ARD-Talkshow „Anne Will“ - „Banalisierung und Infantilisierung von Krieg“

Immer mehr Waffen für die Ukraine? Bei „Anne Will“ diskutierte am Sonntagabend eine überraschend unvoreingenommene Runde über die Strategie des Westens im Ukrainekrieg.

Anne Will und ihre Gäste am Sonntagabend / Screenshot (ARD)
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Es herrschte Ratlosigkeit in dieser sonntagabendlichen Runde. Eine wohltuende Ratlosigkeit. Denn die Hitzköpfigkeit, mit der sich in manch anderer Fernsehbegegnung Befürworter und Kritiker der militärischen Ukraine-Unterstützung an die Gurgel gingen, ist ihr gewichen. „Leopard-Panzer für die Ukraine – Die richtige Entscheidung?“ fragte Anne Will in ihrer gleichnamigen ARD-Gesprächssendung. Und, um es vorwegzunehmen, ihre Gäste wussten es auch nicht.

Als entschiedenste Unterstützerin der Ukraine war Marina Weisband ins Studio zugeschaltet. Die ehemalige Piraten-Politikerin und Publizistin ist in Kiew geboren und warf Olaf Scholz beziehungsweise der gesamten Bundesregierung vor, nicht offen zu kommunizieren, welche Strategie hinter den verzögerten Waffenlieferungen steckt. „Was ist eigentlich unser Ziel in Bezug auf die Ukraine?“, fragte Weisband, die inzwischen Mitglied der Grünen ist. „Wir begründen ständig, warum wir etwas nicht liefern können. Dann liefern wir es trotzdem.“

Die Ukraine werde an einem Tropf gehalten, warf Weisband dem Westen vor. „Sie bekommt zu viel zum sterben, aber zu wenig zum leben.“ Ihre Vermutung sei, dass die USA und Deutschland wollen, dass dieser Krieg möglichst lange dauert. „Vielleicht, um Russland zu schwächen. Ich weiß es nicht.“ Deshalb forderte sie Klarheit. „Die erste Frage, die ich als Bürgerin habe, ist: Was will mein Land eigentlich außenpolitisch?“ 

Kevin Kühnert verteidigt den Kanzler

Als einziger Politiker einer Regierungspartei war SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in der Diskussionsrunde zu Gast. Seine Aufgabe war es natürlich, den Kanzler gegen Vorwürfe des Zauderns und Zögerns zu verteidigen. Und diese Aufgabe erfüllte er auch. Scholz habe nie rote Linien gezogen und sich nicht „in Debatten über einzelne Waffengattungen verwickeln lassen“, behauptete Kühnert. Vielen, die den Kanzler für dessen Ukraine-Politik kritisieren, gehe es nur um „kleingeistigen innenpolitischen Geländegewinn“, während Scholz verantwortungsvoll und vorausschauend agiere.

Als Beispiel nannte Kühnert den diplomatischen Erfolg des sozialdemokratischen Regierungschefs bei seiner Peking-Reise. Scholz sei es gelungen, die chinesische Führung zu einer klaren Aussage Richtung Russland zu bewegen: gegen den Einsatz von Atomwaffen. „Aber was war vor seiner China-Reise nicht alles zu hören?“, fragte Kühnert rhetorisch.

Amerikaner unter Druck gesetzt 

Aber nicht nur der Parteipolitiker verteidigte den Kanzler. Auch der sicherheitspolitische Experte Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Bundeswehr-Universität München, und der Journalist Georg Mascolo, Süddeutsche Zeitung (SZ), stimmten der Scholz-Linie grundsätzlich zu. 

Ein Teil der Vorwürfe gegen den Bundeskanzler seien unberechtigt, sagte SZ-Autor Mascolo. „Deutschland wollte Panzer liefern, aber eben nicht alleine.“ In den USA habe es ähnliche Diskussionen gegeben. US-Präsident Joe Biden sei vorgeworfen worden, bei Lieferung von amerikanischen Abrams-Kampfpanzern zu sehr zu zögern. Der Kanzler habe die Amerikaner unter Druck gesetzt und erreicht, dass sie ihren Kurs ändern. „Ich finde, dass Scholz es nicht schlecht gemacht hat.“

Weiterhin auf die USA angewiesen

Auch Carlo Masala, der schon häufig in Talkshows zum Ukraine-Krieg aufgetreten ist und dabei nicht mit Kritik an der Bundesregierung gespart hat, äußerte Verständnis für Scholz’ Beharren auf amerikanische Panzer. „Ich kann den Kanzler verstehen“, sagte der Politikwissenschaftler. „Als politisches Signal brauchen wir die USA. Die USA sind bereit, Panzer zu liefern. Das ist ein wichtiges Signal an Russland.“ Die klare Botschaft dahinter: Sollte Russland eskalieren, wären die Amerikaner mit dabei.

