IDF-Sprecher Arye Sharuz Shalicar - „Wir wünschen uns von Europa Solidarität“

Im Interview fordert der Sprecher der israelischen Streitkräfte eine kritische Überprüfung der Hilfszahlungen für die Palästinenser und ein Bekenntnis zu Israel. Er glaubt, dass die arabischen Nachbarstaaten ihren Kampf gegen vom Iran gesteuerte Terrororganisationen stärken werden.

Israelische Soldaten an der Grenze zum Gazastreifen, 24.10.2023 / picture alliance
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Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Arye Sharuz Shalicar ist als Sohn persisch-jüdischer Eltern in Deutschland geboren und aufgewachsen. Nach Erfahrungen antisemitischer Übergriffe durch arabische Klassenkameraden entschloss sich Shalicar, nach Israel auszuwandern. Er ist Pressesprecher der israelischen Streitkräfte und Autor sowie Vortragsredner. Zuletzt engagierte er sich als Abteilungsleiter für Internationales im Büro des israelischen Ministerpräsidenten für das Abraham-Abkommen, ein von den USA initiiertes Friedensabkommen zwischen Israel und arabischen Staaten.

Herr Shalicar, noch immer befinden sich Killerkommandos der Hamas auf israelischem Boden. Über eintausend Zivilisten wurden getötet, Hunderte entführt. Ist das nicht ein krasses Versagen der Sicherheitskräfte wie auch der Geheimdienste?

Alles schreit natürlich danach, dass da die konkrete Information über eine Masseninvasion gefehlt hat. Was am Samstag, den 7.10., passiert ist als an einem Morgen hunderte Raketen auf Israel abgefeuert wurden und weit über tausend Terroristen schwer bewaffnet und brutal eingedrungen sind, sehr viele Familien und Kinder ermordet und Kleinkinder und Babys geköpft wurden –, wie es dazu kommen konnte, wieso wir in diese Situation geraten sind: All das werden wir untersuchen, wenn dieser Krieg vorbei ist. Ich habe in den vergangenen Tagen sehr viele gruselige Dinge gesehen und gehört, aber wir sind jetzt im Krieg und haben andere Prioritäten.

Kritische Stimmen werfen der Regierung Netanjahu eine Spaltung der Gesellschaft und Schwächung der Sicherheitskräfte durch die geplante Justizreform vor. Spielte diese Spaltung den Feinden Israels in die Hände?

Auch das wird Teil der Untersuchung sein. Es ist gut möglich, dass die Situation innerhalb Israels in den letzten Monaten, als es Reservisten gab, die sagten, dass sie im Falle einer militärischen Notwendigkeit nicht einrücken werden, das Gefühl vermittelte, dass Israel gebrochen und geschwächt sei. Die Situation wurde aber falsch eingeschätzt. Von 400.000 Reservisten hat kein einziger verweigert, Zehntausende Israelis stehen vor den Toren der Kasernen, sie melden sich, um freiwillig zu helfen.

Haben Sie Hoffnung auf eine Befreiung der entführten Israelis?

Arye Sharuz Shalicar

Die Hoffnung stirbt zuletzt und wir dürfen sie nicht verlieren. Aufgrund der schwierigen Situation dürfen wir aber auch unser Selbstbewusstsein nicht verlieren. Wir sind geeint, wir sind entschlossen und hoffen auf den Tag, an dem die entführten Israelis gesund und lebendig wieder in Israel sind.

Aktuell sieht es nach einem Zweifrontenkrieg aus. Besteht die Gefahr, dass der Iran ebenfalls aktiv in den Krieg eingreift?

Zum einen gibt es den Spruch, dass das iranische Mullah-Regime bereit ist, Israel bis auf den letzten Araber zu bekämpfen. Das heißt, dass sie Araber als Kanonenfutter nutzen. Hamas, Hisbollah, Islamischer Dschihad und andere arabische Terrororganisationen, die vom Mullah-Regime bezahlt werden: Natürlich steht die Option offen, dass aus anderen Gegenden des Nahen Ostens Angriffe erfolgen. Allerdings glaube ich nicht, dass es für die Mullahs einen Grund gibt, aktiv einzugreifen. Sie haben in den letzten Jahrzehnten genug arabische Terroristen mit Milliarden Euros, Waffen, Raketen und Indoktrination an den Punkt gebracht, an dem sie sie haben wollten. Sie können sie jederzeit aktivieren, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen. Sie lassen also die Araber die Drecksarbeit erledigen. Es gibt also viele Optionen, was passieren kann. Aber durch die Stationierung amerikanischer Kriegsschiffe und die Warnung Amerikas an das Mullah-Regime und die Hisbollah glaube ich nicht, dass jetzt durch beide ein noch größerer Angriff erfolgen wird.

