Wiederaufbauplan der EU - Merkel räumt ab

Der deutsch-französische Plan für den Wiederaufbau nach Corona kommt den südeuropäischen Staaten weit entgegen. Dennoch bleibt die Kanzlerin sich treu – erst hat sie lange gezögert und am Ende nur unhaltbare Positionen aufgegeben.

Pressekonferenz in Corona-Zeiten: Merkel und Macron verkünden Wiederaufbauplan / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

So erreichen Sie Eric Bonse:

Anzeige

Die Video-Bilder wirken wie aus einer anderen Zeit. Aus dem Pariser Elysée-Palast winkt da ein strahlender, braun gebrannter Staatschef einer gut gelaunten Kanzlerin zu. Emmanuel Macron und Angela Merkel hatten sich herausgeputzt für jenen großen Tag. Er sollte die Wiedergeburt der EU nach der Coronakrise markieren, mindestens aber die Renaissance des deutsch-französischen Tandems.

500 Milliarden Euro, so haben Merkel und Macron zuvor vereinbart, sollen in den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Krise fließen. Die EU-Hilfen sollen an die Krisenländern in Südeuropa gehen, als bleibende Zuschüsse und nicht als rückzahlbare Kredite. Die Finanzierung soll die Brüsseler EU-Kommission sichern – über Anleihen „im Namen der EU“, die an den Finanzmärkten begeben werden.

Dammbruch oder historischer Schritt?

Was ist da passiert? Ist das „ein historischer Schritt für Frankreich und Deutschland und auch ein historischer Schritt für die gesamte Europäische Union“, wie der französische Finanzminister Bruno Le Maire jubelt? Oder ist das ein „Dammbruch, der das geltende Recht auf den Kopf stellt“, wie etwa die Fraktionsvorsitzende der AfD im Deutschen Bundestag, Alice Weidel, befürchtet?

Zunächst einmal ist es eine handfeste Überraschung. Denn so einig haben sich Macron und Merkel schon lange nicht mehr gezeigt. Noch vor sechs Wochen, bei einem missglückten EU-Videogipfel, waren sie heftig aneinander geraten. Die Kanzlerin hatte sich auf die Seite der Nordeuropäer geschlagen, die für strikte Budgetdisziplin eintreten und EU-Schulden kategorisch ablehnen.

Langes Zögern der Kanzlerin

Macron hingegen hatte, gemeinsam mit Italien, Spanien und sechs weiteren EU-Ländern, einen schuldenfinanzierten „Recovery Fund“ gefordert. Weil man sich nicht einig war, wurde der Streit vertagt – und die EU-Kommission beauftragt, Kompromisse auszuloten und einen konsensfähigen Plan vorzulegen. Auch Behördenchefin Ursula von der Leyen tat sich schwer, doch sie wollte in wenigen Tagen liefern.

Und nun das. Der erste Aufschlag kommt nun nicht aus Brüssel, sondern aus Berlin und Paris. Und er hat wenig zu tun mit den ehernen Prinzipien der Nordeuropäer, sondern ähnelt verdächtig den Wünschen der Südeuropäer. Jedenfalls auf den ersten Blick. Bei näherer Betrachtung sieht die Sache allerdings anders aus. Sowohl Macron als auch Merkel haben sich bewegt. Und Merkel hat nach langem Zögern nur jene Positionen geräumt, die ohnehin unhaltbar geworden waren.

Ausnahme und anteilige Haftung

Nach dem deutsch-französischen Kompromiss wird es künftig zwar EU-Schulden geben – aber nur einmal, für die Corona-bedingte Ausnahmesituation. Ein Präzedenzfall soll daraus nicht werden, so hofft Merkel offenbar. Zudem konnte die Kanzlerin durchsetzen, dass eine gesamtschuldnerische Haftung ausgeschlossen bleibt. Deutschland und die anderen EU-Staaten sollen nur für jenen – begrenzten – Anteil haften, den sie als Garantie ins EU-Budget einbringen.

