Arabischer Frühling - „ Die Revolution ist eine Frau “

Die arabische Welt ist wieder in Aufruhr, und Frauen spielen dabei eine zentrale Rolle. Doch der Westen weigert sich beharrlich, diese Tatsache überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Das ist nicht nur schändlich, sondern auch eine echte Gefahr

Erschienen in Ausgabe
Frauen könnten die idealen Verbündeten für einen demokratischeren Nahen Osten sein / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Hamed Abdel-Samad ist ein deutsch-ägyptischer Politikwissenschaftler, Historiker und Autor.

So erreichen Sie Hamed Abdel-Samad:

Anzeige

Vor acht Jahren wurde der arabische Frühling in fast allen westlichen Medien live übertragen. Hoffnung und Euphorie brachen aus, als junge Menschen von Tunesien bis Bahrain die Straßen stürmten, um gegen die Diktaturen zu demonstrieren. Man sprach von einer Zeitenwende und einer neuen Weltordnung. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt, nachdem viele dieser Proteste in Bürgerkriege und Massenauswanderung Richtung Europa mündeten. Und der Westen ist gerade allzu sehr mit sich selbst beschäftigt: Brexit, Trump, Rechtsradikalismus, erodierende Demokratie und eine Migrationskrise machen den Leuten Angst. Doch die Menschen im Nahen Osten scheinen noch nicht müde zu sein. Erneut gehen junge Menschen im Libanon, im Irak und in Algerien auf die Barrikaden und rufen: „Freiheit, Freiheit!“ Diesmal allerdings werden ihre Schreie von westlichen Medien und Politikern überhört. Die Begeisterung für ihre Sache hält sich in Grenzen, dabei sind die Aufstände anders als früher: Die Beteiligung von Frauen ist viel höher als vor acht Jahren. Und die Demonstranten haben den Mut, nicht nur gegen Despotie und Korruption, sondern deutlich für einen säkularen Staat aufzustehen.

Manche dieser Proteste verlaufen friedlich, wie im Libanon; andere werden von schiitischen Milizen im Irak brutal niedergeschlagen. Wird der deutsche Bundespräsident, der den Iran zum Jahrestag der Islamischen Revolution beglückwünschte, auch seine Grüße an die 300 Opfer und ihre Familien im Irak senden, die von irantreuen Milizen erschossen wurden? Ist Europa nahostmüde? Oder hat der alte Kontinent es verlernt, sich für die Freiheit einzusetzen?

Eine asymmetrische Begegnung

Und so verpasst der Westen abermals eine goldene Chance, den Schulterschluss mit den demokratischen Kräften in der arabischen Welt zu suchen. Weiterhin setzt er auf alte Allianzen von Diktatoren, Generälen und Ölscheichs. Während die jungen Araber westliche Errungenschaften verteidigen und den Anschluss ans 21. Jahrhundert suchen, versucht der Westen mit Mühe, das 20. Jahrhundert zu verlängern – und verrät dabei die eigenen Werte. Die jahrhundertealte Asymmetrie zwischen Europa und der arabischen Welt hat im Laufe der Geschichte für viele Kriege gesorgt. Und jetzt, wo eine Seite auf die andere zugeht, stößt sie auf taube Ohren. Das könnte sich rächen.

Im Jahre 1798 überfiel Napoleon Ägypten. Eine moderne, militärisch überlegene Macht traf auf eine Gesellschaft, die immer noch in Armut und Isolation lebte. Aus dieser asymmetrischen Begegnung zwischen West und Ost, zwischen Moderne und Mittelalter, ist eine narziss­tische Wunde in der arabischen Seele entstanden, die bis heute die Beziehung zwischen Europa und der arabischen Welt prägt. Die ägyptische Armee wurde vernichtend geschlagen, und der Armeeführer musste in den Süden fliehen. Die Franzosen kamen zwar mit Kultur, Bildung und Wissenschaft, wurden jedoch von den Ägyptern als rücksichtslose, unmoralische Invasoren wahrgenommen.

