Atomabkommen - Wenn die Erwartungen zu hoch sind

Der Kern des Atomabkommens mit dem Iran war nicht die atomare Abrüstung. Im Fokus stand die Beziehung zwischen den USA und des Iran. Dieser Kernpunkt war bereits mit Donald Trumps Amtsantritt gescheitert. Europa muss jetzt eine Schlüsselrolle übernehmen

Das Kernelement des Atomabkommens war bereits mit Donald Trumps Amtantritt gescheitert / picture alliance
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Parham Kouloubandi studiert an der Ludwig-Maximilians-Universität Orientalistik mit Fokus auf die iranische und arabische Welt. 

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Es war am Morgen des 7. Juli 2015, als sich John Kerry und Javad Zarif zu einem Vier-Augen-Gespräch trafen – ohne ihre Verhandlungsteams. Die Außenminister der USA und des Iran kannten ihre gegenseitigen Positionen bereits in und auswendig nach mehr als zwei Jahren intensiven Verhandlungen. Sie brauchten weder Berater noch Dolmetscher. Während sie sprachen, konnten die anderen Delegatirtern nur abwarten, mit der leisen Vorahnung, dass ein Scheitern der gesamten Gespräche im Raum stand. Zwei Tage zuvor gab es bereits ein ähnliches Treffen zwischen Kerry und Zarif, in dem sich beide am Ende so laut angeschrien hatten, dass ein Mitarbeiter sie von draußen unterbrechen musste. Niemand wusste zu dem Zeitpunkt mehr, wo man eigentlich stand. Es war der Tiefpunkt der Verhandlungen um Irans Atomprogramm, zu dem die beiden Außenminister zusammengekommen waren. Ein Schlüsselmoment.

Es ist nicht viel über den genauen Verlauf des Gespräches bekannt, nur, dass danach innerhalb von sieben Tagen der Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA, auf persisch Barjam) vorgestellt wurde. Bei uns ist der Plan unter dem sogenannten Atomabkommen bekannt. Iran schränkte seine nuklearen Aktivitäten ein, die Weltgemeinschaft schaffte im Gegenzug die meisten Sanktionen ab. Es war ein Erfolg der Diplomatie, der im Kern auf die Vereinbarung zwischen Washington und Teheran zurückging und die direkten Verhandlungen zwischen den Außenministern beider Staaten.

Ruhani sei naiv, Obama schwach

Auch deswegen erhoffte man sich viel vom JCPOA. Es sollte nicht nur eine iranische Atombombe verhindern, sondern insbesondere das vergiftete Klima zwischen Iran und den USA verbessern. Jahrzehnte der Kooperation während der Shah-Zeit folgten Jahrzehnte bitterster Rivalität nach der Revolution, von der Erstürmung der US-Botschaft in Teheran 1979 über George W. Bushs „Achse des Bösen“-Rede 2002 bis zu gegenseitigen Hackerangriffen von 2010 bis 2013. So wurden die amerikanisch-iranische Beziehung zu einer der komplexesten in der Weltpolitik. Beide Staaten trieben die jeweilige Außenpolitik des anderen mit an, was vor allem in West-Asien negative Auswirkungen hatte und ein Faktor für die vielen regionalen Konflikte gewesen ist.

Es war allein deswegen ein Meilenstein, dass Kerry und Zarif im Juli 2015 so intensiv miteinander verhandelten und sogar eine Lösung erarbeiteten. Weder in Iran, wo Antagonismus zu der US-Regierung Teil der politischen Kultur ist, noch in den USA, wo die iranischen Machthaber durchweg als Terrorunterstützter erster Klasse gesehen werden, ist es einfach für Politiker, bilaterale Gespräche zu führen. Sowohl die jetzige Administration unter Hassan Ruhani als auch die Barack Obama-Regierung haben das zu spüren bekommen. Beide wurden nach dem Abschluss des JCPOA dafür kritisiert, der Gegenseite Konzessionen zu viel zugestanden und zu wenig dafür im Gegenzug ausgehandelt zu haben. Ruhani sei naiv gewesen, Obama schwach, so der Tenor.

Die amerikanisch-iranischen Beziehungen leiden

Allein die kritischen Stimmen machten deutlich, dass der Kernerfolg des Abkommens die Übereinkunft zwischen Teheran und Washington gewesen war. Schon mit Donald Trumps Amtsantritt scheiterte dieses Vorhaben. Seine Entscheidung vom 8. Mai 2018 das Atomabkommen aufzukündigen, hat das nur konkretisiert. Die Folgen beziehen sich insofern weniger auf das iranische Nuklearprogram, sondern die US-iranischen Beziehungen.

Technisch gesehen war die Konstellation hinter dem Abkommen wie folgt: Iran willigte ein, sein Atomprogramm, was trotz aller verdächtigen Aktivitäten nach 2003 nur ein ziviles war, einzuschränken. Dafür wurden internationale Sanktionen zurückgenommen. Übergreifend ging es jedoch viel mehr auch um das Aufschlagen eines neuen Kapitels mit dem einstigen Paria-Staat Iran, mit dem Verhältnis zu den USA im Zentrum. Der intensive Austausch zwischen John Kerry und Javad Zarif im Rahmen der Verhandlungen verkörperte diese Hoffnungen.