Teuer wird es trotzdem, denn die Schulden sollen von allen EU-Staaten abgestottert werden – und nicht von den Hilfsempfängern, wie dies die Nordeuropäer fordern. Auf Deutschland kommen damit für viele Jahre höhere EU-Beiträge hinzu. Allerdings wird dies zu einem Teil dadurch ausgeglichen, dass das künftige EU-Budget knapp über einem Prozent der Wirtschaftsleistung eingefroren wird. Hier mußte Macron eine Kröte schlucken, er wollte viel mehr.

Der französische Staatschef musste zudem hinnehmen, dass die EU-Hilfen künftig mit Reformen verknüpft werden. Es gehe um „Resilienz, Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit“, heißt es in dem deutsch-französischen Papier. Dies ist eine alte Forderung der Kanzlerin, sie geht noch auf die Zeit der Eurokrise zurück. Schon damals wollte Merkel die Krisenländer durch „Reformverträge“ zu Einschnitten zwingen – in der Coronakrise kommt sie nun darauf zurück.

Warum lieferte die EU-Kommission nicht?

Überwacht werden die Reformen, wenn nicht alles täuscht, durch die EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde wartet schon seit langem auf eine Gelegenheit, ihre liberalen wirtschaftspolitischen Empfehlungen durchzusetzen. Beim  „Europäischen Semester“ ist ihr das bisher kaum gelungen, die meisten Länder ignorieren die Ratschläge der EU. Nun dürfte sie sich doch noch durchsetzen – dabei war auch Paris bisher strikt gegen Reformauflagen aus Brüssel. Es haben sich also alle bewegt, Merkel genauso wie Macron.

Aber warum ist Merkel überhaupt auf den Franzosen zugegangen? Hätte sie ihre Vorstellungen nicht gemeinsam mit ihrer Parteifreundin von der Leyen durchdrücken können? Diese Frage wird sich wohl nie abschließend beantworten lassen. Die Fäden in Brüssel werden im Verborgenen gezogen; selbst Insider können nicht sagen, warum von der Leyen nicht schneller geliefert hat.

Deutscher Krisen-Gewinner

Klar ist jedoch, dass Merkel solange taktiert und gezögert hat, bis sie selbst unter Druck geraten ist. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) sitzt Deutschland auf der Anklagebank. Von der Leyen droht sogar mit einem Vertragsverletzungsverfahren, weil die Karlsruher Richter sich anmaßen, über dem EU-Recht und dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu stehen. Das hat auch Merkels Standing in der EU beschädigt.

Zudem ist die deutsche Position in der Coronakrise unhaltbar geworden. Zu Beginn der Pandemie konnte Merkel noch damit argumentieren, Deutschland sei genauso betroffen wie alle anderen EU-Länder – und Forderungen aus Südeuropa abwehren. Nun, da die Corona-Welle abebbt, zieht dieses Argument jedoch nicht mehr. Deutschland steht als größter Gewinner da – nicht nur bei der Seuchen-Bekämpfung, sondern auch bei der Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Krisenfolgen.

Neuer Finanzplan im Sommer

Als Gewinner muss man jedoch großzügiger sein - insbesondere dann, wenn man auch künftig von der EU und ihrem lukrativem Binnenmarkt profitieren möchte. Dies hat Merkel erkannt - und unhaltbar gewordene Positionen der Nordeuropäer geräumt. Sie ist Macron und den Südeuropäern nicht weiter entgegen gekommen, als sie mußte - und hofft nun darauf, die Nordeuropäer auf ihre Seite zu ziehen.

Doch das könnte schwieriger werden als erwartet. Zwar waren Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der nieder-ländische Premier Mark Rutte und die anderen Gegner von EU-Schulden in Merkels Pläne eingeweiht. Berlin pflegt engen Kontakt zu den „frugal four“, den „Sparsamen Vier“. Doch deren Widerstand ist härter als erwartet. Kurz hat nun sogar einen Gegenentwurf angekündigt.

Damit droht eine Neuauflage des erbitterten Streits, der schon den ersten Finanzgipfel im Februar zum Scheitern brachte. Einen Trumpf hat Merkel aber noch in der Hinterhand. Das letzte Wort über den neuen Finanzplan dürfte nämlich erst in einigen Wochen gesprochen werden, unter deutschem EU-Vorsitz. Dann ist Merkel wieder am Drücker. Mit ihrem Macron-Deal hat sie sich die Pole-Position gesichert, im Herbst könnte sie abräumen.

Anzeige