Alleine wären Deutschland und Europa mit dem Ukraine-Krieg und der Bedrohung durch Putin überfordert, stellte Masala klar. „Wir sind weiterhin auf die USA angewiesen. Wir brauchen sie als letzten Garanten von Sicherheit in Europa.“

Linken-Chefin gegen Waffenlieferungen

Die Rolle der Nato-Kritikerin war mit Janine Wissler besetzt, einer der beiden Parteivorsitzenden der Linken. Sie sprach aus, was einige Deutsche befürchten und was wohl auch der Hauptgrund für Scholz’ vorsichtiges, schrittweises Vorgehen ist. „Ich halte die Entscheidung für falsch“, sagte Wissler in Bezug auf die Leopard-2-Lieferung. „Ich habe die große Sorge, dass das eine Eskalation dieses Krieges bedeuten kann. Eine Eskalation über die Ukraine hinaus.“

„Militärexperten sagen, dass man diesen Krieg militärisch nicht schnell entscheiden kann“, mahnte die Linken-Chefin. Es drohe ein Abnutzungskrieg über Jahre mit immer mehr Toten und immer mehr Zerstörung. „Wir müssen raus aus diesem militärischen Tunnelblick“, forderte Wissler. Statt nur über Panzer und nun auch noch Kampfflugzeuge, Raketen und U-Boote zu reden, seien diplomatische Initiativen gefragt, um den Krieg auf dem Verhandlungsweg zu beenden. Dazu sei auch die deutsche Außenministerin gefragt.

Gefahr eines dritten Weltkriegs

Wohltuend im Vergleich zu anderen, ähnlich gearteten Sendungen war, dass Wissler nicht sofort niedergemacht wurde. Denn das Dilemma, dass sich der Westen zwischen militärischer Hilfe für die überfallene Ukraine und der Gefahr eines dritten Weltkriegs bewegt, ist ja keine Erfindung putintreuer Antiamerikanisten.

 

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Georg Mascolo wies daraufhin, dass die USA von Anfang an eine solche Gefahr gesehen hätten. Deren Einschätzung sei: „Wir müssen die Ukraine unterstützen, weil Putin mit seinem Landraub unter dem atomaren Schutzschirm nicht durchkommen darf, aber gleichzeitig müssen wir eine Eskalation vermeiden.“ Mit Eskalation ist ein Krieg zwischen Russland und Nato-Verbündeten gemeint. Zu den von Wissler geforderten sofortigen Verhandlungen sagte der Journalist allerdings: „Ich wüsste im Moment nicht, über was zu verhandeln wäre. Russland gibt die besetzten Gebiete nicht auf. Das kann die Ukraine nicht akzeptieren.“

Bundeswehr muss schnell nachrüsten

Bundeswehr-Professor Masala, der weitere Waffenlieferungen in die Ukraine derzeit als einzigen Weg sieht, gab gegen Ende der Sendung noch zu bedenken, dass sich Deutschland dringend um den eigenen Rüstungsbedarf kümmern müsse. „Wir brauchen Vereinbarungen, wie das Material, das die Bundeswehr abgibt, so schnell wie möglich wieder zur Bundeswehr kommt.“ Er meinte natürlich neues Material, das das abgegebene ersetzt. Das sei eine der dringendsten Aufgaben des neuen Verteidigungsministers.

Und Janine Wissler machte bei den ihr eigentlich nicht gerade wohlgesonnenen Diskussionspartnern noch einen Punkt, als sie Grünen-Politikern die „Banalisierung und Infantilisierung von Krieg“ vorwarf. Und zwar denjenigen, die unter Social-Media-Schlagworten wie „Free the Leopards“ und teilweise sogar mit Selfies im Leopardenoutfit die Lieferung tödlicher Kampfpanzer feierten. 

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