Schrumpfung um 0,5 Prozent - Rote Laterne für die deutsche Wirtschaft

Nun kann auch Robert Habeck nicht mehr ignorieren, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 0,4 bis 0,5 Prozent schrumpft und Deutschland damit das Schlusslicht der G7-Staaten ist. Der IWF prognostiziert das schon lange. Statt die Probleme anzugehen, fantasiert Habeck von einem Aufschwung 2024.

„Das müsste eigentlich halten“: Robert Habeck inspiziert die deutsche Wirtschaft / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute mit Sitz in Köln. Zuvor war er Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Davor bekleidete er verschiedene Funktionen bei Goldman Sachs, Salomon Brothers und – bevor er in die Privatwirtschaft wechselte – beim Internationalen Währungsfonds in Washington und Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Thomas Mayer promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und hält (seit 2003) die CFA Charter des CFA Institute. Seit 2015 ist er Honorarprofessor an der Universität Witten-Herdecke. Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Die Vermessung des Unbekannten“ (2021) und „Das Inflationsgespenst“ (2022).

So erreichen Sie Thomas Mayer:

Anzeige

Nun hat Wirtschaftsminister Robert Habeck nachgezogen. Er und seine Wirtschaftsexperten erwarten, dass die deutsche Wirtschaft dieses Jahr um 0,4 Prozent schrumpfen wird. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte schon im April mit einem Rückgang des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,1 Prozent gerechnet. Im Juli korrigierte der IWF auf minus 0,3 Prozent und in seinem am 10. Oktober in Marrakesch vorgestellten World Economic Outlook senkte er die Prognose weiter auf minus 0,5 Prozent ab. Damit erhält Deutschland die rote Laterne unter den G7-Ländern. Sogar Italien traut der IWF mit einem Wachstum um 0,7 Prozent dieses Jahr mehr zu. 

Die Schwäche ist im Wesentlichen hausgemacht. Die reale inländische Nachfrage soll nach Habecks Prognose dieses Jahr um 0,6 Prozent sinken. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet der erwartete Rückgang des Staatskonsums um 2,2 Prozent. Angesichts der enormen Aufblähung während der Pandemiejahre ist das eine willkommene Normalisierung. Weniger erfreulich ist der prognostizierte Rückgang des privaten Konsums um 0,5 Prozent. Hier schlägt die Inflation zu. Zwar steigt das nominale verfügbare Einkommen der privaten Haushalte im Prognosetableau um stattliche 5,8 Prozent. Aber bei einer Inflation von 6,1 Prozent reicht das für weniger Konsumgüter. Immerhin soll der Arbeitsmarkt robust bleiben und die Beschäftigung in diesem Jahr weiter wachsen. 

Jedem Bürger dürfte klar sein, dass Deutschland mehr investieren muss. Die Produktivität der Arbeit sinkt, die öffentliche Infrastruktur ist marode und es mangelt an Wohnungen. Leider ist da keine wirkliche Besserung in Sicht. Nach blutleeren 0,1 Prozent im letzten Jahr sollen die Bruttoanlageinvestitionen nach Habecks Prognose in diesem Jahr gerade mal um 0,4 Prozent wachsen. Besonders schwer hat es der Bau, wo nach einem Rückgang um 1,8 Prozent im letzten Jahr die Investitionen dieses Jahr noch einmal um 1,3 Prozent sinken sollen. 

Auch die deutschen Prognosezahlen verorten die deutsche Schwäche nicht im Ausland

Minister Habeck führt als eine Erklärung für den Rückgang der deutschen Wirtschaftsleistung das Schwächeln globaler Wirtschaftspartner an. Das stimmt zwar für Europa. Doch laut IWF soll sich das Wirtschaftswachstum in Asien dieses Jahr beschleunigen und in Nordamerika ungefähr auf dem Niveau des Vorjahrs verharren. Auch die deutschen Prognosezahlen verorten die deutsche Schwäche nicht im Ausland. Nach der Prognose des Wirtschaftsministeriums sollen die Nettoexporte immerhin 0,2 Prozent zum Wachstum beitragen. 

