Abhörskandal in der Bundeswehr - „Putin kann mit der Wahrheit Punkte machen”

Die Veröffentlichung des abgehörten Gesprächs der Luftwaffen-Generäle über den Taurus-Flugkörper für die Ukraine ist Teil russischer hybrider Kriegsführung. Wichtiger als der Taurus wäre für die Ukrainer eine andere Hilfe, sagt Militärexperte Ralph Thiele.

Eurofighter mit zwei Taurus-Marschlugkörpern / picture alliance
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Oberst a. D. Ralph Thiele ist Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft in Berlin. Er diente unter anderem im Planungsstab des Verteidi­gungsministers, im Private Office des Nato-Oberbefehlshabers sowie als Direktor an der Führungsakademie der Bundeswehr. Thiele ist Herausgeber des Buches „Hybrid Warfare“ ( 2021 ).

Herr Thiele, nun kann also nicht nur der russische Geheimdienst mithören, wie sich die höchsten Offiziere der deutschen Luftwaffe, darunter ihr Inspekteur Generalleutnant Ingo Gerhartz, unterhalten, sondern jeder im Internet. Die Software, über die die Konferenz der Offiziere nach russischen Angaben am 19. Februar stattgefunden hat, heißt Webex. Die wird offenbar in vielen Ministerien und Bundesbehörden eingesetzt, auch wenn über Verschlusssachen gesprochen wird. Haben die Offiziere also rein formal vielleicht gar nicht so viel falsch gemacht?

Dieses Webex ist in der Bundeswehr zertifiziert für den Geheimhaltungsgrad „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch”, das ist das alltägliche Geschäft für den quasi-offenen Umgang, aber nicht für eingestufte Gespräche. Richtig eingestufte – also vertrauliche oder geheime – Inhalte wären zum Beispiel Zieldaten für Waffensysteme à la Taurus oder technische Details von besonderer Bedeutung. Dafür ist Webex nicht geeignet. Es ist nur minimal geschützt.

Ich selbst habe in meiner aktiven Dienstzeit als Offizier – mit Ausnahme in nuklearen Einheiten  – nie über hochgradig sichere Kommunikationsmittel verfügt. Die Kommunikationsmittel sind auch auf Bundesebene heute nicht so ausgelegt, dass man über wirklich geheime Vorgänge sicher sprechen kann.

Zuständig ist übrigens das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das ist eine Behörde, die nicht dem Verteidigungs-, sondern dem Innenministerium unterstellt ist. Die hybride Kriegführung, um die es in diesem Fall geht, liegt also im Ressort von Nancy Faeser. Viele aktionistischen Forderungen, zum Beispiel nach einem Untersuchungsausschuss im Verteidigungsausschuss des Bundestags, gehen also ein wenig am Thema vorbei.

Waren Deutschlands Luftwaffengenerale also naiv, sich über einen solchen Kanal über eine derart militärisch und politisch brisante Frage wie den Marschflugkörper Taurus und seinen möglichen Einsatz durch die Ukraine zu unterhalten?

Dienstgrade aller Ebenen müssen eben mit dieser Mangelsituation der Kommunikationsmittel umgehen. Und da könnte man schon sagen, dass die Beteiligten in diesem Fall die Brisanz nicht genug bedacht haben. Denn einige der Themen, die sie besprachen, unterliegen bestimmt höheren Sicherheitseinstufungen. Und vor allem haben sie eine politische Brisanz dadurch, dass es ja darum ging, wie der Verteidigungsminister gebrieft werden sollte. Das Problem bleibt allerdings: Wie sollen denn die Leute miteinander kommunizieren, wenn der Bund ihnen die Mittel dazu nicht gibt?

Ganz naiver Vorschlag: Indem man wirklich wichtige Dinge nicht über irgendwelche Drähte bespricht, sondern von Angesicht zu Angesicht.

Aber das geht eben nicht immer. Denken Sie alleine daran, dass die Bundesregierung auf Berlin und Bonn verteilt ist und die Dienststellen quer durch die Politik und zum Teil auch in anderen Ländern. Das ist ein strukturelles Problem: Es wird im Grunde davon ausgegangen, dass die Beamten und Offiziere Sicherheitsvorschriften biegen oder sogar brechen, um vernünftig miteinander arbeiten zu können. Das heißt natürlich nicht, dass die Generäle nicht trotzdem etwas falsch gemacht haben. Dafür werden sie nun zur Rechenschaft gezogen werden.

Vermuten Sie, dass der Inspekteur der Luftwaffe abgesetzt wird?

Nicht unbedingt. Das ist eine Frage der politischen Opportunität. Verteidigungsminister Pistorius hat sich ja, das ist sehr bemerkenswert, vor die Leute gestellt.

