erste Runde der Präsidentschaftswahlen statt. Die schwierige Weltlage dürfte Emmanuel Macron zu einer zweiten Amtszeit als Präsident Frankreichs verhelfen – obwohl viele seiner Landsleute ihn regelrecht hassen.

Emmanuel Macron ist sich angesichts der unsicheren Weltlage des Sieges bei den anstehenden Wahlen gewiss / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

So erreichen Sie Stefan Brändle:

Anzeige

Frankreichs Wähler sind gern undankbar – vor allem ihren amtierenden Präsidenten gegenüber. Nicolas Sarkozy wählten sie im Jahr 2012 ab, François Hollande durfte 2017 gar nicht erst zur Wiederwahl antreten. Mit Genuss und System schicken sie den Amtierenden in die Wüste, um dafür auf strahlende Newcomer zu setzen, die dem tiefen Wunsch nach einem „homme de providence“, einem Mann der Vorsehung, entsprechen. Deshalb wurde Emmanuel Macron vor fünf Jahren gewählt. Zumal er jung und unverbraucht war, ohne Altpartei, dafür mit der Gunst des Neuen.

Es klingt paradox, doch fünf Jahre später hat Macron die Sterne wieder auf seiner Seite – diesmal, weil er mittlerweile selbst ein Amtierender ist, das heißt ein Politprofi. Von den Gelbwesten bis zur Pandemie, von Mali bis zur Ukraine – überall herrschen Krisen, Konflikte und Kriege. Die Franzosen sind in Angst und Sorge, und nun wollen sie keine frischen Kräfte mehr, keine Experimente, sondern Staatenlenker mit Amtserfahrung. Einen wie Macron eben.

Emmanuel im Glück?

Wie schon 2017 verwandeln sich die düsteren Umstände in seinen persönlichen Vorteil. Seine schärfsten Widersacher Éric Zemmour und Marine Le Pen haben sich als Putin-­Fans selber disqualifiziert. Ohne dass der Präsident den kleinen Finger gerührt hätte, führt er die Umfragen mit doppeltem Vorsprung auf seine nächsten Verfolger an. Alles läuft für ihn.

Aber aufgepasst. Die Medaille des agilen Superpräsidenten und europäischen Strahlemanns hat auch ihre Kehrseite. Sie äußert sich im Titel eines Buches, das in Paris derzeit Furore macht, und der spricht für sich selbst: „Macron, warum so viel Hass?“ Die beiden erfahrenen Kommentatoren Nicolas Domenach und Maurice Szafran erzählen darin die Geschichte eines Präsidenten, der bei seinen Abstechern unters Volk von diesem mit Eiern beworfen und mit Ohrfeigen empfangen wird, begleitet vom Ruf „démission!“, manchmal auch „dégage!“, zu Deutsch: Hau ab!

Gewiss, die präsidiale Funktion und Aura schützen den Staatschef – wenn seine Leibwächter die Zaungäste nicht näher als auf Armeslänge heranlassen. Ersatzweise beschimpfen rabiate Impfgegner und Gelbwesten die Abgeordneten der Macron-Partei La République en marche. „Tötet ihn!“, riefen sie dem Parlamentarier (und Macronisten) Romain Grau zu, weil sie es Macron nicht direkt zurufen konnten. Eine Vertreterin der linkspopulistischen „Unbeugsamen“, Raquel Garrido, twitterte mit Blick auf den letzten, 1793 in der Revolution guillotinierten Bourbonenkönig: „Ludwig XVI. wurde enthauptet. Macron, wir können noch mal.“

Präsident der Eliten

Macron ist für Garrido der „Président des riches“, der Präsident der Reichen. Er beging aus Sicht der Linken die Ursünde, Kapitalgewinne von der Vermögenssteuer auszunehmen, um die Investitionen in die Wirtschaft anzukurbeln. Das war ökonomisch sinnvoll, aber unverzeihlich für einen früheren „Rothschild-Banker“, als den ihn seine Gegner gerne betiteln. Ein bretonischer Ex-Bürgermeister erzählte, wie ihn ein Bürger gefragt habe, ob Macron Jude sei. Er habe verneint. Da habe der Bürger gefragt: „Auch nicht ein bisschen?“

Die Politologin Chloé Morin meint, Macron verkörpere „das Bild des Erfolgs“. Und das ist in Frankreich nicht positiv gemeint. „Die Franzosen stellen fest, dass sie zum Monatsende kein Geld mehr haben, während Macron die Pariser Eliten protegiert“, stellt Morin fest. Einem Arbeitssuchenden bedeutete der Präsident, man müsse „nur über die Straße gehen“, um einen Job zu finden. Ein andermal sinnierte er: Im Bahnhof begegne man Leuten, die es zu etwas gebracht hätten, und anderen, „die nichts sind“.

Niemals zu früh freuen

Was in Frankreich wenig thematisiert wird, aber sicherlich eine wichtige Rolle spielt, ist das Alter des Präsidenten. Nicht nur sein biologisches (44 Jahre), sondern auch ein mentales Alter. Der Psychoanalytiker Gérard Miller schätzt es kühn auf 17 Jahre. Da sei kein Landesvater wie Charles de Gaulle oder Jacques Chirac am Werk, sondern ein unreifer Jugendlicher im Élysée. Einer, der sich selber als „Jupiter“ auf dem politischen Olymp inszeniere und den Armen mit Arroganz begegne.

Als kühl denkender Mensch – ein sozialistischer Ex-Minister bescheinigt ihm ein „Herz wie ein Algorithmus“ – weiß Macron, welche Gefühle er auslöst. Er bemüht sich denn auch um ein schlichteres, bürgernahes Auftreten. Selbst wenn ihm das zeitweise gelingt, kann er nie ganz den Eindruck verwischen, dass er schauspielert. Seine Siegesgewissheit hingegen ist echt. Und das ist vielleicht Macrons größte Gefahr. Denn wenn die Franzosen etwas noch weniger ausstehen können als ihren jungen Präsidenten, dann ist es das Gefühl, sie hätten nichts zu sagen zu einer Wahl, die bereits gelaufen sei.

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

Sie sind Cicero-Plus Leser? Jetzt Ausgabe portofrei kaufen

Sie sind Gast? Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige