Härte, Diplomatie und das Florianiprinzip - Wie Österreichs Innenminister die Zahl der Asylanträge senkt

Der österreichische Weg ist kein leichter: Enge Abstimmung mit Asylherkunftsländern, umstrittene Hilfe für Transitländer und eine harte Nadelstich-Politik gegen Schlepper.

Gerhard Karner (ÖVP), Innenminister der Republik Österreich / picture alliance
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Rainer Nowak ist Journalist und war zuletzt Chefredakteur der österreichischen Tageszeitung Die Presse. Foto: Launchy (Nowak)

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Gerhard Karner kann oder will dem „Erfolg“ noch nicht ganz trauen. In Österreich sinken im Gegensatz zu fast allen Nachbarländern 2023 die Zahl der Asylanträge. Der Innenminister, sonst nie um starke Worte verlegen, bleibt aber vorsichtig. Während deutsche Medien von einer Asylwende im Nachbarland schreiben, sieht Karner zwar eine positive Bilanz, „aber keinen Grund zum Jubeln, sondern ein Auftrag, hart in dieser Richtung weiterzuarbeiten.“

Eine Zahl ist in Österreich besonders bemerkenswert. Immerhin 5.900 freiwillige und zwangsweise Außerlandesbringungen, so die offizielle und harmlosere Bezeichnung für Abschiebungen, haben im ersten Halbjahr in Österreich stattgefunden. Das entspricht einer Steigerung von 20 Prozent zum Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das bringt für das Land eine Premiere: „Im ersten Halbjahr haben mehr Asylantragsteller Österreich verlassen, als neue Asylanträge gestellt wurden", formuliert es Karner.

Neben den Außerlandesbringungen haben sich rund 18.500 Personen laut Innenministerium bis Ende Juni dem Asylverfahren entzogen, indem sie das Land wieder verließen. Soll heißen: Sie reisten in ein anderes EU-Land wie Deutschland weiter. Die Zahl der Asylanträge ist in Österreich jedenfalls rückläufig. Im Juni suchten 5.002 Menschen in Österreich um Asyl an. Das entspricht einem Rückgang um fast 50 Prozent gegenüber dem Juni des Vorjahres, als 9.733 Asylanträge gestellt wurden. Der rückläufige Trend zeigt sich auch in den Zahlen für das gesamte erste Halbjahr: Von Jänner bis Juni beantragten laut Innenministerium 22.990 Menschen Asyl. Im ersten Halbjahr 2022 waren es noch 32.351. Das entspricht einem Rückgang um 29 Prozent.

Intensive Asyldiplomatie

In Deutschland ist die Situation ganz anders: In der ersten Jahreshälfte haben deutlich mehr Menschen Asyl beantragt als im selben Zeitraum vorigen Jahres. In den ersten sechs Monaten des Jahres seien 150.166 Erstanträge auf Asyl eingegangen, teilte das Bundesamt für Asyl und Migration in Nürnberg in seiner aktuellen Asylgeschäftsstatistik mit. Im ersten Halbjahr 2022 waren es 84.583 gewesen. Das bedeute einen Anstieg um 77,5 Prozent. (11.860 Anträge betrafen allerdings Kinder, die in Deutschland zur Welt
kamen und noch kein Jahr alt sind.) Und: Pro Einwohner sind es in Österreich dennoch weiterhin mehr Asylanträge als in Deutschland.

Wie so oft sind die Gründe für diese Entwicklung in Österreich vielfältig und teilweise umstritten. Ein Grund ist die intensive Asyldiplomatie Österreichs. So bemühten sich nicht nur der Innenminister, sondern auch Kanzler Karl Nehammer bei einem Staatsbesuch in Marokko um Unterstützung, Bürger, denen kein Asyl gewährt wurde, zurückzunehmen. Zusätzlich ist es notwendig auf Beamtenebene mit allen möglichen Flüchtlingsherkunftsländern für Rückführungen und Innenressorts der anderen EU-Länder ständig in Kontakt zu bleiben und für konstruktive Stimmung zu sorgen. Das galt auch für Überzeugungsarbeit in Belgrad. Serbien hob die Visafreiheit für indische Bürger wieder auf, das half. Somit ist der Weg für Inder auf dem Weg in eine vermeintlich bessere Welt wieder länger und beschwerlicher geworden.

