Chinas Immobilienkrise - Das große Pyramidenspiel

Viele Chinesen, die nocht nicht gebaute Wohnungen gekauft haben, wollen die Raten dafür nicht mehr bezahlen. Denn der Bau der Wohnungen verzögert sich immer weiter. Chinas Immobiliensektor droht immer mehr zu einem sozialen Problem zu werden. Sollte es zu einem unkontrollierten Crash kommen, würde das Auswirkungen auf die globale Konjunktur haben.

Der Bau vieler bereits gekaufter Wohnungen stagniert seit langem / dpa
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Autoreninfo

Philipp Mattheis ist Herausgeber von BlingBling, einem wöchentlichen Newsletter über Bitcoin, Geld und Freiheit. Von November 2019 bis März 2021 war er Ostasien-Korrespondent von Stern und Capital in Shanghai.

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Seit Jahrhunderten gibt es in China eine Tradition, wonach derjenige, dem Unrecht widerfahren ist, nach Peking reisen kann, um dort dem Kaiser persönlich sein Anliegen zu schildern. Diese Tradition hat auch die kommunistische Machtergreifung überlebt und sich bis heute gehalten. Aus dem ganzen Land dürfen Menschen ihre Petitionen an höherer Stelle einreichen, und im Extremfall sogar nach Peking reisen.

Genau das wollten lokale Beamte in der Provinz Henan verhindern. Tausende von Menschen kommen dort seit April nicht mehr an ihre Ersparnisse und protestieren dagegen. Die Beamten stellten deswegen die „Health Codes“ der Demonstranten kurzerhand auf Rot. In Chinas Hightech-Hygiene-Diktatur bedeutet dies: infektiös, also Quarantäne-Lager, Beschwerden geht dann nicht mehr. Die Meldung schaffte es in die westliche Presse, obwohl die wenigen verbliebenen Auslandskorrespondenten in China derzeit quasi bewegungsunfähig sind und Peking und Shanghai nicht verlassen.  

In den kommenden Wochen kam etwas mehr ans Licht – einerseits über Chinas rigides Covid-Regime, vor allem aber über Chinas Immobiliensektor und Banken. 1,5 Milliarden US-Dollar – so hoch ist wahrscheinlich der Betrag, den die kleinen Banken in der Provinz Henan haben sollten, aber nicht haben.  

Die Bauern und Selbstständigen, die gerade nicht an ihr Geld kommen, sind derzeit aber nicht die einzigen Chinesen, die wegen Geld stinksauer sind. Derzeit kommt es im gesamten Land zu „Zahlungsboykotts“. Zahlreiche Chinesen, die in den vergangenen Jahren noch nicht gebaute Wohnungen gekauft haben, wollten die Raten dafür nicht mehr bedienen. Der Grund: Der Bau der Wohnungen verzögert sich immer weiter.  

Im gesamten Land kommt es zu „Zahlungsboykotts“

In den sozialen Foren des Landes trendeten am vergangenen Wochenende Aufrufe, die Zahlungen einzustellen. Lange dauerte es nicht, bis die Algorithmen und das Heer von Zensoren das Netz davon wieder sauberschrubbten. Klar aber ist: Chinas Immobiliensektor droht immer mehr zu einem sozialen Problem zu werden.  

Die Branche gilt seit Jahren als überhitzt. Da den Chinesen kaum etwas anderes bleibt, als ihr Vermögen in Wohnungen zu investieren, floss immer mehr Geld in den Sektor. In der Folge stiegen die Preise. Wer zum Beispiel Ende der Neunziger eine Dreizimmerwohnung in Shanghai für einen mittleren fünfstelligen Betrag erwarb, dürfte heute Millionär sein. Durch die hohen Wertsteigerungen floss noch mehr Geld in den Markt. Für die Immobilienentwickler hieß das: immer mehr Wohnungen, immer schneller. So wurde es Usus, Wohnungen zu verkaufen, die noch gar nicht gebaut waren. Bald wurde der Bau von bereits verkauften Wohnungen durch den Verkauf neuer Wohnungen finanziert – Kennzeichen eines Pyramidenspiels.

 

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Das ging gut, so lange sich die Maschinerie immer schneller drehte. Im Sommer vor zwei Jahren aber entschied die Regierung, Luft aus dem überhitzten Sektor zu lassen. „Drei rote Linien“ sollten das schuldenbasierte Wachstum der Immobilienkonzerne bremsen. Die besagten, dass das Verhältnis der Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten unter 70 Prozent liegen muss, der Nettoverschuldungsgrad nicht höher als 100 Prozent sein darf und das Verhältnis von liquiden Mitteln zu kurzfristigen Verbindlichkeiten größer als Faktor eins sein muss.

Seitdem wankt der Sektor – allen voran der zweitgrößte Immobilienkonzern des Landes, Evergrande. Insgesamt dürfte mindestens ein Fünftel aller Unternehmen aus der Branche betroffen sein. Dies wiederum bedeutet, dass Anleihen in Höhe von knapp 90 Milliarden US-Dollar Gefahr laufen, nicht bedient zu werden – so wie zuletzt der Großkonzern Shimao. Dies wiederum hat Auswirkungen auf zahlreiche mittlere und kleinere Banken.

Xi Jinping könnte mit einer aggressiveren Außenpolitik von den Problemen ablenken

Noch ist nicht gesichert, ob die Zahlungsunfähigkeit der Banken in Henan etwas mit den Turbulenzen auf dem Immobiliensektor zu tun haben. Höchstwahrscheinlich aber ist es der Fall. Kleine Banken haben wohl Kundengelder in riskante Anleihen von Immobilienkonzernen gesteckt. Gleichzeitig geben sie einen Vorgeschmack auf das, was passieren könnte, sollte es zu einem unkontrollierten Crash kommen.  

Für die oberste Führung des Landes kommt all dies zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Anfang kommenden Jahres will Präsident Xi Jinping seine dritte Amtszeit bestätigen lassen. Es ist dies ein Bruch in der politischen Geschichte des Landes, da seit Maos Tod die Herrschaft der Präsidenten auf zwei Amtsperioden beschränkt ist. „Eine harte Landung des Sektors zu verhindern, sollte deswegen hohe Priorität haben“, sagte deswegen Zhu Guangyao, ehemaliger stellvertretender Finanzminister des Landes.

Inwieweit all dies Auswirkungen auf die globale Wirtschaft hat, ist unklar. Zunächst einmal ist das chinesische Bankensystem international nicht so sehr verflochten wie das amerikanische. Die Sorge um ein chinesisches „Lehman-Desaster“ geht am Kern vorbei. Allerdings hat sowohl eine sanfte als auch eine harte Landung des Sektors Auswirkungen auf die globale Konjunktur. Die Nachfrage nach Rohstoffen sinkt, wenn der chinesische Immobiliensektor ausfällt. Und schließlich könnten die innenpolitischen Probleme Xi Jinping dazu veranlassen, mit einer aggressiveren Außenpolitik davon abzulenken.   

Die Spannungen um Taiwan nehmen seit Wochen zu. Immer öfter dringen chinesische Kampfjets in den Luftraum von Taiwan ein. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi hat angekündigt, demnächst die Insel besuchen zu wollen. Die Zeitung Global Times, bekannt als Sprachrohr der KP, nannte dies „einen riesigen historischen Fehler“, das Außenministerium sprach von einer „böswilligen Provokation“.

 

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