Neuer Umgang der beiden Länder

Wenige Monate nach Abschluss des Atomabkommens konnte man bereits erste Erfolge erkennen: Nachdem im Januar 2016 zwei US-Boote in iranisches Gewässer fuhren und ihre Besatzung festgenommen wurden, ließ die Regierung sie nach nur wenigen Stunden wieder frei. Vor dem Abkommen hätte dieser Vorfall zu großen Spannungen geführt. Jetzt genügte ein Telefonat zwischen Kerry und Zarif. In der belasteten Geschichte zwischen den USA und Iran war das ein signifikantes Zeichen für einen neuen Umgang miteinander, der mit dem JCPOA seinen Anlauf genommen hatte.

Doch das war auch gleichzeitig das Problem: Beide Seiten wollten zu viel in zu kurzer Zeit erreichen. Oder sie mussten, bedrängt von Kritikern, schnelle Erfolge vorweisen, die den Kurswechsel mit den erbrachten Konzessionen rechtfertigen. Die Abschaffung eines jahrzehntelangen Feindes brauchte handfeste Änderungen. Für Iran: wirtschaftliche Verbesserungen. Für die USA: eine Änderung von Teherans Regionalpolitik. Es ging gar nicht um den technischen Aspekt des JCPOA.

Es fehlten konkrete Maßnahmen

Genau darin ist das Abkommen gescheitert. Es war von Irans Machthabern illusorisch zu erwarten, dass sich durch den formalen Wegfall von Sanktionen alle ökonomischen Probleme des Landes lösen würden. Das konnte nicht passieren, vor allem nicht in so kurzer Zeit. Gleichzeitig war es von den USA ebenso illusorisch zu erwarten, dass Teheran einen strategischen Kurswechsel vornehmen und essentielle Bestandteile seiner Sicherheitspolitik abwandeln würde. Die tiefen Gräben zwischen den Vereinigten Staaten und Iran, die sich über Jahrzehnte gebildet hatten, konnten nicht einfach durch ein einzelnes Abkommen überwunden werden. Dafür hätte es mehr Zeit gebraucht – und eine stabilere regionale Lage.

Es ist am Ende die Frage, ob beide Seiten durch ihre zu großen Hoffnungen enttäuscht wurden oder weil sie, bedrängt von Kritikern, Erwartungen erfüllen mussten, die nicht zu erfüllen waren. Trump – als Speerspitze jener Kritiker, warf Iran genau das vor. Sie haben das Abkommen nicht technisch, sondern übergreifend verletzt, weil Teheran den Geist des JCPOA nicht respektiere und seine Außenpolitik nicht geändert habe. Im Iran bemerkte man wiederum, dass der US-Firma Boeing im September 2017 durch den US-Senat untersagt wurde, trotz eines Vertragsabschlusses Flugzeuge zu liefern. Und das mit der Begründung, dass das iranische Militär diese nützen werden, um Bashar al-Assad in Syrien zu unterstützen.

Eine Kosten-Nutzen-Frage

Wie es jetzt weitergeht, hängt an mehreren Faktoren. Die USA können leichte Sanktionen verhängen, ausgerichtet auf Irans Atomprogramm und einzelne iranische Entitäten, oder harte Sanktionen, die direkt auf Irans Wirtschaft zielen. Im letzteren Fall sind UN-Sanktionen wie vor 2015 ausgeschlossen, weil die Vetomächte Russland und China diese nicht mittragen würden. Für eine volle Wirkkraft unilateraler US-Sanktionen müssten die Europäer mitziehen, denn der Handel zwischen Teheran und Washington ist nahezu inexistent.

Trumps Rede selbst hat das Ausmaß der Sanktionen offengelassen und in inkohärenter Manier sowohl Strafmaßnahmen gegen Irans Wirtschaft angesprochen als auch gegen das Atomprogram. Trump will sich alle Optionen offenlassen und auf Zeit spielen. Sollten harte Sanktionen erlassen werden, wird es also darauf ankommen, wie die EU reagieren wird. Man kann diese entweder mittragen oder blockieren, wie es 1996 bereits in einer ähnlichen Situation geschah.

Iran hat währenddessen klargemacht, dass man das Abkommen aus einer Kosten-Nutzen-Perspektive betrachtet. Solange ein Gewinn erkennbar ist, werden die Vertragsinhalte weiterhin respektiert und das eigene Atomprogram eingeschränkt. Im Falle von harten Sanktionen der USA, die beispielsweise Finanztranskationen mit Iran von in- und ausländischen Firmen unter Strafe stellen, wird Teherans wahrgenommener Nutzen schnell schwinden. Das Land wird wahrscheinlich aus dem Abkommen austreten. 

Ein Lichtblick bleibt

Doch wird sich Brüssel gegen Washington stellen und damit in Zeiten eines drohenden Handelskrieges riskieren, die Fronten zu verschärfen? Lediglich der technische Aspekt ist noch zu retten. Damit kann man Washington und Teheran ein paar Jahre Zeit geben, einen neuen Anlauf zu starten. Und zwar bevor die angestauten Spannungen in einem Krieg explodieren. Die einzige Hoffnung ist, dass keines der beiden eine militärische Konfrontation möchte.

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