Corona international, Teil 2 - Großbritannien: Keine neuen Maßnahmen geplant

Deutschland plant für den Herbst wieder umfassende Corona-Maßnahmen und erweist sich damit pandemiepolitisch als internationaler Geisterfahrer. Cicero hat sich im Rest der Welt umgesehen und zeigt in einer kleinen Serie, wie andere Länder inzwischen mit Covid-19 umgehen. Die britische Regierung setzt zwar nach wie vor auf Impfungen, plant aber keine neue Maskenpflicht. Und die Bürger sorgen sich mehr um steigende Lebenshaltungskosten als um Corona.

Britische Restaurants wie dieses in London, sind in ihrer Existenz bedroht - nicht wegen Covid, sondern wegen der Inflation / dpa
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Mitte Juli hatte das „Office for National Statistics“ eine Schreckenszahl zu vermelden: Über 200.000 Briten sind seit Beginn der Pandemie im März 2020 bereits an Covid gestorben. Die Webseite „Our World in Data“, die von der Johns-Hopkins-Universität in den Vereinigten Staaten betrieben wird, vermeldet zwar, dass das Vereinigte Königreich Mitte August noch knapp unter 200.000 Opfern von Covid liegt. Jedenfalls aber liegt Britannien, wenn es um Covidtote geht, über Deutschland. In der letzten Juliwoche sollen in Großbritannien 921 Menschen an dem Virus gestorben sein.  

Gluthitze statt hitzige Coviddebatte 

Dennoch spielt Covid derzeit im politischen Diskurs in Großbritannien überhaupt keine Rolle. Die Schlagzeilen bestimmt in diesem Sommerloch nicht mehr die Pandemie, sondern die Gluthitze, die über die britische Insel hereingebrochen ist. Am Wochenende kletterten die Temperaturen in London noch einmal auf 36 Grad, wo man sonst um diese Zeit des Jahres schon die Sandalen ein und die Regenschirme auspackt. In weiten Teilen des Vereinigten Königreich wurde eine Dürre ausgerufen – ihre hübschen Vorgärten dürfen die Engländer jetzt nicht mehr mit dem Schlauch gießen.  

Covid spielt aber auch aus einem anderen Grund keine Rolle im öffentlichen Diskurs: Der Anfang Juli zurückgetretene Premierminister Boris Johnson amtiert zwar noch, urlaubt aber derzeit mit seiner Familie in Griechenland. Der Unterschied zu seinen Arbeitstagen aber ist ohnehin gering. Johnson trifft keine weitreichenden politischen Entschlüsse mehr.  

Pandemie landet bei Johnsons Nachfolgerin  

Wie es mit der Pandemiebekämpfung weitergeht, wird sein Nachfolger beschließen, der am 5. September gekürt werden soll. Es sieht sehr danach aus, dass es eine Nachfolgerin wird. Wenn Boris Johnson am 6. September den Regierungssitz verlässt, zieht nach dem Willen der Parteimitglieder, die derzeit ihre Stimmzettel ausfüllen, mit großer Wahrscheinlichkeit Liz Truss ein. Die bisherige Außenministerin ist wegen ihrer harten Positionen ein Liebling der unter Boris Johnson sehr weit nach rechts gerutschten  Parteibasis.  

Was sie über die Covid-Pandemie denkt, geht aus gemeinsamen Auftritten mit dem Herausforderer und früheren Schatzkanzler Rishi Sunak nicht hervor. Die beiden streiten bei den sogenannten „hustings“, den gemeinsamen Auftritten vor der Parteibasis in diesem August, um die Stimmen der konservativen Parteimitglieder – und denen geht es vornehmlich um ein Programm, wie die Explosion der Lebenshaltungskosten in den Griff zu bekommen ist. Liz Truss will die Steuern senken, um die Wirtschaft anzukurbeln.  

Was bei den Parteimitgliedern ganz besonders schlecht ankommen würde: neue Corona-Regeln. Auch wenn Wissenschaftler warnen, dass man nicht weiß, ob es im Herbst neue Covid-Varianten geben wird und ob die bisherigen Impfstoffe gegen diese noch wirken werden – die bisherige und nächste britische Regierung plant keine Wiedereinführung der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln oder andere Vorsichtsmaßnahmen.  

