Versorgungskrise in Großbritannien - „Der Fahrermangel wird auch bei uns zum Problem“

In Großbritannien bleiben die Supermarktregale leer, weil Lastwagenfahrer aus Osteuropa fehlen. Auch in Deutschland wird die Wirtschaft den Fahrermangel zu spüren bekommen, sagt der Logistik-Experte Christian Kille.

In britischen Läden fehlt der Nachschub, weil die Lkw-Fahrer in Osteuropa bleiben / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Dr. Christian Kille ist Professor für Handelslogistik an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt und Marktanalyst der Bundesvereinigung Logistik.

Professor Kille, in Großbritannien stehen Supermarktkunden vor leeren Regalen. Was ist da los?

Es gibt dort Probleme auf zwei Ebenen. Zum einen auf der Produktseite. Großbritannien ist auf den Import von Lebensmitteln angewiesen, nur 60 Prozent der dort benötigten Agrarprodukte stammen aus der britischen Landwirtschaft. In Deutschland liegt der Selbstversorgungsgrad bei 90 Prozent. Die andere Problemquelle ist die Logistik, das ist momentan die Hauptursache für leere Supermarktregale in Großbritannien.

Das heißt, die Ware ist da, kommt aber nicht in die Märkte?

Christian Kille / Dierk Kruse

Genau. Als sich der Brexit abzeichnete, gab es schon einmal Versorgungsprobleme in Großbritannien. Damals waren die Lkw-Staus an den Grenzübergängen die Hauptursache. Wegen Unklarheiten bei der Zollabfertigung kamen die Lebensmittel nicht rechtzeitig ins Land. Das ist inzwischen grundsätzlich gelöst. Jetzt besteht das Problem, dass innerhalb Großbritanniens Lkw-Fahrer fehlen, um die Produkte aus den Zentrallagern in die Filialen des Lebenseinzelhandels zu verteilen. Auch das ist eine Folge des Brexits.

Inwiefern?

Im Zuge des EU-Austritts verließen 14.000 Lkw-Fahrer Großbritannien und kehrten in ihre Heimatländer zurück, überwiegend nach Osteuropa. Nur 600 sind inzwischen wieder nach Großbritannien gekommen. Der Fahrermangel ist enorm.

Warum wollen die Fahrer nicht mehr in Großbritannien arbeiten?

Durch den Brexit ist das britische Pfund schwächer geworden. Der Unterschied zu dem, was sie zu Hause verdienen können, ist daher nicht mehr so groß. Zudem sind auch die Löhne in Osteuropa gestiegen. Und wer es sich aussuchen kann, ob er bei seiner Familie bleibt oder ins Ausland geht, wird sich eher für sein Zuhause entscheiden.

Kann dieses Problem auch uns in Deutschland treffen?

Auf jeden Fall. Der Fahrermangel wird auch in Deutschland zum Problem. Das prognostizierten Fachleute schon seit Jahren.

Sind es auch die osteuropäischen Lkw-Fahrer, die uns fehlen werden? 

Ja. Der Fahrerjob ist kein besonders attraktiver. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht. Man ist lange weg von zu Hause. Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der osteuropäischen Länder sinkt daher der Anreiz, seine Heimat zu verlassen, um als Lkw-Fahrer zu arbeiten.

Und in Deutschland selbst will auch kaum jemand mehr Lkw-Fahrer werden?

Viel zu wenige. Früher kam der Nachwuchs automatisch, weil junge Männer oft bei der Bundeswehr den Lkw-Führerschein gemacht haben. Seit die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, fehlt dieses Fahrerpotenzial. Denn wer den Lkw-Führerschein privat machen will, muss dafür viel Geld ausgeben. Die Fahrerausbildung ist sehr teuer.

Müssen wir uns also auch auf leere Supermarktregale vorbereiten?

Nein, ganz so dramatisch wie in Großbritannien wird es nicht. Es wird nicht schlagartig zu spüren sein, aber es ist ein schleichend wachsendes Problem, das ernst genommen werden muss. Es betrifft ja nicht nur den Lebensmittelhandel, sondern die gesamte Wirtschaft.

Was kann man dagegen tun?

Die Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer müssen verbessert werden. Damit meine ich nicht nur die Löhne, sondern auch die Rahmenbedingungen. Überfüllte Rastplätze mit dreckigen Toiletten, das schreckt natürlich ab. Und dann geht es darum, die vorhandenen Transportkapazitäten effektiver zu nutzen: Wie bekommen wir es hin, dass die Lastwagen bis zum Rand gefüllt sind und nie leer fahren?

Das Gespräch führte Daniel Gräber.

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