Bilanz nach 100 Tagen im Amt - Die Neuerfindung des Joe Biden

Seit bereits 100 Tagen ist Joe Biden im Amt. Er nutzt die Krise als Chance und setzt auf einen starken Sozialstaat. Sollte sein Plan Wirklichkeit werden, würde er die USA damit grundlegend ändern – doch schon jetzt wachsen Zweifel.

Biden setzt in den 100 Tagen seiner Amtszeit die richtigen Akzente / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Joe Biden will endlich Ronald Reagan überwinden. So wie er will er in die Geschichtsbücher eingehen. Als älterer, anfänglich unterschätzter Präsident, der zur Ikone seiner Partei wird. Um nicht weniger ging es in seiner Rede vor dem Kongress. Reagan, der einst sagte, die Regierung sei nicht die Lösung, sondern das Problem, und Bill Clinton, der feststellte, dass das Zeitalter starker Staaten vorbei sei, begründeten damit die Zurückhaltung des Staates in der Wirtschaft und im gesellschaftlichen Leben.

Joe Biden dreht den Spieß um: Die USA seien in einer ihrer schwersten Krisen. Die Pandemie, die Wirtschaftskrise und die Angriffe auf die Demokratie erforderten einen kraftvollen Staat, der auf allen drei Gebieten leistungsstark ist und sich damit das Vertrauen der Bürger erarbeiten kann. Joe Biden ist, sollte es ihm gelingen, sein Programm umzusetzen, ein Präsident, der sein Land grundlegend verändern kann. 

Paradigmatische Veränderung

Es sind drei Programme, die Biden verfolgt, und von denen das erste schon beschlossen wurde. Alle drei zusammen würden die Rolle des Staates in der amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft paradigmatisch verändern. Sie würden die USA stärker zu einem Sozialstaat ausbauen und in der Wirtschaft die Rolle des Staates als Impulsgeber und Antreiber von Entwicklungen stärken.

Zusammen haben die drei Programme ein Volumen von 6 Billionen Dollar. Schon verabschiedet ist der American Rescue Plan, der 1,9  Billionen Dollar umfasst. Mit ihm wurden Millionen Amerikanern 1.400 Dollar Corona-Hilfe ausgezahlt, den Arbeitslosen 300 Dollar an wöchentlicher Unterstützung gewährt und Eltern für ein Jahr Kindergeld garantiert. Dieses Programm konnten die Demokraten mit einem speziellen Gesetzgebungsverfahren (Reconsiliation) verabschieden, das nur die einfache Mehrheit im Senat erfordert. Über die verfügen sie. Für die beiden anderen Programme werden hingegen 60 Stimmen – und damit 10 republikanische Senatoren – nötig sein, um den Filibuster zu brechen. 

Jobs, Jobs, Jobs

Fast 2,3 Billionen Dollar sollen für den American Jobs Plan aufgebracht werden. Mit ihm soll die Infrastruktur erneuert werden, wobei die Regierung Biden einen sehr breiten Begriff von Infrastruktur hat. Darunter versteht sie zwar auch Brücken, Straßen und Netzwerke, aber auch häusliche Pflege und Industriepolitik. Das Ziel des Programms: Jobs, Jobs Jobs. Das war – immer mit direkter Ansprache in die Kamera hinein, um den Bürger zu zeigen, dass er sie anspricht – das Mantra der Rede. Jobs, Jobs, Jobs. Die amerikanische Regierung unterstützt mit amerikanischem Steuergeld die Entwicklung amerikanischer Forschung, die in amerikanischen Produkten mündet, die amerikanische Bürger kaufen. Und am liebsten grün produzierte Waren. Klimapolitik legt Biden stets auch als Industriepolitik an.

Und 1,8 Billionen Dollar sollen im American Families Plan schließlich für gute Bildung und Ausbildung, Kinderbetreuung, Früherziehung und Mutterschutz bereit gestellt werden. Das ist mehr als ein Sozialstaatsprogramm, erklärt Biden, weil im Wettbewerb der Staaten – Präsident Xi meint es ernst, sagte er – nur gewinnen kann, wer seine Bevölkerung besser ausbildet.  Zusammen bilden die drei Programme Bidens „Build Back Better-Agenda“, die den amerikanischen Staat wieder handlungsfähig und die amerikanische Wirtschaft zukünftig wettbewerbsfähig machen soll. Bezahlt wird es – der Spitzname Robin Hood geht schon um – von Unternehmen und Reichen. Niemand mit einem Einkommen unter 400.000 Dollar werde mehr Steuern zahlen. 

Vertrauen zur Regierung gewinnen

Das ist Bidens großer Plan. Sollte er Wirklichkeit werden, würde er die USA grundlegend ändern. Das will Biden noch in vielen anderen legislative Vorhaben erreichen: schärfere Waffengesetze, eine Polizei-Reform, einen Mindestlohn von 15 Dollar, eine Institution als Avantgarde für biotechnische Forschung. Durch diese Maßnahmen sollen die Bürger wieder Vertrauen zur Regierung gewinnen und die Demokratie als überlegene politische Ordnung Erfolg haben. Und, ach ja, der Konkurrent China bleibt so auf Abstand.

Die ersten 100 Tage von Joe Biden waren handwerklich vorbildlich. Konzentriert auf eine feste Agenda, setzte ein rasch handlungsfähiges Kabinett von ausgewiesenen Fachleuten – nicht ein politischer Lehrling! – die Abwicklung von Trump und die ersten Schritte von Biden um. Das ging, weil es mit der knappen Senatsmehrheit und präsidentiellen Dekreten möglich war. Diese Art der Umsetzung kommt jetzt an ihr Ende. Ab nun muss Präsident Biden Mehrheiten im Senat suchen, und er darf sie im Repräsentantenhaus nicht verlieren– da haben die Demokraten nur 11 Stimmen Vorsprung.

Knackpunkt: Steuererhöhungen 

Biden selbst ist kompromissbereit und sagte mehrfach, dann solle man eben verabschieden, was geht, wenn schon keine umfassenden Gesetze verwirklicht werden können. Beispielsweise bei der Einwanderung. Wenn es keine Einigkeit in allen Fragen gibt, dann soll zumindest der Weg der Dreamer – Babys und Kleinkinder, die irregulär in die USA kamen – zur Staatsbürgerschaft und der ausländischen Landarbeiter zu einem legalen Status geebnet werden. Dafür könnte es eine Mehrheit geben. Aber sind beide Seiten, die progressiven Demokraten und die moderaten Republikaner kompromissbereit? 

Mit der Betrachtung dieser Wirklichkeit wachsen die Zweifel, ob Präsident Biden seine Programme so oder in abgeschwächter Form durchbekommt. Denn die Steuererhöhungen sind, egal wie, immer schon drin im Paket. Den Linken sind sie zu gering, die Rechten wollen nichts davon hören. Aber Biden hat ein starkes Argument: Wenn die Lösung der Probleme jetzt scheitert, verliert die Demokratie ihre Glaubwürdigkeit. Nur ist er nicht der erste Präsident, der das sagt. Joe Biden hat sich in den letzten 100 Tagen als transformativer linker Präsident neu erfunden. In den nächsten Wochen sehen wir, welche Wellen das in Washington auslöst und ob seine Agenda darauf surfen kann.

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