Anklage gegen Donald Trump - Rechtsstaat oder Hexenjagd? 

Die Anklage gegen Ex-Präsident Donald Trump wegen einer Sache, die wie eine Petitesse erscheint, könnte den US-Republikanern am Ende zu einem Wahlsieg verhelfen - aber nicht unbedingt mit Trump als Präsident.

Donald Trump am Montag dieser Woche vor dem Trump Tower in New York / dpa
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Ronald D. Gerste ist Historiker, Publizist und Augenarzt. Er lebt in der Nähe von Washington, D.C.

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Donald Trump dürfte mit einer Mischung aus Neid und Verachtung auf Ulysses S. Grant blicken. Dieser sein Vorgänger im höchsten Staatsamt – der ehemalige Bürgerkriegsgeneral Grant regierte die USA von 1869 bis 1877 – wurde 1872 von einem Washingtoner Polizisten wegen zu schnellen Fahrens (mit einem Einspänner) festgenommen und auf eine Polizeistation gebracht. Dort nahm man seine Personalien auf und ließ ihn nach Zahlung einer Kaution von 20 Dollar wieder in Richtung Weißes Haus ziehen. Ein Prozess wurde Grant, der seine Schuld eingestand und die kurzzeitige Festnahme als korrekt bezeichnete, nicht gemacht, sodass die 20 Dollar im Besitz der chronisch klammen Washingtoner Stadtverwaltung verblieben. 

Die für Grants Präsidentschaft bedeutungslos gebliebene Episode gilt, wie es der New York Times-Kolumnist Nicholas Kristof formulierte, als „schöner Tribut an die Demokratie“. Sie wirkt wie eine fast märchenhaft klingende Bestätigung des Grundprinzips der amerikanischen Verfassung, wonach niemand, auch nicht der erste Mann im Staat, über dem Gesetz steht. Donald Trump hat schon während seiner Präsidentschaft eine Anklage gegen einen Amtsinhaber als Ding der Unmöglichkeit betrachtet. Jetzt, als erster wegen einer Straftat angeklagter Ex-Präsident, ist die Schnelligkeit und die Folgenlosigkeit, mit der Grant aus der Sache herauskam, für Trump ähnlich unverständlich wie der völlige Verzicht des Vorgängers, sich als Opfer einer politisch motivierten Vendetta zu porträtieren. 

Ausgeprägt polarisiert, wie die amerikanische Gesellschaft und die das jeweilige Segment versorgende Medienlandschaft – CNN, Washington Post, New York Times hier; Fox News und zahlreiche konservative Radio Hosts dort – heute sind, wird erbittert um die Deutungshoheit über die Anklage gegen Trump gerungen. Beim Rückblick auf die Chronologie der Präsidentschaft Trumps wird ein halbwegs neutraler Beobachter schnell auf ein Datum verweisen können, das legale Konsequenzen denkbar machen, nein, vielleicht gar erfordern würde: der 6. Januar 2021, der Sturm auf das Capitol, der Angriff auf die amerikanische Demokratie durch eine Menschenmenge, die sich von Trump inspiriert und aufgeputscht fühlte. Trumps Äußerungen zu jener Mittagsstunde wären würdiger Gegenstand von Zeugenaussagen, Expertenanalysen und Plädoyers – stets unter dem rechtsstaatlich so elementaren Grundsatz: presumed innocent until proven guilty.

Vielsagend erscheinen den Kritikern der Anklage der Ort und die Handelnden

Doch statt der Rolle Trumps bei diesem amerikanischen Trauma geht es im nun eröffneten Verfahren um Geldzahlungen an eine Pornodarstellerin und um die nicht ordnungsgemäße Verbuchung dieser Ausgaben. Das wirkt auch auf viele Demokraten und Trump-Gegner wie eine unwürdige Petitesse, die einen schalen Geschmack hinterlässt. Freilich trösten sich Befürworter des Verfahrens damit, dass zumindest ein Anfang gemacht und dass unabsehbar sei, was im Laufe des Prozesses noch alles an unwürdigen bis strafbaren Taten Trumps herauskommen mag.

