Voith - Radikale Roboterliebe

Voith war einst am Roboterhersteller Kuka beteiligt. Aber auch sonst wandelt sich das Unternehmen vom klassischen Mittelständler zum Digitalunternehmen. Einen Weg, den viele beschreiten, aber kaum einer so konsequent wie Toralf Haag

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Wird der Firma Voith der Schritt zum Digitalunternehmen gelingen? / picture alliance
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Nils Wischmeyer ist freier Finanz- und Wirtschaftsjournalist beim Journalistenbüro dreimaldrei

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Was hat Deutschland, was andere nicht haben? Den Mittelstand! Cicero stellt jeden Monat einen mittelständischen Unternehmer oder Unternehmerin vor. Dieses Mal: Thoralf Haag von Voith aus Heidenheim

Eine Zahl machte einst viele auf Voith aufmerksam: 25,1 Prozent. So hoch war die Beteiligung des Mittelständlers aus Heidenheim an Kuka, dem deutschen Vorzeigeprojekt in der Robotik. Als der chinesische Elektrogerätehersteller Midea im Jahr 2016 nach Kuka griff, war Voiths Sperrminorität entscheidend. Am Ende aber verkaufte die Firma ihren Kuka-Anteil an die Chinesen und strich 1,2 Milliarden Euro Umsatz ein. Inzwischen hat sich der Konzern wieder an einem Robotik-Start-up beteiligt. Trotzdem seufzen viele in der Firma, wenn einer sie nach Robotern fragt.

Bis heute machen die kleinen weißen Ärmchen, die zu viert im gläsernen Trainingscenter stehen, nicht einmal 1 Prozent des Umsatzes aus. Sie sind ein Ausblick auf das, was Voith einmal werden soll: ein volldigitaler Mittelständler. Schaffen wollen das viele. Tatsächlich aber geht kaum einer so radikal vor wie Voith.

Von der ersten zu vierten Revolution

„Wir haben die erste Revolution mitgestaltet, jetzt werden wir die vierte meistern“, sagt Voith-CEO Toralf Haag selbstbewusst. Bisher waren die Heidenheimer klassische Maschinenbauer, fokussiert auf Papiermaschinen, Wasserkraft und Mobilität. Jedes dritte Blatt Papier der Welt kommt aus einer Voith-Maschine, rund ein Viertel aller Energie aus Wasserkraft wird durch Equipment von Voith erzeugt, und auch die Antriebstechnik in vielen U-Bahnen und Zügen stammt von dort.

Doch auf dem gigantischen Campus mit Blick auf das Schloss Hellenstein, dort an der Brenz, zwischen Grünanlagen und den ehemaligen Villen der Familie, wissen sie schon länger: Das reicht nicht. Zum einen war da die Sorge, große Datenfirmen wie SAP könnten Voith dank kluger Algorithmen zum Stahllieferanten degradieren. „Heute sehen wir die nicht mehr als Konkurrenz, sondern als Dienstleister“, sagt Haag. Zum anderen haben sich die Anforderungen geändert: „Unsere Kunden erwarten von uns Antworten auf die Digitalisierung, also müssen wir digital werden.“

Papier macht größten Teil des Umsatzes aus

Diesen Weg konnte 1867 noch keiner ahnen. Damals übernahm Friedrich Voith von seinem Vater die Heidenheimer Firma, was bis heute als Gründungsdatum gilt. Dort, im tiefsten Baden-Württemberg entstand eigenen Angaben zufolge die erste industrielle Papierfertigung der Welt. In den Jahren danach kam der Bereich Hydro dazu, um die Papierpressen mit Strom zu versorgen, später auch die Bereiche Mobilität und Industrial Services.

Diese Mischung funktionierte lange, bis es vor ein paar Jahren immer schleppender lief. Die Konzernspitze beschloss eine Effizienzsteigerung, was bedeutet: Einsparungen. Allein im Bereich Papier fielen Hunderte Stellen weg, weil das Zeitungsgeschäft weltweit immer schlechter lief. Die örtliche Zeitung titelte damals „Belegschaft in Schockstarre“. Voith baute um, investierte viel Geld in eine neue, modulare Anlage und schaffte eine Wende. Heute macht der Bereich Papier mit 1,8 Milliarden Euro den größten Teil des Umsatzes aus.

Was bei Papier begann, sollte aber auch andere Sparten betreffen. Ex-Chef Hubert Lienhard verkaufte 2016 die Sparte Industrial Services. Über 17 000 Mitarbeiter wechselten das Unternehmen, mehr als eine Milliarde Euro Umsatz flogen aus der Bilanz. Stattdessen investiert Voith jährlich 50 Millionen Euro in Digital Ventures. Die Sparte verantwortet die Robotikprojekte und soll zugleich die anderen drei Bereiche digitalisieren.

Smarte Busse

In den engen Lagerhallen am Rande des Campus sieht man an zwei E-Bussen, was das bedeutet. Ausgestattet sind sie mit Antrieben und Sensoren von Voith, um das Fahrzeug „smart“ zu machen. Es soll wissen, wie viele Gäste an Bord sind, und danach die Temperatur regeln oder Ampelschaltungen voraussehen. Dort sieht Voith seine Marktlücke. Mittlerweile steuern alle digitalen Bereiche einen zweistelligen Millionenumsatz zum Konzernergebnis bei. In der Bilanz spiegelt sich der Digitalisierungsdrang noch nicht wider. Dort stehen konstant 4,2 Milliarden Euro Umsatz. „Aber wir haben viel angestoßen, um in den kommenden Jahren zu wachsen“, sagt Haag.

Eine fünfte Sparte soll langfristig dazukommen. Vielleicht kauft Voith gar ein Unternehmen zu. Die Kriegskasse ist nach dem Kuka-Verkauf gut gefüllt. Wie die Pläne konkret aussehen, will Toralf Haag nicht verraten. Klar aber ist, Voith scheut Übernahmeschlachten nicht. Immerhin geht es um die Zukunft eines mehr als 150 Jahre alten Unternehmens.

 

Dieser Text erschien in der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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