Coronakrise und Sicherheit - „China dürfte am Ende zu den Krisengewinnern gehören“

Der Bundeswehroffizier und Militärhistoriker Matthias Rogg spricht im Interview über die Frage, ob wir uns wegen Corona im Kriegszustand befinden – und darüber, was es bedeutet, wenn Nato-Länder wie Italien von China oder Russland Schutzmasken geschenkt bekommen.

Die Bundeswehr leistet in Coronazeiten viel / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Oberst i.G. Prof. Dr. Matthias Rogg, Jahrgang 1963, ist Berufssoldat und Historiker sowie Co-Vorstand des 2018 gegründeten „German Institute for Defence and Strategic Studies“ (GIDS), dem in Hamburg ansässigen ersten Think Tank der Bundeswehr.

Herr Rogg, Sie selbst waren mit Corona infiziert. Hat das Ihre Sicht auf die aktuelle Krise verändert?
Ja, weil man selber die Verletzlichkeit am eigenen Leib spürt und weil man auch mal Zeit hat, um über Dinge nachzudenken, über die man sonst vielleicht nicht nachdenkt: die eigene Verletzlichkeit, die Verletzlichkeit unserer Strukturen. Und dass wir alle, da nehme ich mich nicht aus, die umfassenden  Folgen einer globalen Pandemie unterschätzt haben.

Im Zusammenhang mit der Pandemie wird ja mitunter von Krieg gesprochen. Sogar der französische Präsident hat das getan. Als Offizier der Bundeswehr sehen Sie das wahrscheinlich ein bisschen anders.
Ja, ich verstehe die Kriegsmetapher, aber ich billige sie nicht. Ich verstehe sie, denn wenn man sich die Opferzahlen anschaut, wenn man sich die Verletzlichkeit anschaut, die die Menschen gerade spüren und die Hilflosigkeit, in der sie sich befinden, dann kommt man automatisch zu Kriegsanalogien. Aber als Militärhistoriker und Gewaltforscher sage ich: Krieg ist nochmal etwas ganz, ganz anderes, und deshalb sollte man vorsichtig sein. Ich glaube, wer die Kriegsmetapher nutzt, weiß nicht, was Krieg in der Geschichte und auch in der Gegenwart bedeutet und sorgt so für eine unnötige, noch weitere Verunsicherung. Die Lage ist ernst genug, und wir brauchen solche verschärfenden Metaphern nicht.

Die drohende Gefahr einer Pandemie war ja bekannt, nicht zuletzt im Weißbuch der Bundeswehr von 2016 wird auf entsprechende Risiken hingewiesen. Ebenso in der Unterrichtung durch die Bundesregierung aus dem Jahr 2012. Und noch im vergangenen Jahr kam der Global Health Security Index zu dem Ergebnis, dass eigentlich keine Nation auf eine Pandemie angemessen vorbereitet sei. Warum hat trotzdem niemand die Alarmglocken wahrgenommen oder wahrnehmen wollen?
Weil die grundlegende Bedrohung durch eine Pandemie zwar bekannt war, es aber allen auch bewusst war, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das jetzt kurzfristig eintritt, eben doch gering ist. Gerade in der Unterrichtung der Bundesregierung, also der Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz von 2012, steht ja auch drin, dass es eine Wahrscheinlichkeit von einmal in 100 Jahren ist.

So wenig ist das gar nicht.
Stimmt, das ist ein Prozent. Und eines darf man auch nicht vergessen: Die letzte große Pandemie hatten wir vor 100 Jahren mit der Spanischen Grippe. Das ist eine bittere Ironie der Weltgeschichte. Man muss aber auch folgendes sehen: Politik muss viele Handlungsfelder abdecken, und wir haben ja weiß Gott im Augenblick viele Herausforderungen, die uns nach Corona auch wieder beschäftigen werden. Beispielsweise die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels, das Bröckeln von Gewissheiten. Oder denken Sie nur an die Unsicherheiten in unseren Bündnissen, denken Sie an die Herausforderungen in Europa und vieles andere mehr. Und vor diesem Hintergrund kann man auch verstehen, dass Politik bei so vielen Herausforderungen immer wieder auch gezwungen ist, auf Sicht zu fahren.

Trotzdem stellen wir fest, dass in Deutschland sogar simple Gesichtsmasken Mangelware geworden sind. Was lehrt uns das für die Zukunft?
Für die Zukunft lehrt es uns, dass wir viel stärker auf strategische Reserven setzen müssen. Das betrifft die Bevorratung und auch Verteilung von strategisch wichtigem medizinischen Material wie Schutzausrüstung oder Medikamenten. Das zeigt uns des Weiteren, wie abhängig wir von Lieferketten sind – und das müssen wir überprüfen. Und es zeigt uns schließlich auch, dass die Bundeswehr viel kleiner ist als noch vor 30 Jahren, dass wir keine Zivildienstleistenden mehr haben. Da müssen wir uns überlegen, ob wir künftig nicht besser Vorsorge betreiben sollten. Es wäre interessant mal auszurechnen, ob die Kosten für Präventionen am Ende nicht geringer wären als die Kosten für Intervention.

