Annalena Baerbocks USA-Besuch - Zaungast der Großmächte

Außenministerin Annalena Baerbock, die heute nach Washington reist, wird dort zum letzten Mal Gelegenheit haben, auf die Position der USA in den Gesprächen mit Russland Einfluss zu nehmen. In Zukunft beraten die beiden Großmächte untereinander über die europäische Sicherheitsordnung. Die Bundesregierung wird dann nur noch informiert.

Die Außenminister Blinken und Baerbock bei ihrem letzten Treffen im Dezember / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Vom 4. bis 11. Februar 1945 verhandelten die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs über die Ausgestaltung der europäischen Sicherheitsordnung. Großbritannien nahm teil, jedoch hatten die USA die Führung des Westens im aufkommenden Ost-West-Konflikt schon übernommen. Ihnen stand die Sowjetunion gegenüber. 76 Jahre und elf Monate später, am 9. und 10. Januar 2022, werden erneut Russland und die USA zusammenkommen, um – diesmal in Genf und auf der Ebene von Delegationen – über die Ausgestaltung der europäischen Sicherheitsordnung zu beraten. Russland hat durch seine militärischen Drohungen gegenüber der Ukraine dieses Treffen erzwungen. Die europäischen Staaten werden lediglich später, im Rahmen von Nato und OSZE, die Ergebnisse der beiden Großmächte nachvollziehen können.

Die USA haben den europäischen Verbündeten zugesagt, dass nicht ohne diese über sie verhandelt wird. Das haben die USA auch der Ukraine zugesagt. Zu glauben, dass damit die europäischen Staaten den Verhandlungsspielraum der USA begrenzen könnten, ist eine hehre Hoffnung. Die USA, die sich seit zwei Jahrzehnten aus der Führungsrolle des Westens verabschieden, werden ihre eigenen Interessen höher bewerten als die Interessen Dritter. Das ist nicht verwunderlich, sondern erwartbar. In dieser Lage trifft die deutsche Außenministerin ihren amerikanischen Kollegen. Es wird die letzte Gelegenheit sein, auf die Formation der amerikanischen Ausgangsposition für die Gespräche mit Russland Einfluss nehmen zu können. Wenn die deutsche Außenministerin hinter verschlossenen Türen dasselbe sagt wie im öffentlichen Raum, wird das kräftig schiefgehen.

Nord Stream 2 und andere nationale Interessen

Zwar wird man in der amerikanischen Administration gerne hören, dass die Europäer, wie Baerbock formulierte, „keinen stärkeren Partner als die USA“ haben. Auch „dass wir an einem Strang ziehen, wenn es darauf ankommt“, wird wohlwollend registriert werden. Faktum aber ist, dass sich die Bundesregierungen seit Jahren so nicht verhalten haben und auch die neue Regierung nicht auf diese Linie orientiert ist. Das betrifft ihr Krisenhandeln von Libyen bis Iran, wo die Bundesregierungen wider amerikanische Politik handelten. Es umfasst programmatische außenpolitische und außenwirtschaftliche Orientierungen wie sie sich in der China- und Russlandpolitik manifestieren. Es schließt die ungenügenden Beiträge Deutschlands zur militärischen Handlungsfähigkeit der Nato ein. Deutschland zieht nicht immer am Strang des Westens oder der EU, sondern verfolgt nationale Interessen. Die anderen auch.

Gerade hinsichtlich des Umgangs mit der Eskalationsdrohung Russlands gegenüber der Ukraine zeigt sich das exemplarisch. In Parenthese: Russland behauptet, niemanden zu bedrohen, jedoch will Präsident Putin einen Angriff auf die Ukraine expressis verbis nicht ausschließen. Das ist, freundlich gewertet, ein paradoxes Argument. Die Bundesregierung hält auch in dieser Phase an Nord Stream 2 fest; es sei ein privatwirtschaftliches Vorhaben, das ganz ohne politische Einflussnahme nun seitens der zuständigen Behörden geprüft werde, meinte der Bundeskanzler. Ganz gleich, wie diese Pipeline energiepolitisch und geostrategisch beurteilt wird, dass sie amerikanischen und mehrheitlichen EU-Interessen widerspricht, steht außer Zweifel. Gehört ihre Aussetzung zu dem Preis, den die Außenministerin Russland androht, wenn sie sagt: „Das russische Handeln ist mit einem klaren Preisschild gekennzeichnet, der einzige Weg aus der Krise führt über Dialog“?

Die Drohung, Russland zu isolieren, ist keine

Diese Aussage ist Hybris und Realitätsverweigerung zugleich. Denn Deutschland kann Russland keinen Preis für eine Eskalation gegenüber der Ukraine nennen. Die Bundesregierung ist blank, wenn es darum geht, Russlands Verhalten beeinflussen zu wollen. Die Drohung, Russland politisch und wirtschaftlich zu isolieren, ist keine. Es ist politische Hilflosigkeit, die aus den mangelnden außenpolitischen Fähigkeiten des größten Staates der EU resultiert. Russland lässt sich seine geostrategischen Interessen nicht abkaufen – und das ist alles, was im Arsenal deutscher Außenpolitik hin und wieder wirkt. Die Realitätsverweigerung zeigte sich zuletzt in der allseitigen Betonung des Normandie-Formats (Russland, Ukraine, Frankreich, Deutschland), wodurch aus Selbsttäuschung die Scheinbühne aufrechterhalten wird, auf der Teile der deutschen Russlandpolitik aufgeführt werden sollen. Russland betritt diese Bühne schon lange nicht mehr. Zweckfrei, strategielos und nur auf Ruhigstellung bedacht handelten die Bundesregierungen. Die Staaten, die nun wirklich in einen Dialog treten, Russland und die USA, verfolgen hingegen aktiv geostrategische Interessen.

Adam Schiff, einflussreicher Politiker in der Demokratischen Partei und Vorsitzender des Intelligence-Ausschusses, sagte vor wenigen Tagen bei CBS News: „Ich denke, dass es enormer Sanktionen gegen Russland bedarf, um eine sehr wahrscheinliche erneute russische Invasion in der Ukraine zu verhindern. Ich denke, unsere Verbündeten müssen fest mit an Bord sein. Russland muss verstehen, dass wir uns in dieser Sache einig sind.“ Die deutsche Außenministerin wird möglicherweise beantworten müssen, was die Bundesregierung gegen eine – so Schiff – sehr wahrscheinliche erneute russische Invasion in der Ukraine unternehmen möchte. Denn gleichviel, ob diese Annahme stimmt, steht die Frage an: Hat sie eine Handlungsweise für Nord Stream 2 dabei, oder muss dafür Bundeskanzler Scholz kontaktiert werden? Außenminister Blinken wird eine Antwort erwarten.

„Dass sich die Stärke der transatlantischen Allianz“, wie Außenministerin Baerbock verlauten ließ, „nicht in Panzern und Raketen“ misst, werden die Regierungen in Washington und den osteuropäischen Staaten mit Erstaunen vernehmen. Denn die entstandene hochgefährliche Lage resultiert ja aus mangelnder Abschreckung, weil Russland kalkuliert, dass die USA nicht mehr mit letzter Konsequenz militärisch für Europa einstehen wollen und die Europäer es schlicht nicht können. Die deutsche Außenministerin wird abwarten müssen, was die handlungsfähigen Mächte USA und Russland ab Sonntag über die europäische Sicherheitsordnung miteinander besprechen. Man wird sie informieren.

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