Schon früh waren die Frauen vorne dabei

Die materielle Unterlegenheit wurde von den Bauern am Nil durch die moralische Überlegenheit kompensiert. Nach wenigen Monaten formierte sich ein Volksaufstand gegen Napoleon, bei dem Frauen eine entscheidende Rolle spielten. Die Ägypter wussten, dass sie die Franzosen mit einer klassischen Armee unmöglich schlagen könnten. Also entschieden sie sich für Straßenkämpfe und Anschläge aus dem Hinterhalt. Männer bauten Barrikaden, Frauen gingen aus Protest gegen Napoleons Soldaten lautstark mit Töpfen und Pfannen auf die Straßen. Die, die zu Hause blieben, kochten Essen für die Revolutionäre und kippten heißes Öl und schmutziges Wasser auf die Franzosen, die an ihren Häusern vorbeiliefen.

Kairo wurde gelähmt, und Napoleon musste die Altstadt mit Kanonen beschießen. Er ließ die Anführer des Aufstands verhaften und hinrichten. Darunter waren mehrere Frauen. Es war das erste Mal, dass Frauen in Ägypten bei einer Revolution eine zentrale Rolle spielten. Der Volkszorn schien sich für eine Weile beruhigt zu haben, doch zwei Jahre später gingen die Ägypter erneut auf die Barrikaden, auch da waren Frauen ganz vorne mit dabei. Im Jahre 1801 musste Napoleon seine Truppen schließlich aus Ägypten abziehen, nachdem Engländer und Türken sich gegen ihn verbündet hatten. Es war nur eine halbe Revolution geblieben, denn danach gingen die Frauen in ihre Küchen zurück und führten ihre traditionellen Rollen fort, während die Männer nach einem starken Mann des Militärs suchten, der Ägypten regieren sollte.

Orientierung zum Westen

1919 gingen die Ägypter erneut auf die Straße – diesmal, um gegen die britische Besatzung zu demonstrieren. Und abermals spielten Frauen eine wichtige Rolle – aber es waren gebildete Frauen einer Mittelschicht, die zwar immer noch klein war, aber Ägypten politisch wie kulturell geprägt hatten. Es waren Frauen, die westlich orientiert waren und den Begriff „Freiheit“ nicht nur in Bezug auf fremde Besatzung verwendeten. Unter ihnen befand sich die junge Huda Scharawi, die eine Frauendemonstration auf dem Hauptplatz von Kairo anführte und Parolen nicht nur gegen die Engländer, sondern auch gegen die türkische Herrschaft sang. Demonstrativ riss Huda Scharawi ihren Schleier vom Kopf und warf ihn auf den Boden, ihre Mitstreiterinnen taten es ihr gleich.

Tatsächlich hatte Huda Scharawi eine Frauenbewegung ins Leben gerufen, die sich an Clara Zetkin und Rosa Luxemburg orientierte. Diese Bewegung sollte Ägypten in den zwanziger und dreißiger Jahren prägen; Anhängerinnen gründeten Salons für politische und literarische Diskussionen. Viele von ihnen waren Mitglieder in politischen Parteien. 1922 wurde Ägypten unabhängig, in der ersten Verfassung des Landes wurde dank Scharawi und ihrer Bewegung die Gleichberechtigung von Mann und Frau verankert. Meinungs- und Glaubensfreiheit wurden ebenfalls garantiert, übrigens nicht nur für Muslime und Christen, sondern auch für Juden, Bahai und sogar für Atheisten.

Militärische Stütze und religiöse Legitimation

Ägypten war zu diesem Zeitpunkt deutlich liberaler als manche europäische Staaten. Es gab eine Parteienvielfalt, die heutzutage kein arabisches Land kennt. Bei fast allen Wahlen schlug die liberale Partei al Wafd die Nationalisten und die Islamisten und wurde vom König des Landes gefürchtet. Gewerkschaften und Studentenvereinigungen hatten eine hohe Mobilisierungskraft. Der Finanzminister war ein Jude, Parlamentspräsident war ein Kopte. Viele Frauen saßen im Parlament. Eine kleine, aber aktive Mittelschicht hatte die Werte der Aufklärung als Maßstab für Bildung, Kunst und Politik gelegt. Doch all das ging zu schnell und war den Massen von ungebildeten Ägyptern fremd. Denn eine stabile Macht am Nil brauchte immer eine militärische Stütze und eine religiöse Legitimation. Schon seit der Pharaonenzeit war das ideale Bild eines Herrschers jenes, bei dem der Pharao mit einer Hand den Göttern Opfergaben überreicht und mit der anderen Hand die Feinde des Landes bestraft.