 

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Hilfreich war es auch, die Asylverfahren zu beschleunigen: 42.000 Asylentscheidungen gab es im ersten Halbjahr, das bedeutet eine Steigerung um fast 60 Prozent gegenüber den ersten sechs Monaten des Vorjahr. Insgesamt sind 4.360 sogenannte Schnell- und Eilverfahren durchgeführt worden für Personen, die kaum Chancen auf Asyl haben. Daran entzündet sich Kritik, Gegner des Vorgehens sprechen von unfairen und rechtsstaatlichen fragwürdigen Verfahren. Noch stärker ist der Widerstand gegen die vielkritisierte „Operation Fox“: Österreichische Polizisten helfen direkt an der serbisch-ungarischen Grenze mit, Asylbewerber abzuweisen. Dabei käme es immer wieder zu illegalen Pushbacks, wie zahlreiche NGO-Vertreter behaupten.

Karner spricht von „normalen Zurückweisungen“ wie an anderen Grenzen auch. Anders sieht dies etwa Christoph Riedl von der christlichen Diakonie: „Ein illegaler Pushback liegt dann vor, wenn schutzsuchenden Menschen die Stellung eines Asylantrages verweigert wird." Karner ficht das nicht an: Rund 70 Schlepper konnten in Ungarn im ersten Halbjahr dieses Jahres festgenommen werden, sagt er. Das ist vielleicht der zentrale Punkt in der österreichischen Strategie wie er Cicero im Gespräch sagt: Den Schleppern das Leben und Vorgehen so riskant und unangenehm wie möglich zu machen. Das bedeutet zugegebenermaßen, dass sich die Schlepperrouten durch die von Österreich gesetzten Maßnahmen nur verlagern.

Andere EU-Länder verzeichnen wie beschrieben steigende Asylzahlen. In Österreich kennt man dies als Floriani-Prinzip: „Heiliger Sankt Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an!“ Die englischsprachige Entsprechung lautet Nimby, das Akronym für „Not in my backyard“ (übersetzt: nicht in meinem Hinterhof).

Apropos scharfe Kritik an Karner: Die musste er vergangenes Jahr auch einstecken als er bei steigenden Zahlen von Asylbewerbern mangels zur Verfügung gestellten Quartieren die Neuankömmlinge in Zelten unterbringen ließ. Er argumentierte dies mit der Notsituation, seine Gegner warfen ihm vor, absichtlich abschreckende Bilder für potenzielle neue Asylbewerber schaffen zu wollen. Wirklich bestreiten kann er das auch nicht. Zynischer Weise könnte das sogar auch Mitgrund für den Rückgang bei den Zahlen sein.

„Wir müssen nämlich intensiv auf die Asylbremse steigen“

Für Österreich und für Europa wird das Problem jedenfalls nicht kleiner: Laut EU-Grenzschutzagentur wurden EU-weit im ersten Halbjahr um zehn Prozent mehr irreguläre Grenzübertritte registriert.  Die Zahl der irregulären Grenzübertritte an den EU-Außengrenzen ist in den ersten sieben Monaten dieses Jahres auf 176.100 gestiegen, wodurch ein Wachstum von 13 Prozent verbucht wird. Dies stelle nach vorläufigen Berechnungen den höchsten Wert für das erste Halbjahr seit 2016 dar, gab die EU-Grenzbehörde Frontex am Freitag bekannt. Mehr als die Hälfte der verzeichneten irregulären Grenzübertritte erfolgen demnach auf der Migrationsroute über das zentrale Mittelmeer. Diese
Flüchtlinge bleiben laut Einschätzung des Innenministeriums in Wien entweder in Italien oder reisen nach Frankreich, Spanien und Portugal weiter, um dort (illegal) arbeiten zu können. Das wäre in Österreich schlichtweg nicht möglich.

Innenminister Karner fordert einmal mehr ein Umdenken auf europäischer Ebene und die Umsetzung der EU- Asylreform sowie Investitionen in den EU-Außengrenzschutz. Die hat Österreich zumindest an der eigenen Grenze getätigt: Neue Herzschlagdetektoren kommen an neuralgischen Grenzübergängen zum Einsatz, um versteckte Menschen in Lkws und Pkws zu finden. Die mit einem Bildschirm verbundenen und am Lkw angebrachten Sensoren sollen innerhalb von zwei bis drei Minuten anzeigen, ob sich Menschen im Fahrzeug befänden. Angeschafft wurden sieben zusätzliche Wärmebildfahrzeuge sowie 50 Drohnen, die die Flotte auf 350 Stück anwachsen lassen. „Wir müssen nämlich intensiv auf die Asylbremse steigen“, formuliert es der Minister. Wie immer markig und mit klarer Mission.

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