Doch „die Weichenstellungen für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung sind jetzt gesetzt“, meint der Minister. Fürs kommende Jahr erwartet er ein Wachstum des realen BIP um 1,3 Prozent. Die Inflation soll zurückgehen und die Realeinkommen wieder steigen. Das soll den Konsum beleben. Mit dem Wachstumschancengesetz, beschleunigten Genehmigungsverfahren und Bürokratieabbau sollen die Investitionen belebt werden. Durch das Maßnahmenpaket des „Wohnungsbaugipfels“ sollen laut Habeck zwar die Bauinvestitionen stabilisiert werden, doch nicht vor 2025. Erst einmal werden sie im kommenden Jahr um weitere 1,7 Prozent sinken.

 

Mehr zum Thema:

 

Vielleicht überschätzt Habeck die segensreichen Wirkungen der Ampelpolitik nicht nur für den Wohnungsmarkt. Der IWF ist für das kommende Jahr um einiges skeptischer und erwartet ein Wachstum des realen BIP um nur 0,9 Prozent. Damit bleibt Deutschland zwar immer noch weit unter dem erwarteten Wachstum in Nordamerika, Asien und sogar (um etwas weniger) in Europa. Aber immerhin übertrumpft es dann Italien (was die Italiener wie üblich ziemlich ärgern dürfte). 

Habecks Prognosen für 2024 und 2025 sind pure Hoffnungswerte

Vordergründig sind Konjunkturprognosen nette Zahlenspiele mit sehr fragwürdiger Treffsicherheit. Wichtiger als die Zahlen ist jedoch die Botschaft, welche die Prognostiker damit aussenden. Und die ist nicht gut für Deutschland. Habecks Prognosen für 2024 und 2025 sind pure Hoffnungswerte. Die Zahlen für 2023 zeigen dagegen die harte Realität: Deutschland steckt in einer formidablen Wirtschaftskrise. Der Minister selbst benennt einige der Ursachen: überbordende Bürokratie, Arbeits- und Fachkräftemangel, Alterung der heimischen Bevölkerung, massenhafte Einwanderung in die Sozialsysteme. „Diese Probleme sind wir angegangen, brauchen aber einen langen Atem“, meint er. Das kann man als positive Zwischenbilanz seiner Arbeit lesen oder aber daraus folgern, dass eine Lösung der Probleme weiterhin aussteht und die Überwindung der Krise noch in weiter Ferne liegt - falls sie überhaupt gelingt.  

Tatsächlich braucht Deutschland jetzt eine Agenda 2030. Wie Gerhard Schröders Brandrede vor zwanzig Jahren im Bundestag zur Agenda 2010 ist Bundeskanzler Olaf Scholz heute aufgerufen, das Land zu mobilisieren. Damals sagte Schröder: „Ich möchte Ihnen heute Punkt für Punkt darlegen, welche Maßnahmen nach Überzeugung der Bundesregierung vorrangig ergriffen und umgesetzt werden müssen – für Konjunktur und Haushalt, für Arbeit und Wirtschaft, für die soziale Absicherung im Alter und bei Krankheit. Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen. Alle Kräfte der Gesellschaft werden ihren Beitrag leisten müssen: Unternehmer und Arbeitnehmer, freiberuflich Tätige und auch Rentner. Wir werden eine gewaltige gemeinsame Anstrengung unternehmen müssen, um unser Ziel zu erreichen.“ 

Damit leitete er Wirtschaftsreformen in einem Umfang ein, wie Deutschland sie seit der Preisfreigabe durch Ludwig Erhard anlässlich der Währungsreform nicht mehr gesehen hatte. Kanzler und Vizekanzler sind heute dazu aufgerufen, eine erneute Kraftanstrengung in dieser Dimension zu unternehmen. 

Anzeige