Cicero-Serie: Das Weltklima - Großbritannien: Sorgen um die Volkswirtschaft

In der Bundesrepublik steht Klimapolitik ganz oben auf der Agenda. Aber wie sieht es eigentlich in anderen Ländern aus? In einer neunteiligen Serie blicken wir jeden Tag über den deutschen Tellerrand hinaus. Heute geht es weiter mit Großbritannien. Weder Regierung noch Opposition verfolgen eine radikale Klimapolitik.

Großbritannien hat die größten Offshore-Windparks der Welt / dpa
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Autoreninfo

Christian Schnee studierte Geschichte, Politik und Public Relations in England und Schottland. Bis 2019 war er zunächst Senior Lecturer an der Universität von Worcester und übernahm später die Leitung des MA-Studiengangs in Public Relations an der Business School der Universität Greenwich. Seit 2015 ist er britischer Staatsbürger und arbeitet als Dozent für Politik in London.

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Seit Alok Sharma im November 2021 für Großbritannien die Verhandlungen bei der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow geleitet hat, gilt er als Kämpfer gegen den Klimawandel und als grünes Gewissen der konservativen Regierungspartei. Er fordert, zur Verwirklichung der Energiewende müsse man „die Bazooka rausholen“. 

Wirtschafts- und Handelsministerin Kemi Badenoch sieht das jedoch anders. Für sie kommt radikale Klimapolitik „unilateraler volkswirtschaftlicher Entwaffnung“ gleich. Die ehemalige Regierungschefin Liz Truss kam der Stimmung an der Parteibasis mit ihrer Forderung nahe, finanzielle Hilfen für Solarfarmen zu reduzieren und das Frackingverbot zu überdenken. Laut Meinungsforschern von Yougov halten nur 4 Prozent der konservativen Parteimitglieder den Klimawandel für ein vorrangiges politisches Thema. Premierminister Rishi Sunak rüttelt zwar nicht an der britischen Selbstverpflichtung, das Land bis 2050 klimaneutral zu machen, will den Bürgern aber Zumutungen ersparen. Schließlich war laut Umfragen beim letzten Urnengang 2019 für nur 11 Prozent der Befragten der Kampf gegen die Klimaerwärmung ein wichtiges Anliegen.

Druck geht von den Gerichten aus

Mehr Druck geht von den Gerichten aus, die jüngst die Regierung aufgefordert haben, ihre Pläne zu präzisieren und zu erklären, wie sie Klimaneutralität erreichen will. Dafür lud das im Februar eingerichtete Ministerium für Energiesicherheit und Klimaneutralität die Presse Ende März zu einem „Green Day“ ein. Als der Tag kurzfristig in „Energiesicherheitstag“ umfirmiert wurde, kritisierten Umweltschützer, Regierungsstrategen sei der erste Teil im Namen des Ministeriums wichtiger als der zweite.

 

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Die Zahlen scheinen den Verdacht zu bestätigen: Nach einer im Auftrag der Liberaldemokraten vom Parlament veröffentlichten Studie sanken im Jahr 2022 die Ausgaben der Regierung für die Energiewende um 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Die Regierung will auf fossile Energie nicht verzichten

Kritikern begegnet ein Regierungssprecher mit dem Verweis darauf, dass vor der britischen Küste die drei größten Offshore-Windparks der Welt in Betrieb seien. Gleichzeitig konnten die Emissionen aus der Förderung von Öl und Gas in der Nordsee nach Angaben der Aufsichtsagentur zwischen 2018 und 2021 um ein Fünftel reduziert werden. Weil aber auch in diesem Jahr 115 Anträge für neue Bohrungen gestellt wurden und die Regierung auf fossile Energie nicht verzichten will, werden 20 Milliarden Pfund investiert zur Entwicklung eines Verfahrens, mit dem Kohlendioxid in Spalten unter der Nordsee gespeichert und so die Atmosphäre entlastet werden soll.

Als Reaktion auf radikale Protestaktionen gegen die lustlose Klimapolitik der Regierung hat das Innenministerium Verhaftungen durch die Polizei erleichtert. Auch von der Opposition können demonstrierende Klimaschützer keine Unterstützung erwarten: Labour-Chef Keir Starmer will es sich mit konservativen Wechselwählern nicht verscherzen, und die Grünen kommen bei Wahlen zum Unterhaus ohnehin nie auf mehr als eine Abgeordnete. Übrigens wurde Alok Sharma, das ökologische Gewissen der Tories, von Rishi Sunak nicht mehr ins Kabinett berufen. 

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