Corona in Südafrika - Das südafrikanische Impfdesaster

Obwohl Südafrika von vielen als „Hochrisikoland“ eingestuft wird, sinken die Infektionszahlen fast täglich, und das öffentliche Leben wird wieder hochgefahren. Dennoch verzeichnet das Land während der bisherigen Pandemie viele Tote. Und bis heute ist auch nur ein geringer Teil der Bevölkerung geimpft.

Südafrika liegt bei den Impfungen gegenüber anderen afrikanischen Ländern weit zurück / dpa
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Wolfgang Drechsler berichtet seit 1990 als Korrespondent aus Südafrika. Er hat den Übergang des Landes von der Apartheid zur Demokratie begleitet. Er schreibt u.a. für das Handelsblatt und Finanz und Wirtschaft (Zürich). 

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Die Bilanz der Regierung nach mehr als einem Jahr der Pandemie ist verheerend. Zu wenig Impfstoff und keine Perspektive, dass Deutschland irgendwann wieder aus dem Tiefschlaf erwacht. Täuscht der Eindruck, oder klappt das Krisenmanagement überall anders auf der Welt besser? Diese Frage haben wir unseren Korrespondenten gestellt. In einer Serie werden sie aus dem Alltag in ihrer Wahlheimat berichten.

Als sich das Coronavirus im Dezember wegen einer speziellen Mutation plötzlich rasend schnell in Südafrika verbreitete, waren sich viele Experten schnell einig: Am Kap der guten Hoffnung würde der Corona-Erreger nun womöglich verheerende Folgen haben und am Ende womöglich sogar die Aids-Katastrophe 20 Jahre zuvor in den Schatten stellen. Die Folge: Fast umgehend untersagten eine Reihe westlicher Regierungen alle Flugreisen aus Südafrika in ihr Staatsgebiet und erklärten das Land am Kap zu einem „Hochrisikogebiet“. Selbst in den düstersten Tagen der Apartheid war Südafrika nie so isoliert vom Rest der Welt wie in jenen Wochen.  

Die Realität ist eine andere

Ein Vierteljahr später ist die Realität eine andere. Während Deutschland grade in seinen härtesten Lockdown seit Beginn der Corona-Pandemie vor 14 Monaten geht, nimmt das Leben am Kap der guten Hoffnung wieder seinen (fast) normalen Lauf. Seit dem Abflauen der zweiten Welle Ende Januar sind die zeitweise geschlossenen Strände, Parks und Schwimmbäder entlang der Garden Route und der Urlaubsregion um Kapstadt wieder überall offen. Auch Restaurants dürfen nun bis 22 Uhr servieren – draussen wie drinnen. Und auch die von einem Verkaufsverbot für Alkohol hart gebeutelten Weingüter empfangen wieder ganz normal ihre Gäste.

Mitte Februar geschah sogar etwas, mit dem selbst die grössten Optimisten kaum gerechnet hatten. Die noch vier Wochen zuvor  am Rande ihrer Kapazität angelangte private Mediclic im Kapstädter Stadtteil Gardens meldete auf einem großen Transparent am Krankenhauseingang: „Zero Covid Patients today“ –  „Heute keine Covid-Patienten“. Kein Wunder: Seit Monaten rutschen die Infektionszahlen am Kap auf immer neue Tiefststände.

Seit fast drei Monaten werden am Kap im Schnitt nur noch wenig mehr als 1.000 Neuinfektionen am Tag gezählt. Im Vergleich dazu zählte  Deutschland zuletzt rund 20.000. Doch das Stigma des „Hochrisikolandes“ hat Südafrika zum Unglauben von Touristen wie Geschäftsreisenden gleichermaßen dennoch behalten. Rückkehrer vom Kap unterliegen in Deutschland strengen Einreisebeschränkungen, die dem Tourismus am Kap seit Monaten schwer zusetzen. Denn wer möchte schon nach einem Urlaub oder einer Geschäftsreise an den Südzipfel Afrikas nach der Rückkehr noch zwei weitere Wochen  in Quarantäne gehen? Immer lauter werden deshalb die Rufe nach einer umgehenden und weitreichenden Lockerung der harten Restriktionen.