 

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Denn es gibt ein Lehrbeispiel: das eiserne Beharren auf Investigation und das kontinuierliche Am-Leben-Erhalten des Themas vor allem durch Medien, die seit vielen Jahren eine tiefsitzende Aversion gegen Richard Nixon pflegten, hat einst den Kern des Watergate-Skandals ausgemacht. Die mehr als zwei Jahre zwischen dem Einbruch ins Wahlkampfhauptquartier der Demokraten und dem Rücktritt des 37. Präsidenten im August 1974, ein Feuerwerk von Sondersendungen und dicklettrigen Überschriften vor allem der Washington Post, waren auch die Saga einer verzweifelten Suche: Es war nicht eine Verbindung Nixons zu den Einbrechern, die es nicht gab, sondern der schließlich auf Tonbändern gefundene Beleg für den Versuch der Justizbehinderung, die Smoking Gun, die den Präsidenten stürzten. 

Die Erinnerung an Watergate macht einen Teil der Empörung auf Seiten der Republikaner und des konservativen Amerikas aus. Vielsagend erscheinen den Kritikern der Anklage der Ort und die Handelnden. New York City gilt ihnen – wie Chicago, wie Los Angeles – als korrupter linksliberaler Sumpf, in dem die Justiz gegen die Alltagskriminalität blind (vor allem farbenblind) ist, die Behörden und Politiker auf Kuschelkurs zu illegalen Einwanderern gehen, die Staatsanwaltschaften stramm auf Linie der Demokraten liegen und natürlich in ihrer personellen Besetzung Ausdruck der im linken Lager geheiligten Diversität sind. In der Tat ist es schwer vorstellbar, dass die Anklage in Trumps anderem Heimatstaat Florida zustande gekommen wäre, von Texas oder Nebraska ganz zu schweigen. 

Trump wird, wie immer das Urteil lauten mag, beschädigt aus dem Prozess hervorgehen

Die Staatsanwälte und Richter werden angesichts der Tatsache, dass sie wie unter dem Mikroskop von einer erregten Nation beobachtet werden, rechtsstaatliche Prinzipien akribisch beachten. Ein politischer Prozess ist es dennoch – er kann es nicht anders sein angesichts eines aktiven Präsidentschaftskandidaten: Trump ist einer von, Stand heute, vier Republikanern, die ihren Hut in den Ring geworfen haben, während auf demokratischer Seite die erneute Kandidatur von Joe Biden noch einer offiziellen Verkündung harrt. Republikanische Strategen gehen davon aus, dass das gern als Schauprozess oder als Hexenjagd bezeichnete Verfahren das konservative Wählersegment elektrisieren und motivieren wird. Das ist sehr wahrscheinlich – doch bedeutet ein Aufstand an der Wahlurne gegen als solche wahrgenommene linke Eliten nicht automatisch, dass Donald Trump der Profiteur davon sein wird.

Denn die verhältnismäßig unemotionale Begleitung des Procedere durch potenzielle innerparteiliche Widersacher Trumps wie Floridas Gouverneur Ron DeSantis markiert eine durchaus denkbare Konsequenz des Verfahrens für den Reigen der in wenigen Monaten beginnenden Vorwahlen und schließlich für die Wahl am 5. November 2024: eine hohe Wahlbeteiligung durch eher konservative Amerikaner und gar ein Sieg, aber nicht mit Trump auf dem Ticket.

Denn der 45. Präsident wird, wie immer das Urteil lauten mag, beschädigt aus dem Prozess hervorgehen – seine schnell aus seinem Umfeld kolportierte Überraschung und Konsternation über dessen Eröffnung mögen als Beleg dafür dienen, dass er nicht wirklich mit der Anklage gerechnet hat. So könnte die größte politische Show der westlichen Demokratien ohne Trump über die Bühne gehen. Und beim Blick ins Portemonnaie wird ihn Frustration überkommen: Ulysses S. Grant, der Gesetze brechende Raser von 1872, ziert noch heute den 50-Dollar-Schein. Eine Banknote mit Donald Trump – dies zumindest wird die Anklage von 2023 für immer verhindern. 

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