VW-Betriebsratschefin - Sanfte Pfoten, scharfe Krallen

Beim Autokonzern Volkswagen ist ein Machtkampf ausgebrochen. Betriebsratschefin Daniela Cavallo fordert den Vorstandsvorsitzenden offen heraus. Sie wehrt sich gegen Entlassungen und fordert ein besseres Arbeitsumfeld für die Mitarbeiter.

Daniela Cavallo erhöht als Betriebsratschefin von VW den Druck auf Herbert Diess / Patrick Slesiona
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Maren Jensen ist freie Wirtschaftsjournalistin und lebt in Hamburg.

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Feste Stimme, Augenblitzen und große Gesten: Als Betriebsratschefin Daniela Cavallo Anfang November das Zukunftsbild von Volkswagen vor einigen Tausend Mitarbeitern skizzierte, wirkte sie alles andere als unsicher. Öffentlich rechnete sie mit VW-Chef Herbert Diess ab, der kurz zuvor bei einer Aufsichtsratssitzung andeutete, bis zu 30.000 Arbeitsplätze allein bei der Marke Volkswagen streichen zu müssen. Cavallo nennt dies ein „Armutszeugnis für einen Weltkonzern“. 

Mehr als 40.000 VW-Mitarbeiter schauten der Betriebsratschefin über das Intranet zu, wie sie in Halle 11, umgeben von hohen Decken und Betonsäulen, umhertigerte, die Menge einschwor und erst einmal ein bisschen Porzellan zerschlug. Seit Monaten kritisiert sie die Führungsetage öffentlich und fordert ein besseres Arbeitsumfeld für die Mitarbeiter. Zwar nur mit verbalen und keinen echten Ohrfeigen, dafür aber mit Drohungen, Misstrauenserklärungen und harten Vorwürfen an Diess, der mit den Ängsten der Mitarbeiter spiele. Das ging so weit, dass VW mittlerweile einen Vermittlungsausschuss des Aufsichtsrats eingeschaltet hat, um einen Kompromiss zu finden. Kommt bald der große Knall?

Wie Osterloh, nur anders

Cavallo ist anders als ihr Vorgänger. Vergangenes Jahr folgte sie auf Bernd Osterloh, der nach langjährigen Konflikten mit Diess zum Lkw-Tochterunternehmen Traton wechselte. Der 65-jährige, langbeinige, glatzköpfige und breitschultrige Osterloh stand 16 Jahre lang an der Spitze der mächtigen Arbeitnehmervertretung des niedersächsischen Autoherstellers. Er hat maßgeblich mitbestimmt, was die Herren und Damen in Wolfsburg entschieden. Cavallo wirkt neben ihm unscheinbarer, doch nicht weniger unermüdlich. Und auch wenn sie optisch nicht Osterloh gleicht, beschrieb er sie in seiner Abschiedsrede in Wolfsburg schon beinahe ehrfürchtig: „führungsstark, empathisch und so strategisch denkend, dass sich viele noch wundern werden“.

Cavallo selbst wollte ihr Amt „ruhiger als Osterloh, aber bestimmt nicht weniger zielorientiert und durchsetzungsstark“ angehen, sagte sie im April. Damit wirkte sie zunächst deutlich leiser und zurückhaltender als der selbstbewusste Osterloh, vielleicht ein bisschen wie eine Katze, die ihre Mäuschen auf Samtpfoten jagt, statt laut herumzupoltern wie ihr Vorgänger, bevor sie zur Attacke ansetzt. Sie überzeugt ohne Testosteron, aber nicht mit weniger Angriffslust.

Fehde mit Diess

Ihre Krallen hat sie inzwischen ausgefahren. Denn Cavallos Vorhaben erscheinen fast übermütig. Sie will die Führungsetage überreden, Küchen, Kantinen und Arbeiterräume in den VW-Werken für 125 Millionen Euro zu modernisieren, in Wolfsburg für 800 Millionen Euro ein neues Entwicklungszentrum zu bauen sowie ein zweites Batteriezellenwerk in Deutschland zu errichten. Dabei geht sie aufs Ganze: kritisiert Diess’ unabgestimmte Sparvorschläge und fordert ihren Gegner immer wieder aufs Neue heraus – während Herbert Diess eine Gruppe der Belegschaft starr hinter sich schart.

Einige seiner Anhänger beschwerten sich Ende November vor den Volkswagen-Hauptaktionären der Familie Porsche und Piëch sowie dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) über Cavallos Haltung. Die Stimmung gegenüber Diess würde die Betriebsratschefin zu negativ darstellen. 

Beeindruckender Aufstieg

Cavallo hat eine besondere Beziehung zu VW. Ihre italienischen Eltern kamen Ende der sechziger Jahre mit der ersten Gastarbeiterwelle nach Deutschland, nachdem der Autokonzern mit dem Spruch „Venite a lavorare con la Volkswagen“, also „Kommen Sie und arbeiten Sie für Volkswagen“, in Italien die Werbetrommel gerührt hatte. Cavallos Vater arbeitete am Band. Er riet seiner Tochter, nach dem Abitur selbst in den Konzern einzusteigen, um einen sicheren Arbeitsplatz zu haben.

So gelangte Cavallo zu Volkswagen, zunächst für eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation mit einem dualen Studium der Betriebswirtschaftslehre. Sie hat es als erste Frau und erstes Gastarbeiterkind an die Spitze der Arbeitnehmervertretung geschafft – und das in einer schwierigen Phase. Die Covid-­19-Pandemie und der Computerchipmangel haben die Produktion auf den niedrigsten Stand seit Ende der fünfziger Jahre abstürzen lassen. Eine Million Fahrzeuge wollte der Autobauer allein in diesem Jahr in Wolfsburg produzieren. Jetzt werden es höchstens 400.000 sein. 

Während Herbert Diess vom Komplettumbau des Konzerns träumt und Volkswagens Zukunft in autonomen Autos, Mobilitätsdiensten und dem Softwaregeschäft sieht, will Cavallo erst einmal die aktuellen Probleme in Wolfsburg lösen. Sie rät dem Konzernchef, sich schnellstens auf eine Strategie gegen den Chipmangel zu fokussieren.

 

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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