Unzuverlässige Studien

Offiziell sind in Südafrika seit Beginn der Pandemie rund 54.000 Menschen an Corona gestorben. Allerdings liegen die Zahlen vermutlich höher als zunächst geglaubt – denn auch in Südafrika dürfte, wie überall auf dem Kontinent, das Ausmaß der Pandemie stark unterschätzt worden sein: Wegen einer noch nicht endgültig geklärten Übersterblichkeit von fast 130.000 Menschen zwischen Mai 2020 und Februar 2021 könnte die Zahl der am Kap an Covid-19 Verstorbenen deutlich höher liegen.

In anderen Ländern Afrikas, wo die Statistiken noch sehr viel unzuverlässiger als im einzigen Industrieland des Kontinents sind, dürften die Zahlen ebenfalls viel höher als offiziell gemeldet liegen: So deutet eine Studie unter 10.000 Nigerianern in der Wirtschaftsmetropole Lagos zu Covid-19-Antikörpern  darauf hin, dass allein hier rund 4 Millionen der hier ansässigen 16 Millionen Menschen das Virus bereits hatten – mehr als bislang für den ganzen Kontinent gemeldet wurden!  

Kaum Bemühungen um Impfstoff

Ob damit womöglich überall in Afrika eine höhere Herdenimmunität verbunden ist und deshalb eine dritte Welle ausbleibt oder allenfalls in abgeschwächter Form kommt, lässt sich aber schon deshalb nicht verlässlich vorhersagen, weil Südafrika sich zunächst kaum um den Ankauf von Impfstoff bemüht hatte – und dieser erst zu Beginn des kalten Südwinters (Juni bis August) an allen Ecken und Enden fehlt.

Anfänglich hatte der regiereden ANC sogar nur eine lose Vereinbarung mit der sogenannten „Covax-Initiative“ der WHO getroffen, die Impfstoff für die ärmeren Länder beschafft, zu denen Südafrika aber eigentlich nicht zählt. Die dabei dem Land zugeteilte Menge hätte nach Angaben von Experten aber auch allenfalls für 10 Prozent der Bevölkerung gereicht. Viele Beobachter werfen der Regierung deshalb vor, beim Impfstoffeinkauf völlig versagt zu haben. Erst als der öffentliche Druck im Januar eskalierte, kam der regierende Afrikanische Nationskongress um Staatschef Cyril Ramaphosa in die Gänge.

Aus Fehlern lernen

Als Folge der vielen Versäumnisse hinkt das Land nun sogar hinter vielen afrikanischen Ländern beim Impfen her. Nur etwa 300.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens sind bisher geimpft worden –  knapp 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung von 60 Millionen. Ursprünglich wollte die Regierung bis Ende dieses Jahres eigentlich 40 Millionen Menschen geimpft haben, also praktisch die gesamte impfbereite Bevölkerung. Ein illusionäres Vorhaben, dass beim gegenwärtigen Tempo über 15 Jahre dauern würde. Dabei verfügt Südafrika schon wegen seines dynamischen Privatsektors eigentlich über eine mehr als adäquate medizinische Infrastruktur.  

Für den von Corona besonders hart gebeutelten Tourismus hätte eine dritte Welle schlimme Folgen. So ist die bereits zuvor extrem hohe Arbeitslosigkeit am Kap inzwischen auf über 40 Prozent gestiegen. Zwei von drei Jugendlichen unter 24 haben keinen Job. Immerhin scheint Staatschef Ramaphosa nach dem Kopieren des westlichen Vorgehens in der ersten Pandemiephase nun die Sinnlosigkeit eines harten Lockdowns in einem Dritte Welt-Umfeld mit seinen vielen Tagelöhnern erkannt zu haben. Und dürfte alles daran setzen, neue harte Auflagen und ein erneutes Abwürgen der Wirtschaft wie im vergangenen Jahr unter allen Umständen zu vermeiden. 

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