Brexit Plan B - Brexitannia nimmt Kurs auf Eisberg

Theresa May hat ihren Plan B für den Brexit vorgelegt. Er klingt wie ihr Plan A. Die britische Premierministerin hofft auf Hilfe aus Brüssel und Berlin. Derweil steuert die Brexitannia immer schneller auf den Eisberg zu – auf einen Austritt am 29. März. Ohne Abkommen

Gute Nachrichten hatte Theresa May nur für EU-Bürger / picture alliance
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Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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Gute Nachrichten gab es am Montag nur für EU-Bürger in Großbritannien. Unter dem zustimmenden Gemurmel der Parlamentarier im Unterhaus verkündete die britische Regierungschefin Theresa May, dass die bisher geplante Gebühr von 65 Pfund Sterling (74 Euro und 50 Cent) doch nicht fällig wird, wenn sich EU-Bürger im Vereinigten Königreich um den sogenannten „Settled Status“ bewerben, um auch nach dem Brexit die gleichen Rechte wie bisher zu genießen. Zustimmung im House of Commons? Das ist Theresa May schon lange nicht mehr passiert

Damit war es mit ermutigenden Vorschlägen zur derzeit verfahrenen Brexit-Lage aber auch schon wieder vorbei. Theresa May präsentierte einen Plan B zu den Brexitverhandlungen, der wie Plan A klang. Sie will weiter in Brüssel über Zugeständnisse zu dem mit Brüssel im Dezember ausgehandelten Austrittsvertrag verhandeln. Plan A aber ist bereits am 15. Januar mit Bomben und Granaten und einem Überhang von 230 Stimmen im Parlament durchgefallen. Den Brexit-Befürwortern ist die enge Anbindung an die EU durch eine Zollunion zu nahe an der EU, den Brexit-Gegnern geht das Scheidungsabkommen grundsätzlich zu weit. Viele fordern inzwischen eine zweite Volksabstimmung zur Causa Nummer Eins.

Uneinigkeit im Unterhaus

Theresa May aber scheint die Signale nicht hören zu wollen. Sie lehnt ein zweites Referendum genauso ab wie sie das No-Deal-Szenario nicht vom Tisch nehmen möchte. Sie will den Austritt aus der EU ohne Abkommen – der nach Meinung der Bank of England die britische Wirtschaft bis zu acht Prozent schrumpfen könnte – als Druckmittel für Verhandlungen erhalten. Die Regierungschefin stemmt sich auch gegen eine dritte Option: den Artikel 50 auszusetzen. Dabei handelt es sich um die Klausel für den Austritt aus dem EU-Vertrag, den sie vor zwei Jahren selbst eingefädelt hat. Deshalb wird Großbritannien am 29. März 2019 aus der Europäischen Union kippen – egal, ob es bis dahin einen Deal gibt oder nicht. 

Es sind gerade noch acht Wochen Zeit, um eine Lösung für das Brexitchaos zu finden. Das Unterhaus brummte auf beiden Seiten vor Frustration über Plan B. Labour-Chef Jeremy Corbyn rief: „Diese Regierung ist ein totales Durcheinander!“ Die proeuropäische Tory-Abgeordnete Anna Soubry meinte: „Wir machen uns einfach lächerlich!“ Ihren parteiinternen Gegenspieler Boris Johnson sah man auf seiner Sitzbank auf den hintersten Bänken des Unterhauses herzhaft gähnen, bevor er das Wort ergriff: „Bekommen Sie denn jetzt in Brüssel eine rechtlich bindende Änderung des Backstops?“ 

Dieser Backstop – die Rückfallposition im Scheidungsvertrag, sollte es nicht zeitgerecht zu einem neuen Freihandelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU kommen – ist und bleibt des Pudels Kern. Wie bei Goethes Faust hat sich der Backstop in den Teufel schlechthin verwandelt. Im Scheidungsabkommen steht, dass das Vereinigte Königreich so lange in der Zollunion bleibt, bis die Verhandlungen über die Zukunft der Beziehungen abgeschlossen sind. Die harten Brexitiere lehnen das ab. 