Der nächste Pharao in Ägypten sollte Gamal Abdel Nasser heißen. 1952 putschte der Offizier gegen König Farouk und übernahm die Macht. Er löste die Parteien auf und nutzte die Kunst, die Bildung, die Frauenbewegung und die Religion nur für zwei Zwecke: dem Sozialismus zu huldigen und Israel zu verdammen. Der Chauvinismus der Nationalisten weckte in Ägypten und im gesamten arabischen Raum auch den Chauvinismus der Islamisten. In beiden Ideologien gab es für liberale Werte keinen Platz. Frauen wurden von beiden als Mittel zum Zweck, nicht als selbstbestimmte, unabhängige Wesen betrachtet.

Ein langer Winterschlaf

Nach der Khomeini-Revolution im Iran kam schließlich eine saudisch-salafistische Gegenbewegung in die arabische Welt, die Frauen und Frauenrechte, Liberalität und Freiheitsgedanken als Relikte des westlichen Imperialismus abstempelte. Alles, was in der arabischen Welt seither stattgefunden hat, geschah stets im Schatten des sunnitischen und schiitischen Fundamentalismus sowie des Machtstrebens von Iran und Saudi-Arabien.

Der Bürgerkrieg in Afghanistan, im Irak, im Jemen, in Syrien und die Destabilisierung des Libanons waren direkte Folgen dieses Kampfes. Man muss nur die Bilder von Frauen in diesen Ländern während der vierziger und fünfziger Jahre mit Bildern der Frauen von heute vergleichen, um zu verstehen, wie sehr der religiöse Machtkampf sie missbraucht und marginalisiert hat. Im Schatten der regionalen militärischen Auseinandersetzungen, der Bürgerkriege und im Sog des Hasses gegen Israel durfte sich keine Stimme über die der Waffen und der Kriegspropaganda erheben. Religiöse Indoktrinierung an Schulen, Massenverschleierung und die Stärkung des religiösen Diskurses in den Medien haben das Bewusstsein der Araber neu geformt und radikalisiert.

Die Frauenbewegung hatte einen langen Winterschlaf gehalten. Aber gestorben ist sie nicht. Sie wartete auf den nächsten Frühling. 2011 gingen die Ägypter abermals auf die Straße, um gegen Machthaber Mubarak zu demonstrieren. Die ägyptische Facebook-Generation sah die Welt anders als die konservative Generation ihrer Eltern. Frauen und Männer hatten im Netz sichere Räume für Kommunikation, Diskussion und Flirt jenseits der politischen, religiösen und familiären Kontrolle.

Der Begriff „Ehre“ war stärker als „Freiheit“

Ich persönlich nahm an diesen Demonstrationen teil und war erstaunt, wie viele junge Frauen dabei waren. Wir standen vor den Barrikaden der Sicherheitskräfte und zögerten, sie zu stürmen, um zum Tahrir-Platz zu gelangen. Eine junge Frau hatte uns mit Worten ermutigt: „Los Jungs, so viel Munition haben sie gar nicht, um uns alle zu töten!“ Ich musste später lange darüber nachdenken, woher der revolutionäre Geist bei diesen Frauen kam, obwohl die religiöse und die militärische Seele des Landes sowohl die Rebellion als auch die Beteiligung der Frauen an politischen Prozessen ablehnen. Warum waren sie anders als ihre Mütter? Offensichtlich haben sie mehr von der Welt gesehen als die Generationen davor. Inspiriert wurden diese jungen Ägypterinnen von den iranischen Frauen, die zwei Jahre zuvor gegen das Mullahregime protestiert hatten. Sie versammelten sich auf jenem Platz, wo Huda Scharawi sich den Schleier vom Kopf gerissen und „Freiheit, Freiheit“ gerufen hatte.

War die grüne Revolution der Iraner vom brutalen Regime ihres Landes niedergeschlagen worden, wurde die ägyptische Revolution von Islamisten gekapert. Sexuelle Belästigung, Gewalt und Gerüchte über Sexorgien auf dem Tahrir-Platz schüchterten die Frauen ein; Familien verboten ihren Töchtern, an Demonstrationen teilzunehmen. So verlor die Revolution nicht nur die Hälfte ihrer Schlagkraft, sondern auch die weibliche Verhandlungsgabe. Der Begriff „Ehre“ war immer noch stärker als der Begriff „Freiheit“.