„Haben ist besser als brauchen“, hat der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels dazu gesagt.
Und zwar völlig zu Recht.

Matthias Rogg / dpa

Ausgerechnet strategische Gegner wie Russland und China haben Nato-Ländern wie Italien in der Coronakrise materielle Hilfe geleistet. Wie bewerten Sie als Offizier solche Aktionen? Ist das nicht demütigend?
Ja, und das zeigt einmal mehr, dass wir noch viel mehr Solidarität in den Bündnissen üben müssen. Das zeigt auch, wie verzweifelt die Situation in Italien und in Spanien ist. Und es unterstreicht, dass wir strategische Vorsorge betreiben müssen, um uns nicht wieder in solch eine brenzlige Situation zu bringen. Denn mit Russland und China, die sofort Hilfe angeboten haben, haben wir es ja de facto mit Systemkonkurrenten zu tun.

China trägt zweifellos ein hohes Maß an Mitverantwortung für diese Pandemie. Halten Sie es für möglich, dass sich China die Schwäche vieler Staaten in der Coronakrise strategisch zunutze macht?
Davon gehe ich aus. Das betrifft den wirtschaftlichen Aufbau von Staaten, zum Beispiel im Nahen Osten oder auch in Afrika, die noch nicht sichtbar von der Epidemie betroffen sind, aber mit Sicherheit direkt oder indirekt von Corona schwer getroffen werden dürften.

Welche Länder sind das?
Wenn wir uns überlegen, dass wir einer Weltwirtschaftsrezession nicht mehr ausweichen können, dann heißt das, dass Staaten, die ohnehin schon wirtschaftlich und sozial labil sind, ganz besonders betroffen sind.

Sie meinen Länder wie Jemen?
Ganz genau. Ich denke aber auch an fragile Staatlichkeit in Afrika. An Staaten, die eh schon unter Korruption, unter schlechter Verwaltung und vor allem auch unter wirtschaftlicher Schwäche leiden. Was ist mit Staaten, die unglaublich abhängig sind vom Tourismus – zum Beispiel Ägypten?

Wie könnte sich China das konkret zu Nutze machen?
Zum Beispiel durch finanzielle aber auch durch materielle Hilfe. Und dann würde China sein Konzept des wirtschaftlichen Ausbaus – Stichwort Neue Seidenstraße – noch weiter fortsetzen. Was wir zudem nicht vergessen dürfen: Wir wissen ja nicht, wie die USA aus dieser Krise wirtschaftlich hervorgehen werden. Das heißt, im Wettlauf der Weltwirtschaftsmächte ist davon auszugehen, dass China durch die Weltwirtschaftskrise die Nase vorn hat und am Ende zu den Krisengewinnern gehört.

Hat die Krise für Deutschland und für die Nato auch sicherheitspolitische Implikationen?
Wir hatten ja eine große Übung in diesem Jahr geplant, „Defender Europe 2020“. Dieses Großmanöver ist wegen der Coronakrise abgesagt worden. Es sollte ja ein ganz deutliches Signal der Solidarität innerhalb des Bündnisses sein und auch ein Zeichen gegenüber Russland, dass wir als Nato, aber auch als EU-Staaten eng zusammen stehen. Daran sehen wir schon mal, dass die Krise ganz klare Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik hat.

Wie geht es jetzt weiter?
Ich eine große Chance, wenn Deutschland in der zweiten Jahreshälfte die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Da wird man viel von uns verlangen und erwarten, und ich denke, da ergibt sich auch ein neuer außen- und auch sicherheitspolitischer Spielraum. Wir haben ja gerade in der jüngsten Vergangenheit gesehen, dass wir uns nicht mehr so wie früher auf die USA allein verlassen können. Wir werden deshalb noch mehr unsere Kraftanstrengungen bündeln müssen, damit die europäischen Staaten gemeinsam, solidarisch und stark auftreten. Wir müssen alles versuchen, um die Krise positiv zu wenden!

Welchen Beitrag leistet die Bundeswehr in der aktuellen Krise?
Die Bundeswehr leistet viel. Wir haben 15.000 Soldatinnen und Soldaten unter dem Kommando der Streitkräftebasis in „Corona-Bereitschaft“, und viele sind schon eingesetzt. Wir sehen, wie groß die Bereitschaft unserer Reservistinnen und Reservisten ist – gerade im Sanitätsdienst, der jetzt besonders gebraucht wird. Wir sind im Rahmen der subsidiären Hilfeleistung in der  Katastrophenhilfe eingesetzt und wir können auf Ersuchen der Länder von der Logistik bis hin zur Verkehrsregelung und zum Objektschutz Hilfe gewähren. Wir unterstützen beim Aufbau von Behelfskrankenhäusern, zum Beispiel in Hannover. Wir haben unsere Bundeswehrkrankenhäuser praktisch wie eine strategische Reserve in einer erhöhten Bereitschaft und behandeln dort, zum Teil intensivmedizinisch, Patienten aus Italien und aus Frankreich.  Nicht zuletzt gibt es eine vielfältige materielle Unterstützung durch das Bundesamt für Beschaffungswesen. Das alles ist auch für die Bundeswehr eine große Kraftanstrengung.

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