Immerhin hatte der Inspekteur in dem Gespräch ja auch gesagt: „Unser Minister ist ein total cooler Typ im Umgang, nicht so wie die Modelle davor.” Aber im Ernst: Es gibt zwei Fragekomplexe, erstens, warum die Russen das Gespräch nun gerade jetzt öffentlich machen, und zweitens wie die konkreten sachlichen Aussagen der deutschen Offiziere zu bewerten sind. Die erste Frage zuerst: Hat die Veröffentlichung etwas mit dem Tod des Kreml-Gegners Nawalny oder mit den neusten Aufdeckungen in der Affäre WireCard/Marsalek zu tun?

Von Nawalny und Marsalek abzulenken, spielt nur eine untergeordnete Rolle. Wer sich mit hybrider Kriegsführung auskennt, weiß, dass oft nichts so ist, wie es scheint. Der Anschein ist, dass die Russen gelauscht und das dann geleakt haben. Es kann aber durchaus auch sein, dass es andere waren, die gelauscht und diese Kommunikation weitergegeben haben.

Ich behaupte nicht, dass es so war. Aber im hybriden Krieg ist die Regel, dass man Verantwortlichkeiten nicht übernimmt, sondern auf andere schiebt, und dass man über Stellvertreter agiert. Deswegen ist für mich erstmal Vorsicht geboten. Und es gilt stets die alte römische Frage: Cui bono? Wem nützt es?

Da gäbe es natürlich auch westliche Interessenten, die gerne sehen würden, dass wir den Taurus liefern. Außerdem werden in dem Gespräch ja auch Geheimnisse verraten, die der Kanzler schon öffentlich gemacht hat, nämlich, dass die Briten und Franzosen Leute vor Ort in der Ukraine haben. Das ist für die außerordentlich unangenehm, weil das natürlich beide Regierungen eigentlich nicht gerne mitteilen wollen. Es gibt da also alle möglichen Interessen.

Am Ende des Tages ist das für Putins hybride Kriegsführung und ihr Ziel der Diskreditierung von Regierungen und Zersetzung von Gesellschaften jedenfalls günstig. Es gab ja ohnehin schon den Streit durch Macrons Aussage zum Einsatz von Truppen in der Ukraine. Putin kann nun Öl ins Feuer gießen.

Also ging es beim Leaken vor allem darum, den Kanzler bloß zu stellen?

Ja, Putin kann mit der Wahrheit Punkte machen, indem das, was der Kanzler behauptet hat, als Lüge dargestellt werden kann, auch, wenn es tatsächlich keine ist, weil er geheime, technische, rechtliche und politische Zusammenhänge im Verbund betrachten muss. Nämlich, dass für Taurus deutsche Soldaten in die Ukraine gehen müssten. Aber es ist auch eine Bloßstellung des gesamten europäisch-westlichen Systems, das sich ja zusammenraufen muss, um der Ukraine zu helfen. Wir merken gerade, dass diese Hilfe nicht reicht. Wir müssen jetzt mehr Hilfe geben. In dieser Lage eine Zerrüttung der Partner und auch unserer Regierung hinzubekommen, ist natürlich nützlich für die russische Seite. Also eine konzertierte Aktion des Westens zu verhindern.

 

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Das heißt, der Nutzen dieses Abhörens besteht nicht in den konkreten Informationen aus dem Gespräch der deutschen Offiziere, sondern in dem Signal, das davon ausgeht.

Die prozeduralen Dinge zum Marschflugkörper Taurus, die die Offiziere besprochen haben, haben vermutlich keinen wirklichen Neuigkeitswert für Insider. Nur für die Nicht-Experten.

In dem Gespräch ist auch die Rede über „Leute, die da rumlaufen mit amerikanischem Akzent in Zivil-Klamotten”, eine Anspielung auf amerikanische Geheimdienstmitarbeiter in der Ukraine.

Keine wirkliche Neuigkeit. Es gibt auch die sogenannten Kontrakteure. Das sind aus dem Dienst entlassene oder ausgeschiedene Ex-Soldaten, zum Teil auch Nachrichtendienstler und Spezialkräfte in kleinen Gebinden.

Also gewinnt das russische Militär durch dieses abgehörte und veröffentlichte Gespräch keine wirklich neuen Erkenntnisse, die für die Kriegsführung bedeutsam wären?

Wohl kaum, es ist eher eine Bestätigung. Die Wege der Briten und Franzosen, die hier ja auch belegt werden, dürften den Russen im Prinzip bekannt sein. Es ist sozusagen nochmal eine höhere Bestätigung.

