Großbritannien und die EU im Streit um Impfstoff AstraZeneca - Impfen und Schimpfen

Zwischen den Briten und der EU sorgt der Streit um den Impfstoff Astra-Zeneca weiterhin für Spannungen. Als ehemaliges EU-Mitglied geht Großbritannien seinen eigenen Weg und muss sogar mit einem Exportstopp von Covid-Impfstoffen aus der EU rechnen.

Boris Johnsons Impfstrategie ging bisher auf. Doch der aktuelle Impfstoffkonflikt belastet die Beziehung der Briten mit der EU/ dpa
Anzeige

Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

So erreichen Sie Tessa Szyszkowitz:

Anzeige

In Großbritannien werden diese Woche bereits alle 50- bis 55-jährigen zur Impfung gegen das Coronavirus eingeladen. Dank der erfolgreichen britischen Impfkampagne und des strikten Lockdowns sind die Neuinfektionen drastisch gesunken und liegen bei etwas über 5.000 pro Tag. In den Krankenhäusern sterben täglich immer noch über hundert Menschen – im Vergleich zu 1.600 pro Tag Anfang Januar ist die Opferzahl aber sehr gesunken. Insgesamt sind im Vereinigten Königreich bereits 25 Millionen Menschen gegen Covid-19 geimpft worden. 

Mangel an Vertrauen

Dennoch herrscht auch im Vereinigten Königreich großer Unmut über das Management der Coronapandemie. Am Mittwoch wurde bekannt, dass es auch hier bei der Auslieferung der bestellten Impfstoffe zu Engpässen kommen wird. Der 42-jährige Gesundheitsminister Matt Hancock gestand bei einem Briefing vor der Presse ein, dass er „sehr gerne mit dem Impfstoff von Astra-Zeneca geimpft werden will, aber niemanden etwas wegnehmen möchte“. Er wird bis in den Mai hinein warten müssen. Denn ab dem 29. März sollen für vier Wochen keine Erstimpfungen in England mehr vorgenommen werden. 

Sein deutscher Amtskollege Jens Spahn hat ein noch größeres Problem. In Deutschland gibt es zwar den Impfstoff von Astra-Zeneca im Kühlschrank, nur durfte er diese Woche nicht verimpft werden. Siebzehn von 27 EU-Staaten setzten die Impfung mit dem britisch-schwedischen Impfstoff teilweise oder ganz aus wegen Bedenken, dass er zu Blutgerinnseln führe. Der Astra-Zeneca-Impfstoff wird zwar demnächst wieder verwendet werden – die WHO und auch die europäische Arzneimittelbehörde EMA haben ihre Empfehlung bereits erneuert. Doch der Schaden ist da. Ein Mangel an Vertrauen ist bei Impfkampagnen langfristig verheerend. 

Verschwörungsanhänger und rechtsextreme Aktivisten

In Großbritannien gibt es auch Impfskeptiker, aber generell wird die Impfung mit dem britischen Produkt, das in Zusammenarbeit mit der Universität Oxford hergestellt wird, von den meisten begrüßt. „Ich würde allen raten, den Astra-Zeneca-Impfstoff zu nehmen. Ich habe ihn bekommen und bin sehr froh darüber“, sagt die 60-jährige Autorin Catherine Mayer. 

In ihrem jüngsten Buch „Good Grief“ schreibt sie über den Tod ihres Mannes Andy Gill, dem Gitarristen der britischen Band „Gang of 4“. Er war von einer Tournee nach China im November 2019 erkrankt zurückgekehrt und ist im Februar 2020 an den Folgen einer Lungenentzündung verstorben – Meyer nimmt an, dass er Covid-19 hatte, was im Krankenhaus damals noch nicht festgestellt worden war. „Dass sich in Europa die Impfskepsis so ausgebreitet hat, ist sehr bedauerlich“, sagt Meyer. „Bei manchen ist es Vorsicht, und das ist sehr verständlich. Verschwörungsanhänger und rechtsextreme Aktivisten aber haben das Thema für sich genutzt. Und die sozialen Medien haben es verstärkt.“

Vorteil oder Nachteil? 

