Bodycams bei US-Polizisten - Unter Verschluss

Bei US-Polizisten sind Körperkameras seit knapp einem Jahrzehnt gang und gäbe. In der Theorie sollte die Technologie exzessiver Gewalt seitens der Beamten vorbeugen, doch in der Praxis sieht es anders aus. Die Öffentlichkeit bekommt kaum Aufzeichnungen zu Gesicht.

Aufnahme einer Bodycam eines US-Polizisten / dpa
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Autoreninfo

Lisa Davidson ist Journalistin, freie Autorin und Podcast-Host. Sie lebt in Virginia, USA. 

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Seit der Präsidentschaft von Barack Obama statten Polizeidienststellen ihre Beamten mit Körperkameras aus. Für Obama war die Einführung der Technologie das Kernstück seiner Antwort auf die exzessive Polizeigewalt gegen vor allem schwarze Amerikaner. Die Maßnahmen sollten eine gezielte Reaktion auf die öffentliche Empörung über Polizistenmorde darstellen, insbesondere nach dem Tod von Michael Brown im Jahr 2014. Der 18-jährige Schüler wurde damals während einer Auseinandersetzung mit einem Polizisten in Missouri erschossen. Der Fall sorgte für reichlich Aufsehen. 

Obamas Idee war so simpel wie plausibel: Die Kameras (Bodycams) sollten dabei helfen, Polizeibeamte, die Gewalt über das zulässige Maß hinaus anwenden, zur Verantwortung zu ziehen. Negative Konsequenzen sollten auf falsche Handhabung folgen und die zunehmende Transparenz das Vertrauen der Gemeinschaft stärken. Zudem sollten Polizei- und zivile Aufsichtsbehörden das Filmmaterial nicht nur nutzen können, um Beamte zu bestrafen, sondern auch, um die Ausbildung neuer Polizisten zu verbessern.

Das falsche Versprechen der Körperkameras

Doch diese Logik hat sich in vielen Fällen nicht bewährt. Das Hauptproblem besteht darin, dass Polizeidienststellen weitgehend die Kontrolle über das Filmmaterial haben. Die Behörden können individuell entscheiden, welche Videos wann veröffentlicht werden. Wenn Aufzeichnungen an die Öffentlichkeit gelangen, werden häufig nur Ausschnitte gezeigt, die die Geschichte eines Beamten bestätigen oder seine Handlungen rechtfertigen.

Wie schwierig es ist, gezielt an ausgewählte Aufzeichnungen zu gelangen, zeigte nun ein Fall der Nachrichtenorganisation ProPublica. Das investigative Blatt versuchte, an unterschiedliche Videos von Körperkameras bei Tötungen durch Polizisten heranzukommen, aber in vielen Fällen weigerten sich die Polizeidienststellen, diese herauszugeben.

Wenn sich die Polizeibehörden in den Weg stellen

Der Fall von Miguel Richards, der 2017 von Polizisten in seiner eigenen Wohnung getötet wurde, ist ein gutes Beispiel für die aktuelle Problemlage. Laut dem New York City Police Department sei die Reaktion der Beamten gerechtfertigt gewesen, da Richards ein Messer und etwas, das einer Waffe glich, in der Hand hielt. Während die Körperkameras der Polizisten das Geschehen aufnahmen, konnte jahrelang niemand außer der NYPD das Filmmaterial einsehen. 

Im Jahr 2019 ordnete ein Richter dann die Freigabe der Videos an. Das Resultat: Keine einzige Aufnahme zeigte, dass Richards eine Schusswaffe in der Hand gehalten hat. Die Videos enthüllten auch, dass die Beamten keine grundlegenden Schritte zur Deeskalation der Situation unternahmen. Zu Konsequenzen führte das falsche Verhalten der Polizisten jedoch nicht.
 

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Der Fall in New York ist nur einer von vielen. Denn obwohl Hunderte von Millionen Dollar an Steuergeldern für die Technologie, die als Revolution in Sachen Transparenz und Rechenschaftspflicht verkauft wurde, fließen, weigern sich Polizeidienststellen laut einer Untersuchung des Time Magazines und ProPublica immer noch routinemäßig, Filmmaterial freizugeben. In der Regel halten sie solche Aufnahmen unter Verschluss. 

Bereits zu den Zeiten des Pilotprojekts der Körperkameras in 2013 führte das New Yorker Polizei-Department die Richtlinie ein, dass kein Video automatisch veröffentlicht werden würde. Um Filmmaterial zu erhalten, mussten die Bürger einen Antrag in einem undurchsichtigen und langsamen Verfahren stellen, bei dem am Ende das NYPD entscheidet, was sie herausgibt. 

Anderer Staat, andere Rechte

In manchen Teilen der USA, wie beispielsweise in Chicago, ist es einfacher, an Polizeivideos zu gelangen oder sie zumindest zu nutzen, um Beamte zur Verantwortung zu ziehen. In Chicago hat die zivile Aufsichtsbehörde direkten Zugang zu den Aufzeichnungen der Polizeikameras und kann sie veröffentlichen. Das Gremium hat solche Videos bereits mehrmals bei der Entlassung von Beamten wegen Fehlverhaltens angeführt.

Doch auch wenn es nicht in allen amerikanischen Bundesstaaten so schwer ist wie in New York, an Polizeivideos zu gelangen, sind Veröffentlichungen nicht gang und gäbe, und Polizeidienststellen können vielerorts die Freigabe von Videos verzögern. Fünf Jahre, nachdem ein Beamter in Montgomery, Alabama, seinen Hund auf einen verdächtigen Einbrecher hetzte und diesen tötete, hat die Behörde laut New York Times das Filmmaterial immer noch nicht freigegeben, mit der Begründung, es könne zu „zivilen Unruhen“ kommen. Landesweit wurden im Juni 2022 nur 79 polizeiliche Tötungen von Polizeikameras aufgezeichnet. Und in den vergangenen anderthalb Jahren wurden Videos nur bei 42 Prozent dieser Vorfälle freigegeben.

Polizeikameras im Fall Derek Chauvin

Bei der Diskussion um Polizeikameras kommt auch immer wieder der Fall Derek Chauvin auf. Knapp drei Jahre bevor der Polizist George Floyd 2020 in Minneapolis tötete, indem er sich auf dessen Hals kniete, zeichneten Polizeikameras auf, wie Chauvin die gleiche Taktik anwandte. Aber die Beamten veröffentlichten das Video erst sechs Jahre später, nach Floyds Tod. Das Video von Floyds Tötung, das im Sturm um die Welt ging, stammt von einem Unbeteiligten, nicht von einer Polizeikamera.

Als Antwort darauf haben Dienststellen eine neue Politik der Transparenz verkündet, sich schließlich aber dennoch nicht an ihre eigenen Standards gehalten. Nach der Tötung Floyds erklärte beispielsweise das New York Police Department, es werde „innerhalb von 30 Tagen“ Filmmaterial von sogenannten kritischen Zwischenfällen veröffentlichen. Seitdem sind drei Jahre verstrichen. Doch von den insgesamt knapp 380 der kritischen Vorfälle hat das NYPD nur zweimal innerhalb eines Monats Filmmaterial veröffentlicht.


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