Der Laie erfährt in dem Gespräch, dass offenbar der deutsche Taurus im Gegensatz zu britischen und französichen Flugkörpern geeignet ist, um die große Brücke über die Meerenge von Kertsch anzugreifen, die für die Versorgung der von Russland annektierten Krim wichtig ist.

Taurus hat eine neue Qualität in der Sprengkraft, in der Genauigkeit und auch in der Reichweite, die unsere Hilfe von allen anderen unterscheiden würde – wobei die Amerikaner natürlich noch alle möglichen anderen Systeme hätten. Der Kanzler wird eigentlich von innen, von Opposition und von Teilen der Regierung genötigt, etwas Neuartiges an die Ukraine zu geben, das eine neue Qualität in den Krieg bringt, aber die Ukraine trotzdem nicht rettet, wie auch die Offiziere in dem abgehörten Gespräch sagen.

Ich kann gut nachvollziehen, dass der Kanzler das nicht will. Ich würde es an seiner Stelle auch nicht wollen. Er möchte ja dazu beitragen, dass sich die Ukraine gut verteidigen kann, aber nicht neue Qualitäten in die Kriegsführung einbringen.

Wäre anderes also wichtiger?

Der große Mangel, der auch zu den ukrainischen Verlusten beiträgt, ist der Mangel an Artillerie-Munition. Unsere Regierung hat es versäumt, rechtzeitig entsprechende Bestellungen bei der Industrie zu machen. Deswegen sterben mehr Ukrainer. Und der Taurus rettet sie nicht. Die Munition rettet sie. Den ukrainischen Soldaten an der Front wäre jetzt mit Muniton für den Raketenwerfer Mars und weiteren Mars-Systemen geholfen. Da könnten wir jetzt nachliefern. Das ist vermutlich auch mit den „weitreichenden Waffensystemen” im jüngsten Bundestagsantrag gemeint.

Wenn wir schon bei Waffensystemen sind, die vermeintlich den Ausschlag geben. Der Leopard-Panzer, angeblich der beste Kampfpanzer der Welt, hat den Ukrainern offenbar nicht den Sieg auf dem Schlachtfeld gebracht. Aber in Deutschland wurde lange darüber gestritten, ähnlich wie jetzt über Taurus.

Unsere heißen Debatten legen alle möglichen Mängel offen. Aber sie helfen der Ukraine nur bedingt. Jedes Waffensystem funktioniert nur, wenn das gesamte System drumherum funktioniert. Beim Leo war klar, dass es nicht gut geht, wenn die Instandsetzung tausend Kilometer von der Front in Polen oder der Slowakei sitzt. Außerdem kämpft ein Panzer nicht allein, sondern in der Kombination mit Infanteristen, mit Kampfhubschraubern und Artillerie. Die müssen alle orchestriert zusammenwirken.

Also ist die ukrainische Armee nicht gut aufgestellt für solche komplexen Waffensysteme?

Eigentlich war es fahrlässig vom Westen, die Ukrainer damals im Frühjahr 2022 während der Verhandlungen in der Türkei zu bewegen, diese Verhandlungen aufzugeben und einen langen Krieg zu führen. Die westlichen Streitkräfte, die sie unterstützen, sind schließlich alle auf Kante genäht. Auch die Briten haben den niedrigsten Truppenstand seit Jahrhunderten, und auch die technische Ausrüstung vieler europäischer Streitkräfte ist zum Teil überaltert. Die Rüstungsindustrien verkaufen ihre besten Produkte oft ans außereuropäische Ausland. Die Golfstaaten haben bessere französische Flugzeuge als Frankreich selbst.

Wir sind eben nicht in einem Zustand, dass wir die Ukrainer aus dem Stand mit allem ausrüsten und an allem ausbilden könnten. Stattdessen wird immer wieder eine neue Sau durchs Dorf getrieben, zur Zeit eben der Taurus. Damals, während der Verhandlungen, gab es die große Chance, einen Waffenstillstand auszuhandeln und Zeit zu gewinnen, den Zustand der ukrainischen Armee systematisch zu verbessern.

Wie ist denn Ihre Prognose zum Kriegsausgang? Man hört gerade in diesen Tagen von vermehrten Angriffen der Russen an mehreren Stellen vor allem im mittleren Frontabschnitt im Raum Donezk.

Die Ukrainer melden immer mal wieder spektakuläre Einzelerfolge, wenn sie ein Flugzeug abschießen, Depots zerstören oder ein Schiff versenken. Aber das täuscht leider nur darüber hinweg, dass große Gefahr besteht, dass die Front bricht. Auch unsere Erfolgsnachrichten über Munitionslieferungen reichen ja alle noch viele Wochen in die Zukunft. Die armen ukrainischen Soldaten an der Front verbluten aber jetzt. 

Das Gespräch führte Ferdinand Knauß.

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