Wirtschaftspolitik der Ampel - Die Zins-Party ist vorbei

Galoppierende Inflation und steigende Zinsen seit Beginn des Ukraine-Kriegs treiben Finanzminister Lindner zum Kurswechsel. Zu lange wurden in diesem Land Probleme mit Geld zugekleistert.

Finanzminister Christian Lindner bei seiner Vereidigung im Dezember 2021 / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Seit seinem Amtsantritt war es politisch einigermaßen still geworden um Finanzminister Christian Lindner (FDP). Von dem Anspruch, die bürgerliche Stimme gegen ausufernde Ausgabenprogramme des Staates in der Ampel-Koalition zu sein, war lange Zeit nichts zu spüren.

Mit der Ukraine-Krise aber scheint sich das Blatt zu wenden. Es ist die brutale Realität und offenbar weniger die eigene politische Überzeugung, die den Finanzminister zum Handeln treibt. Galoppierende Inflation und steigende Zinsen zwingen ihn zum Kurswechsel.

Der Staat profitiert von der Inflation

Dabei wirkt sich die Inflation zunächst äußerst positiv auf die Einnahmen des Bundes, der Länder und Gemeinden aus. Allein bei der Umsatzsteuer kam es zwischen Januar und März 2022 gegenüber dem Vorjahr zu einem Zuwachs um sagenhafte 34,3 Prozent. Insgesamt nahm das Steueraufkommen des Staates im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 18 Prozent zu.

Zur Wahrung des sozialen Friedens hat der Staat allerdings viele Maßnahmen ergriffen, um die Bürger zu entlasten, die erheblichen Mehreinnahmen also zumindest zum Teil wieder zurückzugeben. Ob der Wegfall der EEG-Umlage, Heizkostenzuschüsse für Bedürftige, die Anhebung der Entfernungspauschale, die zeitlich befristete Absenkung der Energiesteuer oder das Neun-Euro-Ticket: All das kostet Unsummen, die aus den Steuermehreinnahmen bedient werden.

Als Reaktion auf die hohen Inflationsraten steuern die Zentralbanken weltweit mit steigenden Zinssätze dagegen. Selbst die EZB, die seit Jahren das System mit frischem Geld flutete und durch niedrige Zinsen vor allem die südeuropäischen Länder vor einer zweiten Euro-Finanzkrise bewahren wollte, musste jüngst einen Kurswechsel hinlegen. Und das hat erhebliche Konsequenzen für den Staatshaushalt.

Ein finanzpolitischer Goldrausch

Im Grunde war das letzte Jahrzehnt so etwas wie ein finanzpolitischer Goldrausch. Obwohl sich infolge der Finanzkrise 2009 in Deutschland die Staatsschulden deutlich erhöht hatten, sanken die Zinsausgaben rapide. Während noch im Jahr 2000 jeder sechste Euro des Bundeshaushaltes für Zinsen ausgegeben werden musste - insgesamt fast 40 Mrd. € -, waren es im letzten Jahr bloß 3,4 Mrd. Euro. Die Zinsausgabenquote, also der Anteil der Zinsausgaben des Bundes am Gesamthaushalt, stürzte von etwa 16 auf unter ein Prozent ab.

Diese auf den ersten Blick erfreuliche Entwicklung ist dabei nicht auf den Abbau von Schulden zurückzuführen, sondern auf bloße Umschuldungseffekte im Umfeld historisch niedriger Zinsen. Die EZB hatte den Leitzins über längere Zeit mit dem Ergebnis auf die Nulllinie gebracht, dass der Staat mit der Aufnahme von Krediten sogar Geld verdienen konnte. Im Jahr 2020 zum Beispiel musste er für kurz- und mittelfristige Anleihen kein Geld bezahlen, sondern hat welches bekommen. Bei Anleihen mit einer Laufzeit von 2 Jahren waren es etwa -0,6 Prozent und bei einer Laufzeit von zehn Jahren immerhin noch rund -0,2 Prozent. Bund und Länder haben mit Staatsschulden über Jahre hinweg also Geld verdient, in Milliardenhöhe.

Was sich aus Sicht eines Haushälters raffiniert anhören mag, ist in Wahrheit eine verdeckte Steuererhöhung. Denn es sind ja Sparer und Unternehmen, die zur Sicherung ihrer Geldbestände Verluste hinnehmen mussten, zum Wohle des Staates. Heute liegen die Zinssätze bei 10jährigen Anleihen bei fast zwei Prozent - Tendenz steigend.