Deutscher Appell an die Briten

Die EU hat allerdings klargestellt, dass über den Backstop nicht mehr verhandelt wird: „Der Austrittsvertrag ist fertig, da ist nichts zu machen“, meinte EU-Brexit-Verhandler Michel Barnier am Montag noch einmal. Für die EU bleibt es zentral, die vom Karfreitagsabkommen 1998 garantierte grüne Grenze zwischen Nordirland und Republik nicht aufs Spiel zu setzen. Das Bombenattentat der „Neuen IRA“ in Londonderry am Wochenende hat deutlich gemacht, wie fragil der Friede in Nordirland ist.

Im britischen Parlament zeigen die moderaten Abgeordneten jetzt ihre Muskeln. Sie wollen nächste Woche mit Änderungsantragen zu Mays Plan B die Regierung von ihrem harten Kurs abbringen. Dies könnte dazu führen, dass Großbritannien zustimmt, in der EU-Zollunion zu bleiben, was den Backstop obsolet machen könnte. Über eine dahingehende Änderung der – rechtlich nicht bindenden – politischen Erklärung über die zukünftigen Beziehungen, die neben dem Austrittsvertrag zwischen Vereinigtem Königreich und der EU ausgehandelt worden ist, lässt Brüssel mit sich reden. Für die britischen EU-Skeptiker riecht diese Option allerdings nach einer Falle – solange Großbritannien in der Zollunion bleibt, kann das Land keine Freihandelsabkommen mit Drittstaaten abschließen. 

May hofft in dieser verfahrenen Lage auf positive Signale aus Berlin. Annegret Kramp-Karrenbauers Appell an die Briten in der konservativen Tageszeitung The Times, in dem sie die Briten noch einmal zum Bleiben aufforderte, hatte am Wochenende noch gute Stimmung verbreitet. Auch wenn die Briten austreten, heißt es im Brief, „werden wir immer Freunde bleiben“. Wenige machen sich allerdings Illusionen darüber, dass die pragmatischen Deutschen aus Sympathie zu den Briten die EU-Regeln aufweichen werden. „Sympathie, Geduld und der Wille, darauf zu warten, dass die britische Position sich klärt, sollten nicht für Parteipolitik missbraucht werden“, warnt der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf Twitter. 

Mays größte Befürchtung

Theresa Mays Versuch, die „Brextremisten“ zur Vernunft zu bringen, ist eine fromme Hoffnung. Die Polarisierung im Brexitchaos hat dazu führt, dass manche sich wieder im zweiten Weltkrieg wähnen. Die Tory-Abgeordnete Anna Soubry, die dafür kämpft, dass ihr Land in der EU bleibt, wurde vor dem Parlament bereits von Hooligans als „Nazi“ beschimpft. 

Der Rückfall in längst überwunden geglaubte Schemata hat tiefe historische Gründe: „Die Briten sind immer noch vom Zweiten Weltkrieg besessen. Auch deshalb, weil sie nach ihrem Sieg nicht bekamen, was sie sich versprochen haben. Deutschland wurde besiegt. Doch in kurzer Zeit wurde das vernichtend geschlagene Land wieder aufgebaut, hatte eine boomende Wirtschaft und wurde die treibende Kraft in der EU. Die Briten dagegen? Nicht so glanzvoll“, erklärt der irische Autor Fintan O’Toole im Interview mit Cicero

In seinem soeben erschienenen Buch „Heroic Failure. Britain and Brexit“ analysiert O’Toole das Verhältnis der Briten zu Deutschland: „Deshalb glauben die EU-Feinde, dass Deutschland doch heimlich den Krieg gewonnen hat und dass die EU in Wahrheit das Trojanische Pferd der Deutschen ist.“

Für die nächste Runde im Brexit-Gerangel hat Theresa May ein bedenkliches Signal gesetzt. Statt sich ernsthaft auf Gespräche mit der moderaten Mehrheit des Parlaments über einen Verbleib in der EU-Zollunion einzulassen, bemüht sich Theresa May weiter um die EU-Feinde in der eigenen Partei. Denn nichts fürchtet die konservative Parteichefin mehr als eine Spaltung der ehrwürdigen Tories. Nicht einmal die Aussicht, dass am 29. März ein Austritt aus der EU ohne Abkommen droht. 

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