Abrüstung Nordkoreas - „Das könnte ein guter Deal sein“

Nobuo Tanaka, ein bestens vernetzter japanischer Wirtschaftswissenschaftler, hat einen unerhörten Plan: Japan soll Nordkorea nuklearen Brennstoff abkaufen, den Staat dadurch abrüsten und das Plutonium in heimischen Atomkraftwerken verwenden. Die größte Hürde ist die internationale Politik.

Vielleicht bald ein Bild der Vergangenheit: Kim Jong-un bei einem Raketentest / dpa
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Felix Lill ist als Journalist und Autor spezialisiert auf Ostasien.

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„Warum denn nicht?“, fragt Nobuo Tanaka und zieht seine Augenbrauen weit über die Ränder seiner Brille. Als wüsste er, dass ihm niemand grundsätzlich widersprechen könnte, schiebt der 72-Jährige lächelnd hinterher: „Wir wollen doch alle, dass die Welt sicherer wird.“ Deshalb müsse man dringend aufeinander zugehen. „Unsere Diplomatie sollten wir rekonfigurieren.“ Mit Nordkorea sei Verständigung nötig. Und ohne es direkt auszusprechen, sagt dieser freundliche ältere Herr unmissverständlich: Kaum einem Staat könnte dies eher gelingen als Japan.

Wer mit Nobuo Tanaka über die Möglichkeit eines friedlicheren Planeten spricht, gerät früher oder später ins Staunen. In seinem Büro im Zentrum Tokios, ausgestattet mit bequemen Sofas, großen Fenstern und einer französischen Espressomaschine, erzählt dieser hochdekorierte Funktionär frei von politischen Zwängen. Da ist nicht nur das Festhalten an der Atomkraft, unbeirrt vom Atom-Gau von Fukushima. Tanaka hat noch eine kontroversere Idee, mit der er seit einiger Zeit in Regierungskreisen hausiert.

„Nordkoreas Waffenpotenzial ließe sich doch reduzieren, indem Japan deren Plutonium verwendet“, holt Tanaka aus. „Im Gegenzug müsste sich Japan wiederum verpflichten, daraus keine Atomwaffen zu bauen.“ Stattdessen könnten die moderneren Atomreaktoren in Japan das Plutonium als Energiequelle zur Stromproduktion nutzen. „Das könnte ein guter Deal sein“, glaubt Tanaka. Und wäre der Abnahmepreis für den radioaktiven Stoff nur großzügig genug, könnte Nordkorea, wo laut UN-Schätzungen 40 Prozent der Menschen unterernährt sind, so ein Angebot womöglich schwer ablehnen.

Schwerter zu Pflugscharen?

Würde solch ein Deal tatsächlich gelingen, wäre es eine diplomatische Sensation. Seit Jahren hält der international isolierte Einparteienstaat Nordkorea die Welt in Atem, wenn er dem verfeindeten Südkorea sowie den USA mit Waffentests droht. Über die vergangenen Wochen ließ Staatschef Kim Jong-un wieder in rekordartiger Häufigkeit Raketen in die Luft jagen, überflog damit Anfang Oktober sogar japanisches Territorium. Im September erklärte sich Pjöngjang außerdem per Gesetz zum Atomwaffenstaat.

Der Vorschlag Nobuo Tanakas, Nordkorea den Sprengstoff einfach abzukaufen, um ihn dann in Japan zivil zu verwenden, wirkt beim ersten Hinhören so pragmatisch wie naiv. Allerdings haben wenige Personen so viel Erfahrung wie er, wenn es um die Verzahnungen von Energie, Politik und Diplomatie geht. Der Mann, der fünf Jahre nach den Atombomben über Hiroshima und Nagasaki nahe Tokio zur Welt kam, hat jahrzehntelang für Japans Wirtschaftsministerium gearbeitet und sein Land mehrfach bei internationalen Verhandlungen vertreten.

So erfuhr Tanaka, der von 2007 bis 2011 auch die Internationale Energieagentur führte, immer wieder aus erster Hand, wie Japan seit der Nachkriegszeit für Pazifismus und nukleare Abrüstung steht. Neben seiner Beratertätigkeit leitet Nobuo Tanaka heute den einflussreichen Thinktank Sasakawa Peace Foundation und das Innovation for Cool Earth Forum, wo sich Politiker, Wissenschaftler und Unternehmensvertreter austauschen. „Wenn ich mit den Leuten privat spreche, gibt es viel Zuspruch“, berichtet Tanaka. Nur öffentlich will sich noch niemand positionieren.

Geduld ist gefragt

Bisher lag das vor allem am in den Augen von Kritikern sinistren Hintergedanken. „Auf diese Weise könnten wir in Japan die Kernkraft stärken“, gibt Tanaka unverhohlen zu. Nach dem Atom-Gau von Fukushima im Jahr 2011 war aber stets die Mehrheit der Bevölkerung gegen die weitere Nutzung der Atomenergie. Einen schrittweisen Wiedereinstieg beschloss die Regierung gegen großen Widerstand. In dieser Sache sieht es seit Beginn des Ukrainekriegs, durch den Rohstoffe überall teurer geworden sind, anders aus. Erstmals ist eine knappe Mehrheit der Japaner wieder für die Atomkraft.

Eine derzeit höhere Hürde ist die internationale Politik. Nordkorea ist mit harten UN-Sanktionen belegt. Ein Atomdeal mit Pjöngjang bedürfte zuerst der Zustimmung der USA, dem wichtigsten Sicherheitspartner Japans. Vor allem aber müsste der Diktator Kim Jong-un gesprächsbereit sein, was mit dem Ukrainekrieg erst mal nicht wahrscheinlicher geworden ist – denn derzeit sucht auch Wladimir Putin die Nähe zu Nordkorea. „Im Moment stehen die Chancen nicht gut“, gibt Nobuo Tanaka zu, „es gibt kaum Fortschritt.“

Aber als langgedienter Politikprofi weiß er, dass die Zeit einer originellen Idee, die anfangs viele für abwegig halten, früher oder später kommen kann. „Ich werde meinen Vorschlag weiter unter die Leute bringen“, sagt Nobuo Tanaka und zieht die Augenbrauen wieder hoch. Gerade mit Nordkorea kamen Annäherungen über die vorigen Jahrzehnte oft dann, wenn es kaum jemand erwartete.

 

Dieser Text stammt aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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