Brexit - Reisende soll man nicht aufhalten

Theresa May spricht in ihrer Neujahrsansprache von einem „neuen Kapitel“ für Großbritannien, Doch wie soll das aussehen? Die Briten können sich nicht so recht entscheiden, die Unruhe in der EU wächst. Gibt es noch einen Ausweg?

Wie viel britischen Nationalismus verträgt Europa?/ picture alliance
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Frank Elbe war deutscher Botschafter in Polen und Indien sowie Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. Als Rechtsanwalt betreut er heute Mandanten aus allen Teilen der Welt, auch aus Russland.

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Man sollte nicht kleinlich sein: Zu wichtigen Fragen der Nation sollen sich Politiker, Parlamentarier und Journalisten schon einmal ordentlich fetzen dürfen. Wir kennen das aus den hitzigen Debatten über die deutsche Ostpolitik und über die Stationierung von Cruise Missiles und Pershing II in Deutschland. 

Politische Schlammschlacht

Großbritannien diskutiert zur Zeit den Austritt aus der Europäischen Union – eine vergleichbar schwere Entscheidung. Sie beruht auf dem Ergebnis eines Referendums, in dem sich eine knappe Mehrheit für den sogenannten Brexit entschieden hat. Inzwischen wächst aber die Unruhe, welche Folgen der Brexit für die Nation und für einzelnen jeden Bürger haben könnte. In einer solchen Situation darf man eine besonnene Diskussion erwarten. 

Wir sind hingegen Zeugen einer politischen Schlammschlacht  – im Fall der Konservativen sogar einer grotesken Selbstzerfleischung – , bei der die parteipolitische Nabelschau weder Rücksicht auf die Sorgen der britischen Wirtschaft und Gesellschaft nimmt, noch die Interessen und Empfindsamkeit der europäischen Nachbarn in Rechnung stellt. 

Rettung einer traumatisierten Nation?

Großbritannien feiert eine nationalistische Orgie. Es ist kaum noch wiederzuerkennen. Den schrillen, nationalistischen Ton im Unterhaus gibt ein aus dem Requisitenboden von Covent Garden entsprungener Tory, Jacob Rees Mogg, vor, der unbeirrt einen „harten Brexit“ fordert. Ein bezeichnendes I-Tüpfelchen setzte bei dem diesjährigen Konzert der „Last night of the PROMS“ der Dirigent, der das Publikum gleich drei Mal aufforderte, das vor nationaler Überheblichkeit strotzende Lied „Britannia Rule The Waves“ zu singen. 

Kaum jemand kümmert sich darum, die Folgen eines möglichen Brexits zu erklären. Nach dem überstandenen Misstrauensvotum beeilte sich Theresa May, der Nation eine bessere Zukunft zuzusichern – ein Versprechen, das die Konservativen kaum einlösen können. Sie würde die nationale Souveränität zurückbringen und Kontrolle über das eigene Geld, die nationalen Grenzen und das britische Recht wiederherstellen, sagte die Premierministerin. Gerade so, als gelte es, nach Jahrzehnten einer erfolgreichen Mitgliedschaft in der EU eine traumatisierte Nation aus einer Geisterbahn zu retten.

Alleingang mit Folgen

Jede der in Frage stehenden Möglichkeiten – ob ein harter oder weicher Brexit oder der bisher nicht vorstellbare Verbleib in der EU – wird den Interessen Europas und Deutschlands erheblichen wirtschaftlichen, politischen und emotionalen Schaden zufügen. Nichts wird mehr so sein wie es einmal war. Die Vorstellungen reichen nicht aus, sich die Folgen des Risses auszumalen, den die nationalistische Verirrungen der Briten herbeiführen werden.

Politische Vernunft gebietet, nach einem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU das freundschaftliche Verhältnis zu den Briten aufrechterhalten. Wenn die ersten nachteiligen Wirkungen eines Brexits auf der Insel und auf dem Kontinent spürbar werden, werden diese Absichten jedoch wie eine Seifenblase zerplatzen. Jeder wird dem anderen die Schuld zuweisen. In einer derart vergifteten Atmosphäre bleibt wenig Raum für ein freundschaftliches Verhältnis.

Exit vom Brexit?

Der Verbleib Großbritanniens in der EU wird gegenwärtig nicht angestrebt. Er ist aber auch nicht auszuschließen. Diese Möglichkeit wird durchaus diskutiert – ob mit oder ohne neues Referendum. Der Europäische Gerichtshof hält eine einseitige Rücknahme der Brexit-Erklärung für möglich und zieht dabei kaum Grenzen. 

Ein Rücktritt vom Brexit würde kaum an die Verhältnisse anknüpfen können, wie sie vor dem britischen Referendum über den Brexit bestanden haben. Die Härte der innenpolitischen Auseinandersetzung würde einen veränderten Partner in die Reihen der Europäer zurückkehren lassen, der kaum noch europafähig wäre.

Euroskepsis mit Tradition

Wie viel britischen Nationalismus verträgt Europa? Die Briten haben traditionell ein skeptisches Verhältnis zu Europa. Zwar hat Winston Churchill 1946 in seiner Rede in Zürich zur Bildung der Vereinigten Staaten von Europa aufgerufen, aber gleichzeitig klargestellt, dass eine Beteiligung Großbritanniens nicht in Frage komme. Die europäische Idee erzeugte unter Briten niemals Herzblut. Es blieb eine Angelegenheit wirtschaftlichen und politischen Kalküls. Sie schwankten zwischen halbherzigem Mitmachen, Bewahrung einer Sonderrolle und traditioneller Verbundenheit mit den USA. 

Das führte schon in der Vergangenheit zu erheblichen Misstönen. Wenn die EU über notwendige Reformen diskutieren wollte, war auf die Briten wenig Verlass. Heute ist der Bedarf an Reformen unverhältnismäßig höher. Beladen mit der Hypothek einer europafeindlichen Brexit-Diskussion würde sich im Fall eines Verbleibs in der EU jede britische Regierung hüten, allfällige Veränderungen in der EU mitzutragen. Auch in dieser Situation hilft es, Trost in der Weisheit zu finden, Reisende nicht aufhalten zu wollen.

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