Untersuchungsausschuss in Vorbereitung 

Die britische Regierung war von Anfang an nicht gerade die schnellste, wenn es darum ging, die Gefahr der Pandemie richtig einzuschätzen. „Viele Tode hätten Anfang 2020 verhindert werden können, wenn die Regierung schneller reagiert hätte und nicht so viele infizierte Patienten zurück in Seniorenheime geschickt worden wären“, sagt Professor Paul Hunter von der Universität East Anglia in einem Interview. 

Boris Johnson ging noch im März händeschüttelnd auf Spitalbesuch, und seine Schwester Rachel Johnson erzählte damals Cicero, wie sie mit ihrem Bruder, dessen damals hochschwangerer Partnerin Carrie und Vater Stanley am 7. März zu einem Rugby-Match mit 80.000 Zuschauern in Twickenham gegangen war: „Uns war die Ansteckungsgefahr nicht bewusst.“ 

 

Teil 1 der Serie „Corona international“:

 

Die Versäumnisse in der ersten Phase der Covid-Pandemie werden ein wichtiger Punkt in der Untersuchung werden, die im Sommer 2023 startet. Es wird wohl eine der breitesten gesetzlichen Ermittlungen in der Geschichte Britanniens werden. Unter dem Vorsitz der unabhängigen Richterin Baroness Heather Hallett soll die Regierungspolitik zu Covid analysiert werden: Warum starben so viele Menschen am Beginn der Pandemie? Waren die Lockdowns gerechtfertigt? Wurde dem wissenschaftlichen Rat gefolgt? 

Impfkampagne ist Trumpf 

Viel Lob wird Boris Johnson vermutlich nicht für die erste Phase der Covid-Pandemie erhalten. Nach seiner eigenen Covid-Erkrankung im April 2020 aber traf der Regierungschef dann eine Entscheidung: Er setzte auf die Entwicklung eines Covid-Impfstoffes und bestellte diesen von Astra-Zeneca und der Universität Oxford gemeinsam entwickelten und hergestellten Impfstoff in großen Mengen für das gesamte Vereinigte Königreich.  

Auch in Zukunft setzt die britische Regierung bei der Pandemiebekämpfung vor allem auf die Impfkampagne. Sollten die Covidzahlen im Herbst hochschnellen, wird auch der Aufruf zum vierten Stich intensiviert. Alle Briten ab 50 und alle vulnerablen Jüngeren werden im Herbst vom nationalen Gesundheitsdienst sowieso zur Spritze gerufen. In der entsprechenden Mitteilung der Regierung hieß es bereits Mitte Juli: „Der Herbst-Booster sollte folgenden Gruppen gegeben werden: Patienten und Personal in Pflegeheimen; Krankenpflegern und Sozialarbeitern; allen über 50; klinischen Risikogruppen und ihren Angehörigen.“ 

Soziale Proteste befürchtet – wegen hoher Stromrechnungen

Laut Regierungsstatistik haben die Briten auf die Impfkampagne bisher gut reagiert. 93 Prozent nahmen den ersten Stich, 88 Prozent die zweite Impfung und 70 Prozent den Booster. Zwar gibt es auch in Großbritannien Impfskeptiker, doch bisher gab es außer Demonstrationen unter Polizeischutz keinen großen Widerstand gegen die Covid-Impfung.  

Für den Herbst wird von vielen Beobachtern angenommen, dass es zu sozialen Protesten kommen könnte. Ziviler Ungehorsam aber wird nicht deshalb befürchtet, weil die Briten eine weitere Covid-Impfung ablehnen könnten. Sondern deshalb, weil sie bei den explodierenden Lebenshaltungskosten nicht mehr mitkommen. Niemand kann bisher sagen, was passiert, wenn Millionen Abnehmer einfach ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen.  

Aus all diesen Gründen steht Covid in diesem britischen Sommer  nicht auf der Tagesordnung. Die designierte Nachfolgerin Liz Truss hatte außerdem schon im Winter klargestellt, was sie von Vorsichtsmaßnahmen hält: Im Januar 2022 setzte sie sich ohne Maske zu ihren Ministerkollegen auf die Regierungsbank im Unterhaus – und erkrankte prompt an Covid.   

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