Wirtschaftsweise Veronika Grimm - Ökonomin voller Energie

Als jüngstes Mitglied der Wirtschaftsweisen könnte Veronika Grimm bald an die Spitze des Beratergremiums rücken. Ihr Pragmatismus kommt ihr dabei zupass.

Veronica Grimm könnte schon bald Vorsitzende der Wirtschaftsweisen sein / Sebastian Lock
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Normalerweise kommen die Wirtschaftsweisen genau einmal im Jahr in die Schlagzeilen. Nämlich Mitte November, wenn sie der Bundesregierung ihr Gutachten schicken. Doch im Frühjahr war das fünfköpfige Gremium, das sich korrekt Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nennt und eigentlich ein Inbegriff der Seriosität ist, plötzlich Gegenstand eines handfesten Koalitionsstreits.

Es ging um den Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld. Die SPD wollte dessen Amtszeit nicht verlängern, offenbar vor allem deshalb, weil Feld als der strammste Marktwirtschaftler unter den Weisen galt und sich vehement gegen eine Lockerung der Schuldenbremse gewehrt hätte. Weil die Regierung die Mitglieder des Gremiums ernennt und jede Personalentscheidung einstimmig fallen muss, war es das für Feld. Auf einen Nachfolger wollten sich die Koalitionäre kurz vor der Bundestagswahl auch nicht einigen – und so waren’s nur noch vier Weise.

Chefsessel ist vakant

Die jüngste ist Veronika Grimm, erst vor einem Jahr kam sie gemeinsam mit Monika Schnitzer neu in das Gremium. Aber nicht wenige trauen der 49-Jährigen zu, Felds Spitzenposten zu übernehmen. Sie selbst will sich dazu nicht äußern. Aber es spricht einiges dafür.

Zunächst: Eine Frau an der gefühlten Spitze der Ökonomie, traditionell eher ein Männerklub – das wäre ein klares Signal der Gleichberechtigung. Vielleicht aber noch wichtiger: Im ewigen Streit der Marktliberalen und der stärker auf staatlichen Einfluss setzenden Keynesianer ist die Volkswirtschaftsprofessorin aus Nürnberg nicht eindeutig zu verorten. Ihr Kollege Volker Wieland etwa, dem als dienstältesten Weisen große Ambitionen nachgesagt werden, argumentiert ähnlich wie Feld – für Koalitionspartner links der CDU/CSU ist das ein Problem. Im Gegenzug würde die Union kaum Achim Truger nach vorn lassen, der momentan den von den Gewerkschaften besetzten Posten einnimmt. Und: Veronika Grimm gilt als Expertin für erneuerbare Energien. Das macht sie für die Grünen, die wahrscheinlich an der kommenden Regierung beteiligt sein werden, attraktiv. 

Im Dienste der Klima-Ökonomie

In Nürnberg forscht sie als Vorsitzende des Energie-Campus gemeinsam mit Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen an alternativen Energiequellen. Da tauscht sie sich mit Ingenieuren über technische Möglichkeiten aus und analysiert die ökonomische Machbarkeit. „Eine Schlüsselrolle“ spielt für sie grüner, also klimaneutraler Wasserstoff. Dass sie darüber schon sprach, bevor es viele andere taten, etwa im Wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums, fiel der Politik offenbar auf. Die schwarz-rote Koalition entsandte Grimm zu den Wirtschaftsweisen mit dem nicht offiziellen, aber implizierten Auftrag, die Energiewende wissenschaftlich zu begleiten. 

Ihre Berufung kam deshalb nicht überraschend, auch wenn andere Ökonomen in der Öffentlichkeit bekannter gewesen sein mögen. Als Sprachrohr der Politik sieht Grimm sich aber nicht. Die Strompreisumlage des Erneuerbare-Energien-­Gesetzes (EEG) etwa sieht sie kritisch. „Das macht den Strom viel zu teuer“, sagt sie. „Die Subventionen für Strom aus Windkraft und Solarzellen machen einen großen Teil des Strompreises aus, und das erweist uns einen Bärendienst, weil es die Industrie und die Haushalte daran hindert, sich zu dekarbonisieren.“ 

Die Praxis immer im Blick

Aber mit Meckerei hält sich Veronika Grimm nicht lange auf. Ihr ökonomisches Verständnis verbindet traditionelle ordnungspolitische Positionen mit einem starken Augenmerk auf Themen rund um Ungleichheit und Bildung. Die Ökonomie muss vor allem dem Menschen nützen, sagt sie, und zwar allen. 

In der Klimapolitik zeigt sie einen ausgeprägten Pragmatismus. Ideologie helfe da wenig, so Grimm. Man müsse sich arrangieren und einen Weg finden, der die Interessen der Politik und der Wirtschaft vereint. Allein staatliche Investitionen könnten nicht ausreichen, da seien die Volumina, um die es geht, viel zu groß. „Die Unternehmen investieren nicht in Wasserstofftankstellen, weil der Staat es möchte, sondern weil es ein Zukunftsmarkt ist.“ Auch dürfe bei aller Dringlichkeit der Maßnahmen nicht vergessen werden, die Menschen mitzunehmen. „Wenn ihre Arbeitsplätze in Gefahr sind wegen des Klimaschutzes, dann ist die Akzeptanz ganz schnell weg.“

Kühl analysierend spricht Grimm auch über den Abgang von Lars Feld. Den findet sie „schade“, denn sie würde Feld „fachlich und auch menschlich“ sehr schätzen. Verbittert aber sei sie nicht. „So sind nun einmal die Regeln, daher  nehme ich das sportlich.“ Diese Worte bekommen noch mehr Gewicht, wenn man weiß, dass die dreifache Mutter auch die Fußballmannschaft ihrer Tochter trainiert.

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.
 

 

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