Probleme mit Geld zugekleistert

Es ist vor allem die Zinsflaute, die es der Politik ermöglicht hat, Strukturreformen im Staatswesen zu verschlafen und die neuen Finanzierungsspielräume für allerlei dauerhafte zusätzliche Ausgabenbelastungen zu verwenden. Ob Mütterrente oder Unterhaltsvorschuss, ob beitragsfreie Kita oder Hochschulfinanzierung: Vor allem in der Ära Merkel wurden gesellschaftliche Probleme mit zusätzlichem Geld zugekleistert und zwar durch verdeckte Steuererhöhungen im Gewande sinkender Zinslasten.

Eine nachhaltige Haushaltspolitik wäre stattdessen gewesen, die eingesparten Zinsausgaben konsequent zur Tilgung der Staatsschulden zu verwenden - oder für echte Zukunftsinvestitionen. In dem einen Fall hätte man sich langfristig zusätzliche Ausgabenspielräume gesichert, im anderen Vermögen aufgebaut und ohnehin irgendwann anfallende Ausgaben haushaltsentlastend vorgezogen. Aber dazu kam es nur in Ansätzen. Das meiste Geld floss in konsumtive, auf Dauer angelegte Projekte der Wählerbespaßung.

Für den aktuellen Bundesfinanzminister ist die Zinsparty allerdings vorbei. Bereits im nächsten Jahr rechnet er mit einer Ausgabenlast von bis zu 30 Mrd. Euro. Das ist sowohl die Folge steigender Zinssätze als auch der sprunghaft angestiegenen Verschuldung. Während Olaf Scholz (SPD) als Bundesfinanzminister mit der Ausweitung der Staatsschulden in der Corona-Krise kurzfristig noch Milliarden verdienen konnte, schlägt das Imperium im Falle Christian Lindners nun zurück. Und man muss gar kein Marxist sein um zu wissen, dass der Kapitalismus auf Dauer nicht funktionieren kann, wenn man damit Geld verdient, sich immer weiter zu verschulden.

Staatsschulden sind wie Einpullern im Winter

Der aktuelle Finanzminister schwört Deutschland daher schon auf eine längere Phase der Dürre ein - und zwar mit Recht. Es drohe eine Rezession und er scheint nicht gewillt, diesem Szenario durch staatliche Ausgabenprogramme in die Parade zu fahren. Bereits im Jahr 2023 will er die Vorgaben der Schuldenbremse wieder einhalten und droht der Öffentlichkeit mit Ausgabenkürzungen.

Für Saskia Esken (SPD), die SPD-Vorsitzende, kommt das aber nicht in Frage. Erst kürzlich ließ sie die Öffentlichkeit wissen: „Wir müssen über die Schuldenbremse sprechen.“ Offenbar ist sie bereit, die Bürger durch schuldenfinanzierte Programme weiter zu entlasten. Es riecht ein wenig nach Angela Merkel.

Christian Lindner hat dafür einen kleinen ökonomischen Hinweis: „Zur Bekämpfung der Inflation muss der Staat die Politik auf Pump beenden.“ Das heißt soviel wie: Die derzeitigen Probleme der Wirtschaft sind angebotsseitig verursacht. Es gibt neben dem immer größer werdenden Fachkräftemangel gestörte oder ganz unterbrochene Lieferketten und einen drohenden Engpass bei der Versorgung mit Energie.

Wer in einer solchen Situation, und sei es auch in bester Absicht, die kaufkräftige Nachfrage schuldenfinanziert weiter erhöht, um die Auswirkungen der Inflation zu bekämpfen, wird genau diese weiter anheizen und das Problem dadurch vergrößern und nicht verkleinern. Anders kann es gar nicht sein, wenn mehr Geld auf ein statisches oder gar rückläufiges Angebot trifft. Das ist die kleine Mathematik der Volkswirtschaftslehre.

Die für ihren rigiden Sparkurs bekannte ehemalige Finanzministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Sigrid Keler (SPD), hätte Saskia Esken daher wahrscheinlich das entgegnet, was sie in einer Rede vor dem Schweriner Landtag einmal gesagt hatte: „Konsumtive Ausgaben über Staatsschulden zu finanzieren ist wie Einpullern im Winter: Erst ist es schon warm und dann wird es bitterkalt.“

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