Die Frauen waren die Leidtragenden

So nahmen wieder die Männer des Militärs und der Muslimbrüder das Schicksal Ägyptens in die Hände. Sie haben die Macht zunächst geteilt, dann übernahmen die Muslimbrüder das Ruder, schließlich putschte die Armee und riss die Macht endgültig an sich. Leidtragend dabei waren insbesondere Frauen, liberale Werte und die Hoffnung auf ein demokratisches Ägypten. Fast überall in der arabischen Welt hatte es Aufstände gegeben, und fast überall waren Frauen von den Plätzen verjagt worden. Wo sie fehlten, kam die Freiheit nicht. Die Aufstände in Syrien, Jemen und Libyen mündeten in Gewalt und Bürgerkriege.

Acht Jahre später erleben wir heute eine Neuauflage des arabischen Frühlings. Und wieder gehen Frauen auf die Straßen: im Libanon, im Sudan, in Algerien und im Irak. Doch diesmal protestieren sie nicht nur gegen Korruption und für bessere Lebensbedingungen, sondern auch gegen Bevormundung und die Vermischung von Religion und Staat. Viel deutlicher als die Männer (und viel lauter als je zuvor) plädieren diese Frauen für Säkularismus und Menschenrechte. Das geschieht zum ersten Mal seit Jahrzehnten, denn die Islamisten verwenden den Begriff „Säkularismus“ in der arabischen Welt bewusst als Synonym für Atheismus, Dekadenz und Feindseligkeit gegenüber der Religion.

Viele Frauenrechte werden errungen

Im Sudan, wo sich das Militär und die Islamisten 30 Jahre lang die Macht teilten, führte eine junge Frau die Demonstranten und sang für die Freiheit. Nach monatelangem Beharren auf der Straße wurde die Regierung gestürzt; die neue Übergangsregierung hat erstmals in der Geschichte des Landes Gleichberechtigung und Frauenrechte zu wichtigen Prinzipien einer neuen Verfassung des Landes deklariert.

Nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein im Irak entbrannte dort ein Machtkampf zwischen der schiitischen Mehrheit und der sunnitischen Minderheit. Befeuert von Iran und Saudi-Arabien, stürzte das Land in einen Bürgerkrieg. Korrupte Politiker, Abhängigkeit vom Ausland, Massenarbeitslosigkeit und fehlende Sicherheit haben jetzt zu Massendemonstrationen geführt, bei denen bislang mehr als 300 Tote zu beklagen sind. Doch trotz Gewalt und Repressionen ist die Beteiligung von Frauen an den Protesten beachtlich. Eine irakische Demonstrantin machte klar, dass es keine freie Gesellschaft geben könne ohne Freiheit für die Frauen. Eine andere rief: „Weder sunnitisch noch schiitisch. Wir wollen einen säkularen Irak!“ – und die Massen stimmten mit ein. Algerische Frauen demonstrieren seit Monaten gegen die Generäle und die Islamisten und verlangen eine offene, freie Gesellschaft. Tunesische Frauen haben es geschafft, nach dem Sturz des Diktators Ben Ali ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Gleichberechtigung von Mann und Frau bei der Erbschaft garantiert und die Ehe einer Muslimin mit einem Nichtmuslim legalisiert.

Im Libanon stellen die Frauen derzeit sogar mehr als die Hälfte der Demonstranten; selbst die Männer dort sehen ein: „Die Revolution ist eine Frau.“ Nach Wochen ununterbrochener Proteste in fast allen Städten und Dörfern bleiben die libanesischen Proteste bislang friedlich. Männer und Frauen stehen Hand in Hand und bilden eine Menschenkette über eine Strecke von mehr als 150 Kilometern. Eine Geste, mit der die Einheit von Christen, Sunniten, Schiiten und Drusen im Lande signalisiert werden soll und die als klare Absage ans aktuelle politische System zu verstehen ist, das die Menschen nicht als Bürger betrachtet, sondern als Angehörige von religiösen oder ethnischen Gruppen. Die Libanesen haben davon nun ganz offensichtlich die Nase voll – und demonstrieren gegen alle religiösen Parteien. Diese wiederum schicken ihre Milizen, um die Demonstranten einzuschüchtern.