Da die Coronapandemie weltweit grassiert, drängen sich die Vergleiche im Management zwischen den Staaten auf. Die Spannungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Großbritannien, ohnehin schon vom Brexit belastet, werden durch den Impfstoffkonflikt noch zusätzlich verstärkt. 

Ist der Erfolg der britischen Impfkampagne ein Beweis dafür, dass der Brexit für Britannien eine gute Idee war? Jeremy Farrar, Direktor des einflussreichen britischen Wellcome-Trust – einer Stiftung, die Wissenschaft zur Verbesserung der globalen Gesundheit fördert –  legt Wert darauf zu sagen, wie wichtig globale Zusammenarbeit und Solidarität in Pandemie-Zeiten sind: „EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat hier eine besonders gute Rolle gespielt. Sie brachte gleich zu Beginn alle Beteiligten zu einer „Coronavirus Global Response“- Konferenz zusammen.“ 

Was nun? 

Das war im Mai 2020. Inzwischen ist Großbritannien als ehemaliges EU-Mitglied seinen eigenen Weg gegangen und hat darauf verzichtet, gemeinsam mit der EU für alle Mitglieder Impfstoffe zu bestellen. Die EU-Kommissionspräsidentin droht nun mit Exportstopp von Covid-Impfstoffen, die in der EU produziert werden: „Es sind alle Optionen am Tisch. Ich muss sicherstellen, dass alle EU-Bürger geimpft werden“, sagte Ursula Von der Leyen am Mittwoch in Brüssel. „Wir werden überlegen, ob wir Exporte zu vakzinproduzierenden Ländern von ihrer Offenheit uns gegenüber abhängig machen.“

Boris Johnsons Regierung ist generell eher zurückhaltend, wenn sie auf Impfnationalismus angesprochen wird. Denn die britische Regierung hat nicht nur früh bestellt, sie hat auch vertraglich mit Astra-Zeneca festgeschrieben, dass erst die Versorgung der eigenen Bevölkerung aus den britischen Herstellungsorten sichergestellt wird, bevor der Impfstoff an andere exportiert wird. 

Michael Gove, führender Minister in Boris Johnsons Regierung und einer der überzeugtesten Brexit-Befürworter seit langen Jahren, hält sich eher bedeckt, als er von Cicero bei einer Veranstaltung des Thinktanks „Policy Exchange“ auf das heikle Thema angesprochen wird: „Wir haben schon viel darüber diskutiert, dass wir Briten uns als Mitglied der EU bei der Bestellung von Covid-Impfstoff für einen anderen Weg eingesetzt hätten. Wir sind nun aber nicht mehr Mitglied der EU.“ 

Eingeständnis von Fehlern 

Als EU-Mitglied hätten die Briten wohl darauf bestanden, die Bestellung des Impfstoffes national zu organisieren und nur die Zuteilung von Impfstoff gemeinsam zu organisieren. „Ein großes Kreuzfahrtschiff ist sicher schwerer zu steuern und dazu zu bringen, den Kurs zu verändern“, sagt Gove. „Nationalstaaten können manchmal schneller reagieren.“

Generell aber komme es jetzt zu Lieferschwierigkeiten überall, in Britannien wie in der EU, sagt Wellcome-Trust-Direktor Farrar: „Es ist erstaunlich, wie schnell die Covid-Impfstoffe entwickelt worden sind. Doch Britannien wie die EU-Staaten haben sich generell viel zu wenig auf die Bekämpfung von Pandemien vorbereitet.“ 

Gegenseitige Anschuldigungen bringen nichts

Deshalb sei in Großbritannien die Todesrate mit 125.000 Opfern bisher so besonders hoch. Daraus könnten alle lernen statt sich gegenseitig zu beschuldigen. „Der Brexit ist eine Tragödie, und sein Schatten hängt weiterhin über uns, kein Zweifel“, sagt Farrar. Er sieht die „persönlichen Spannungen im politischen Diskurs“. Dabei müssten sich doch alle über eines im Klaren sein: „Wir können der Pandemie nur entkommen, wenn wir weltweit zusammenarbeiten.“

Anzeige