Menschenrechtsorganisation äußern Bedenken bezüglich der Militäroperationen im Gazastreifen. Amnesty International prangert den massiven Beschuss der Zivilbevölkerung im Gazastreifen an. Begeht Israel Kriegsverbrechen?

Wir befinden uns in einem Krieg, der nicht von uns eingeleitet wurde, sondern durch die barbarische Masseninvasion und den Massenmord, den die Hamas an Israelis begangen hat. Der Gazastreifen ist zudem ein Gebiet, zu dessen Repräsentanten die Hamas 2006 gewählt wurde. Sie haben seit 16 Jahren das Gebiet an sich gerissen. Sprich, es ist ihre Pflicht, ihre Bürger, ihre Zivilisten zu schützen, sich darum zu kümmern, dass die Familien, Kinder, ältere Menschen in Sicherheit sind. Sie machen das nicht. Wir wissen, wieso sie das nicht machen. Sie nutzen ihre eigene Bevölkerung, ihre Frauen, ihre Kinder, ihre zivilen Infrastrukturen und nun auch die israelischen Geiseln als menschliche Schutzschilde. Sie nutzen sie, um uns davon abzuhalten, uns zur Wehr zu setzen gegen die 20.000 bewaffneten Terroristen, die sich im Gazastreifen befinden. Sie haben dort Tausende Terrorzellen, meist in zivilen Objekten wie Schulen, haben dort ihre Kommandozentralen, ihre Stützpunkte, ihre Waffendepots, ihre Raketenlager, ihre Terrortunnel und natürlich ihre führenden Köpfe.

Was ist Ihr Ziel: Möchten Sie die Zivilbevölkerung bestrafen oder die Hamas dauerhaft ausschalten?

Israel hat kein Interesse daran, Zivilisten zu bestrafen oder zu verwunden. Das wollen wir nicht. Wir haben vor, die Hamas und den Islamischen Dschihad, die beide für den Massenmord und die Kriegsverbrechen verantwortlich sind, zu bestrafen. Es wird nie wieder einen Terroristen geben, der sich im Gazastreifen bewegen kann. Zudem möchten wir, dass die israelischen Geiseln, die sich dort befinden, gesund und lebendig nach Israel zurückkehren. Solange das nicht passiert ist, werden wir nicht ruhen.

Der Frieden zwischen Arabern und Juden sollte kein Traum bleiben. Dafür wurde das Abraham-Abkommen initiiert. Wird dieser Übergriff auf Israel das Abkommen gefährden?

Das Timing des Angriffs, der 7. Oktober, ist kein Zufall. Es ist der 50. Jahrestag des Jom-Kippur-Kriegs, und es geschieht in einer Zeit, in der sich Israel und Saudi-Arabien annähern. Zudem wurde die Spaltung Israels falsch eingeschätzt. Ich vermute, dass das die Gründe sind, wieso die Angriffe gerade jetzt erfolgten. Moderate islamische Staaten sehen das Mullah-Regime und radikal terroristische Organisationen als ihre Feinde, genauso wie wir auch. Mit vielen islamischen Ländern der Region haben wir einen gemeinsamen Nenner. Ich gehe sogar davon aus, dass ein Friedensabkommen zwischen Saudi-Arabien und Israel ein klares Zeichen an radikal islamistische Terrororganisationen und das Mullah-Regime sein wird.

Was fordern Sie von europäischen Staaten?

Von Europa und vor allem von Deutschland erwarten wir eine komplette Solidarität mit einem freien Staat, der auf bestialische Weise angegriffen wurde. Und diese Solidarität sollte nicht nur in Worten erfolgen, sondern auch in Taten. Wir sind Partner Europas, und wir kämpfen gegen radikal islamistische Organisationen. Die finanziellen Mittel, die vor allem aus Deutschland als Top-Finanzierer erfolgen, sollten überprüft werden. Denn es steht zu 100 Prozent fest, dass diese Mittel nicht nur in die zivile Infrastruktur fließen: Die unterirdischen Terrortunnel, der Abschuss von 5000 Raketen in fünf Taten, all das kostet Geld. Deutschland und andere europäische Länder müssen sich fragen: Was finanzieren wir da?

Das Gespräch führte Ilgin Seren Evisen.

 

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