Mitten im Kulturkampf

Aber libanesische Frauen lassen sich nicht mehr so leicht einschüchtern und bieten den Mullahs die Stirn: Eine ältere Frau hält eine flammende Rede vor Sicherheitskräften und fordert sie auf, den Weg für Demonstranten freizugeben. Eine andere ruft: „Ich will keine Rechte, die vom Islam oder Christentum kommen, sondern Menschenrechte als Bürgerin.“ Und als eine weitere Demonstrantin den Bodyguard eines schiitischen Politikers tritt, der die Menge mit seiner Waffe bedroht, wird sie bejubelt. Ihr Bild gilt inzwischen als Ikone der libanesischen Revolution. Frauen gehen mit Töpfen und Pfannen auf die Straße und schlagen sie gegen die Häuser von korrupten Politikern. Eine Bauchtänzerin hatte sogar den Mut, in Beirut eine Tanzshow vor der Moschee am Platz der Märtyrer zu absolvieren. Bemerkenswert an den libanesischen Protesten ist, dass bislang kein Fall von sexueller Belästigung registriert wurde, obwohl viele Frauen leicht bekleidet demonstrieren und auf den Plätzen übernachten.

Napoleon hatte es nicht geschafft, mit seinen Kanonen die Werte der Moderne in die arabische Welt zu bringen. Die Amerikaner haben es nicht geschafft, mit ihren Bomben die Demokratie im Irak zu etablieren. Das alles wird letztlich nur passieren, weil es sich um universelle Werte handelt, die der Sehnsucht einer neuen Generation nach Freiheit und Wohlstand entsprechen. Es gibt in diesen Ländern aber noch mehr Männer und Frauen, die Angst vor der Freiheit und für die Werte der Aufklärung nur Verachtung übrig haben. Und in vielen Ländern sitzen diese Ewiggestrigen noch immer an der Macht. Die arabische Welt befindet sich inmitten eines Kulturkampfs, dessen Ausgang nicht nur das Schicksal der Region, sondern auch das Schicksal Europas verändern wird. Doch der Westen scheint wenig Interesse daran zu haben, was gerade in der arabischen Welt passiert. Die Medien berichten kaum über die neuen Protestwellen; von Solidarität westlicher Feministinnen mit ihren arabischen Geschlechtsgenossinnen ist praktisch nichts zu spüren, obwohl Letztere ihr Leben gerade für Freiheit und Frauenrechte riskieren. Diese Neofeministinnen interessieren sich eher für konservative Muslimas im Westen, setzen sich lieber für Kopftuch und Burkini ein und plappern die Propagandasprüche der Islamisten nach von wegen „Hijab means empowerment“.

Die besten Verbündeten für einen friedlicheren Nahen Osten

Überhaupt setzt der Westen nach wie vor auf Machthaber wie Erdogan, auf die Generäle in Algerien, Ägypten, Libyen, auf die Scheichs in Saudi-Arabien und Katar oder auf die Islamverbände in Europa. Frauen in der islamischen Welt dagegen engagieren sich in ihren Ländern für Freiheit mit einer Entschlossenheit, die viele Männer und Frauen im Westen längst verlernt zu haben scheinen.

Es ist paradox: Der Glaube an Demokratie wächst im Osten, während sie im Westen schwindet. Dabei wären die mutigen Frauen in der arabischen Welt unsere besten Verbündeten für einen demokratischen, friedlicheren Nahen Osten. Doch der Westen sucht lieber strategische Allianzen, die kurzfristig zwar gute Geschäfte verheißen, aber langfristig alles nur schlimmer machen. Die muslimischen Frauen ermächtigen sich derweil selbst. Alles, was sie vom Westen erwarten, ist, dass er ihre Gegner nicht weiter mit Panzern und Geld unterstützt. Was muss eigentlich noch geschehen, damit diese mutigen Frauen im Westen endlich Gehör finden? Müssen sie erst als Massen von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen stehen, damit westliche Medien und Politiker sie wahrnehmen?

Dieser Text ist in der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

Jetzt Ausgabe kaufen

 

 

 

 

 

 

 

Anzeige